Mehrere Blutproben stehen in einem Behälter (Quelle: imago/Eibner)
Bild: imago/Eibner

Interview | Neues Verfahren zur Krebsfrüherkennung - Liquid Biopsy - dem Krebs auf der Spur

Es klingt bestechend einfach: Einem Menschen wird Blut abgenommen und anhand bestimmter Nukleinsäuren kann festgestellt werden, ob er Krebs hat oder nicht. Dieses Verfahren, auch "Liquid Biopsy" genannt, basiert darauf, dass Tumore Erbmaterial ins Blut abgeben, welches analysiert werden kann. rbb Praxis sprach mit Prof. Michael Hummel vom Institut für Pathologie, Molekulare Diagnostik der Charité, über Chancen und Grenzen dieses neuen Verfahrens.

Herr Prof. Hummel, wie funktioniert das Verfahren der Liquid Biopsy?

Das klassische Vorgehen ist, dass Pathologen sich Zellen in Gewebeproben von außen unter dem Mikroskop anschauen und aufgrund der Morphologie, also der äußeren Struktur, beurteilen, ob es sich um Krebszellen handelt oder nicht. In den letzten Jahren haben Methoden an Bedeutung gewonnen, die quasi in die Zelle schauen können, sogenannte molekulare Verfahren. Dabei isoliert man die Erbinformation der Zelle und schaut, ob dort Veränderungen vorliegen, die auf Krebs schließen lassen. Das Verfahren der Liquid Biopsy, was man mit "flüssige Biopsie" übersetzen kann, basiert darauf, dass Tumore ihre Erbinformationen ins Blut abgeben, die wir mit diesen molekularen Methoden untersuchen können. Die Molekularbiologie hat sich in den letzten fünf bis zehn Jahren so rasant weiter entwickelt, dass wir inzwischen kleinste Spuren dieser Krebs-DNA im Blut nachweisen können. Das hat wesentlich dazu beigetragen, dass es eine Art "Hype" um die Liquid Biopsy gibt.

Kann man damit Krebs im frühen Stadium entdecken?

Diese Vorstellung ist sehr verlockend, aber da muss ich ein wenig Wasser in den Wein schütten. Wenn es eine klinische Verdachtsdiagnose auf Krebs gibt und man mit dem Liquid Biopsy Verfahren keine Tumor-DNA im Blut findet, heißt das nicht, dass derjenige keinen Krebs hat. Das hat damit zu tun, dass manche Tumore gar keine Krebs-DNA ins Blut abgeben, andere nur so wenig, dass wir sie auch mit modernsten Methoden heute noch nicht sicher nachweisen können. Somit würde man Patienten, verließe man sich allein auf dieses neue Verfahren, möglicherweise in falscher Sicherheit wiegen. Diese Sicherheit wird heute am besten gewährleistet, indem man die Veränderungen zunächst in den Tumorzellen im Krebsgewebe bestimmt. Diese Information kann dann verwendet werden, um nach kleinsten Mengen an dieser veränderten Erbinformation im Blut zu fahnden. Erst beide Analysen zusammen gesehen, ermöglichen tatsächlich eine sichere Diagnose. 

Wie hilft das Verfahren Patienten, die bereits an Krebs erkrankt sind?

Hier gibt es zwei Ansatzpunkte. Mit Liquid Biopsy kann man den Erfolg einer Therapie "messen" und das Verfahren hilft bei der sogenannten individualisierten Krebstherapie, bei der Medikamente gezielt gegen genetische Veränderungen des Tumors eingesetzt werden können - zunächst zur Therapiekontrolle. Gerade wenn Patienten schon einmal an Krebs erkrankt waren, kann man mit dem Liquid Biopsy Verfahren ein frühes Wiederauftreten der Erkrankungen leichter feststellen. Da die Blutentnahme ein einfaches und schonendes Verfahren ist, lassen sich diese Untersuchungen auch regelmäßig, ohne größere Belastung des Patienten, durchführen. Dies gilt insbesondere für Patienten, bei denen mögliche Tumorherde schwer zugänglich sind, zum Beispiel in der Lunge. Hier kann die Kontrolle der Tumor-DNA wichtige Hinweise darauf geben, ob eine Therapie ausreichend erfolgreich war.

Was die individualisierte Krebstherapie angeht, haben wir inzwischen immer mehr Medikamente, die ganz spezifisch auf bestimmte Veränderungen von Tumoren angepasst sind und diesen zielsicher bekämpfen können. Ein Beispiel ist die Behandlung von Lungenkrebs. Hier gibt es eine Reihe von gezielten Therapien, die den Patienten ein deutlich verlängerten Überleben ermöglichen – vorausgesetzt ihre Tumorzellen haben Veränderungen, die mit diesem Medikament therapiert werden können. Häufig flammt die Erkrankung aber wieder auf und zwar mit anderen, neuen Veränderungen in der Tumor-DNA. Das Medikament, welches vorher geholfen hat, ist dann wirkungslos geworden. Hier hilft das Liquid Biopsy Verfahren bei der Analyse der Genveränderung und kann somit den Weg für eine neue Therapie bahnen. Jetzt ist gerade im Dezember letzten Jahres ein Medikament mit dem Wirkstoff Osimertinib ("Tagrisso") zugelassen worden, das in der Lage ist, diese neuen Mutationen gezielt zu therapieren. Das heißt, es gibt auf der einen Seite Fortschritte in der Entwicklung von Krebsmedikamenten und auf der anderen Seite immer bessere Analysemethoden – wie Liquid Biopsy – mit denen gezielt geschaut werden kann, welche Therapie zu welchem Tumor passt.

Glauben Sie, dass Liquid Biopsy in Zukunft DAS Verfahren zur Krebsfrüherkennung sein wird?

Ich glaube es nicht, weil ich die Sorge habe, dass Tumore im Körper sein können, die eben keine Erbinformation ins Blut abgeben. Das würde dann zu falsch negativen Ergebnissen führen und den Patienten in einer falschen Sicherheit wiegen. Es gibt zwar Tumore, von denen man inzwischen weiß, dass sie häufig Erbinformation ins Blut abgeben, wie bei Darm-, Brust-, Eierstock- und Lungenkrebs. Aber auch nicht bei jedem Patienten. Hinzu kommt, dass Tumore im Anfangsstadium meist weniger DNA abgeben, als in weiter fortgeschrittenen Stadien. Und die frühen Formen will man ja gerade mit der Früherkennung entdecken.

Wir werden allerdings in Zukunft mehr Tumor-Genveränderungen identifizieren können. Bislang kennen wir nur einen sehr kleinen Teil der Tumor-Erbinformation. Und nur danach können wir mit dem Liquid Biopsy Verfahren fahnden. Mithilfe des sogenannten Next-Generation-Sequencing, also der nächsten Generation der DNA-Sequenzierungstechnologie, werden wir in Zukunft in der Lage sein, diesen Anteil deutlich zu vergrößern und sogar die gesamte Erbinformation des Tumors bestimmten können. Damit werden wir vermutlich auch mehr Krebsarten im Blut nachweisen können.

Werden solche Blut-Tests auf Krebs auch schon kommerziell angeboten, und was ist davon zu halten?

Das ist natürlich ein Markt, bei dem es um viel Geld geht. Wer heute eine Firma hat und so einen Test anbietet, der ist daran interessiert, damit Geld zu verdienen. Und deswegen werden die Aussagen, die häufig mit solchen Tests gemacht werden - um es vorsichtig auszudrücken - sehr positiv dargestellt. Es werden auch teilweise falsche Erwartungen geweckt, die nicht erfüllt werden können. Ich denke, dass die Kombination verschiedener Diagnoseverfahren, die klassische Gewebspathologie, kombiniert mit molekularer Pathologie aus Gewebe und den Blutproben, die beste Voraussetzung für eine erfolgreiche Therapie ist. Das alles zusammen kann in der Regel nur eine gut ausgestattete Klinik leisten. Ein einzelner Test einer Firma kann dieses Gesamtbild nicht liefern.

Vielen Dank für das Gespräch, Herr Prof. Hummel.

Das Interview führte Ursula Stamm

Das könnte Sie auch interessieren