Grafik Thrombose (Quelle: imago/Science Photo Library)
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Interview - Thrombose nach Antibabypillen-Einnahme

Felicitas Rohrer bekam mit 25 Jahren eine schwere Lungenembolie, die sie fast das Leben gekostet hätte. Nun führt sie Klage gegen Bayer, Hersteller der Pille Yasminelle.

Frau Rohrer, Sie kamen 2009 als Notfall in die Klinik. Konnten die Sie behandelnden Ärzte eine Ursache für Ihre Lungenembolie finden?

Die Ärzte im Krankenhaus konnten sich das Ganze zuerst nicht erklären. Sie waren völlig überrascht, wie ich als junge, gesunde, schlanke, sportliche Nichtraucherin eine Lungenembolie bekommen konnte. Nachdem ich das Schlimmste überstanden hatte, wurden viele Untersuchungen mit mir gemacht. Im Entlassbrief steht, dass vermutlich orale Kontrazeptiva die Ursache sind. Ich habe damals die Yasminelle genommen, eine Pille der 4. Generation mit dem Wirkstoff Drospirenon. Meine Schwester ist Ärztin, sie begann daraufhin sofort zu recherchieren und fand heraus, dass es schon vor mir Frauen gab, die nach der Pilleneinnahme eine Lungenembolie hatten, mehrere waren daran verstorben. Und es gab auch damals schon Warnungen, z.B. von der Organisation "Coordination gegen Bayer-Gefahren" und vom Arzneimittel-Telegramm, einer Fachzeitschrift für Ärzte. Aber von alldem hatte ich nichts gewusst.

Hatte Ihre Frauenärztin Sie über das erhöhte Thrombose-Risiko, das ja bei jeder Pille besteht, aufgeklärt?

Meine Frauenärztin hatte zu mir gesagt, dass Yasminelle gut verträglich sei, dass diese Pille das Hautbild verbessern und die Haare schöner machen könnte. Sie hatte mich zwar gefragt, ob ich rauchen würde, als ich das aber verneinte, war für sie das Kapitel Risiko abgeschlossen. Das hat mich im Nachhinein schon verärgert. Denn es gab ja bereits die Information, dass Yasminelle und andere Pillen der 3. und 4. Generation gegenüber den Pillen der 1. und 2. Generation ein erhöhtes Thrombose-Risiko bergen. Hätte meine Ärztin mir das damals gesagt, dann hätte ich diese Pille gar nicht erst eingenommen. Auch im Beipackzettel stand nichts zu diesem mindestens doppelt so hohen Thromboserisiko im Vergleich zu älteren Pillengenerationen.

Wie geht es ihnen heute gesundheitlich?

Ich werde nie wieder ganz gesund sein. Meine Herzlungen-Funktion ist beeinträchtigt und meine Beinvenen am linken Bein sind dauerhaft geschädigt. Jahrelang hatte ich wöchentlich Termine zur Lymphdrainage und auch jetzt noch muss ich mich jede Woche zwei bis drei Mal zuhause selbst behandeln. Mein Bein liegt dann in einer speziellen Apparatur, die den Lymphabfluss normalisiert. Ich kann das Gerät nicht mitnehmen. Außerdem muss ich sehr häufig Thrombose-Strümpfe tragen. In den Urlaub fahre ich deshalb nur selten, fliegen ist riskant wegen der Thrombose-Gefahr, da ich jetzt eine Thrombose-Risikopatientin bin, und in warmen Ländern schwillt mein Bein an. Das ist schon eine Einschränkung. Noch schlimmer ist aber für mich, dass mir die Ärzte von einer Schwangerschaft abraten. Ich nehme täglich Marcumar als Blutverdünner, das hat toxische Wirkung auf den Fötus, ich müsste also erst absetzen, aber das erhöht die Gefahr einer erneuten Thrombose. Es ist theoretisch schon möglich, ein Kind zu bekommen, nachdem ich das Marcumar abgesetzt habe, wovon mir aber jeder Arzt abrät. Und es wäre in jedem Fall eine Risikoschwangerschaft. Das belastet mich sehr. Ich bin 31 und wünsche mir sehr, dass ich doch irgendwann eine Familie gründen kann.

Sie haben gegen Bayer Klage eingereicht. Ende letzten Jahres wurde der mündliche Prozess eröffnet? Was erhoffen Sie sich von dem zivilrechtlichen Verfahren?

Mein Anwalt hat 200.000 Euro Schadensersatz und Schmerzensgeld gefordert. Ich musste meinen Beruf als Tierärztin, den ich gerade erst angetreten hatte, als ich die Lungenembolie bekam, aufgeben. Als Tierärztin musste ich voll belastbar sein, das ging nicht mehr. Ich habe inzwischen umgeschult, eine Journalistenschule besucht und bin dabei, mir eine neue Existenz als freie Print-Journalistin aufzubauen. Eine finanzielle Entschädigung wäre hilfreich, aber darum geht es mir bei der Klage nicht in erster Linie. Ich möchte vor allem verhindern, dass andere Frauen dasselbe Schicksal erleiden wie ich. Deshalb wünsche ich mir, dass Bayer alle Präparate mit dem Wirkstoff, den ich genommen habe, vom Markt nimmt. Inzwischen ist erwiesen, dass diese Pillen wie auch die anderen Pillen der 3. und 4. Generation ein weitaus höheres Thrombose-Risiko bergen als die Pillen der 1. und 2. Generation. Das steht inzwischen auch in jedem Beipackzettel, den Bayer auf Druck der Behörden ändern musste. Warum brauchen wir diese Pillen, wenn es risikoärmere gibt, die genau so gut verhüten? Die französische Regierung hat schon reagiert. Die „Diane 35“, auch eine Pille der 4. Generation, darf in Frankreich nur noch in Ausnahmefällen verschrieben werden. Bei uns in Deutschland ist man noch nicht so weit – zu Lasten der Frauen, die ja oftmals nicht wissen, welches Risiko sie eingehen.

Glauben Sie, Sie werden vor Gericht Erfolg haben?

Ich bin sehr zuversichtlich. In den USA hat Bayer bereits Entschädigungen in Höhe von rund 2 Milliarden US-Dollar an insgesamt 9000 betroffene Frauen bezahlt. Hierzulande sind keine Sammelklagen möglich, ich bin die erste, die in Deutschland klagt, aber andere werden mir vermutlich folgen. Auch in der Schweiz, in Österreich, in Italien und in den Niederlanden gibt es Klagen. Die Opferzahl ist insgesamt doch alarmierend, auch wenn das statistische Risiko gering erscheint. Es ist nicht leicht, in so jungen Jahren einen derartigen Einschnitt in das Leben zu verkraften. Ich habe deshalb eine Selbsthilfegruppe gegründet, die aufklären möchte. Über Jahre hinweg war ich in Psychotherapie, um meine Nah-Tod-Erfahrung und die posttraumatische Belastungsstörung zu verarbeiten, die ich nach dem Zusammenbruch erlitt. Das alles wäre vermeidbar gewesen. Ich hatte zum Zeitpunkt der Einnahme der Pille keine bekannten Vorerkrankungen, ich war immer gesund. Jedes Jahr spreche ich bei der Jahreshauptversammlung der Bayer AG über meine Geschichte und die von so vielen anderen Betroffenen. Viele Aktionäre interessieren sich nicht für das, was ich sage. Ihnen geht es nur um die Dividende, aber es kommen auch immer einige Aktionäre auf mich zu und ermuntern mich, nicht aufzugeben. Das gibt mir Kraft, weiter zu machen, auch, wenn es manchmal sehr anstrengend ist. Ich will nicht mein ganzes Leben diesem Thema widmen, aber, solange so viele Frauen noch nicht Bescheid wissen, muss ich dran bleiben.
 
Vielen Dank für das Gespräch Felicitas Rohrer!
Das Interview führte Angelika Wörthmüller 

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