Lausitzer ringen mit der Kohle - Wenn die Heimat zur Verschiebemasse wird

Mi 11.06.14 | 15:19 Uhr | Von Thomas Krüger

Horno verschwand vor zehn Jahren von der Landkarte, kurz darauf war Haidemühl dran - und die Einwohner von Lakoma mussten schon in den 80er Jahren ihre Häuser verlassen: Die Liste der abgebaggerten Dörfer in der Lausitz ist lang. Und die Abbaggerungen haben Narben hinterlassen. Neue Erinnerungen, alte Wunden - eine Spurensuche von Thomas Krüger

"Was ich ganz furchtbar gefunden habe: Erst als alles weg war und ich von Cottbus über die Brücke fuhr und gesehen habe, dass da nur noch ein Loch ist, da habe ich geheult." So erinnert sich Lieselotte Fugmann noch heute an ihre alte Heimat Lakoma. Die 79-Jährige wurde 1935 in dem Dorf bei Cottbus geboren, hier lernt sie Laufen und sprechen, wächst mit den Kindern vom Nachbarhof auf, erste Freundschaften, der erste Kuss. Zur Schule geht’s über die Straße nach Willmersdorf, heute ein Ortsteil von Cottbus.

Kein Gedanke damals daran, dass sie einmal im nahen Nachbardorf wohnen würde, wohnen muss. "Ja", sagt sie, "wir wussten zwar schon seit vielen Jahren, dass unter Lakoma Kohle liegt. Aber vielleicht würde ja doch alles ganz anders kommen und der Tagebau macht einen großen Bogen um die Heimat." Nein, macht er nicht, Planwirtschaft ist Planwirtschaft in der DDR. Schon seit den 70er Jahren gehört Lakoma zum Bergbauschutzgebiet. Wer hier wohnt, weiß, irgendwann muss er Haus und Hof aufgeben. Aber dieses irgendwann wird so lange wie möglich verdrängt.

Da wird am Haus noch etwas angebaut, ein neuer Baum gepflanzt, der Zaun gestrichen. Im Schuppen wird Holz für den Winter eingelagert. Und dennoch passiert das lang Geplante eines Tages: Lakoma muss weichen, der herannahende Tagebau Cottbus-Nord will ran an die Kohle. Die wird gebraucht für das DDR-Prestige-Kraftwerk Jänschwalde. Es ist eines der modernsten, damals in den 80er Jahren. Lakoma wird zum Geisterdorf. Der Postbote hat immer weniger zu tun, aus den Häusern verschwindet Tag für Tag mehr das Leben. 

Die Lakomaner, auch Lieselotte Fugmann, ziehen nur ein paar Kilometer weiter, nach Willmersdorf. In jenen Ort ihrer Schulzeit. Hier beziehen Fugmanns wie 150 andere aus Lakoma neue Einfamilienhäuser. Gebaut aus Stahlbetonplatten, wie sie auch für die typischen DDR-Neubausiedlungen verwendet werden. Keller, Garten, Terrasse, Schuppen, Garage – die neue Heimat kann sich sehen lassen. Für Lieselotte Fugmann ein Segen. "Mal ehrlich," sagt sie, "wir hätten in unserem alten Haus in Lakoma so viel machen müssen, da haben wir es hier gut getroffen."

In Lakoma ist der Tagebau fast schon wieder vorbei

Auf der anderen Straßenseite wohnen Helga und Fritz Schadow. Er ist fast 91, sie zehn Jahre jünger. Alt-Lakomaner, wie sie sich selbst bezeichnen. Freimütig erzählt der Rentner, wie das so war, damals, und wie er sich gegen die Umsiedlung gewehrt hat. Zweimal habe er an Erich Honecker geschrieben, der habe ihm dann den Kohle- und Energieminister ins Haus geschickt, zum Diskutieren, sagt Schadow. Überzeugen von der Notwendigkeit, ein Dorf, sein Dorf abzubaggern, konnte ihn der Minister nicht. "Aber was soll’s", resümiert der Rentner. Jetzt lebt er hier, es geht ihm gut, so die nüchterne Bilanz.

Zu DDR-Zeiten habe er für sein altes Grundstück knapp 60.000 Mark Entschädigung bekommen, nach der Wende gab es die gleiche Summe noch einmal in D-Mark. Das war sehr anständig, so Schadow. Jetzt, über 25 Jahre nach der Umsiedlung, haben er und seine Frau ihren Frieden mit der Situation gemacht. Der Tagebau, der die Schadows und die anderen Ende der 80er-Jahre aus Lakoma vertrieben hat, hat inzwischen seine Schuldigkeit getan. Fast. Nach den Plänen des Betreibers Vattenfall läuft er im nächsten Jahr aus, dann soll hier der Cottbuser Ostsee entstehen. Ein Touristenmagnet, versprechen die Planer. Das wird allerdings noch einige Jahre dauern.

Ortsschild Neu Lakoma (Quelle: rbb/Thomas Krüger)Hier geht´s nach Neu Lakoma

Horno - der Kampf von David gegen Goliath

Auch die Einwohner von Horno haben jahrelang um ihren Ort gekämpft. Hier leben bis zum Abriss des letzten Hauses 2005 vorwiegend Sorben und Wenden. Sie wollen ihr angestammtes Siedlungsgebiet nicht einfach aufgeben. Ihr Protest beginnt schon in den 70er Jahren, als feststeht, dass auch Horno für die Kohle geopfert werden muss. Horno wird zum Symbol des Widerstandes gegen die Kohleindustrie. Oft wird in jener Zeit der berühmte Kampf Davids gegen Goliath als Beschreibung einer vergleichbaren Situation bemüht. Wobei in diesem Fall Goliath am Ende gewinnt.

Horno zieht in jener Zeit Neugierige an. Michael Gromm zum Beispiel. Engländer. Autor. Er will für seine Landsleute eine fiktive Familiengeschichte aus dieser Gegend schreiben. Zum ersten Mal sieht er einen Tagebau und hört von den Vattenfall-Plänen, Horno abzubaggern. Gromm stellt sich auf die Seite der Hornoer, wird sogar Ehrenbürger. Er forscht in seiner Familiengeschichte und entdeckt sorbische Vorfahren. Damit meldet er Anspruch auf Heimat vor Gericht an. Horno ist in dieser Zeit nahezu täglich in den Schlagzeilen. Auch, als 2005 das letzte Haus  abgerissen wird. Nach langen Verhandlungen mit den Eigentümern und schließlich einer Einigung mit Vattenfall.

Horno zieht um und entsteht am Stadtrand von Forst wieder. Mit Dorfanger, Gemeindezentrum, einer neuen Kirche mit Altar und Turmhaube aus dem alten Gotteshaus. Das ist 500 Jahre alt. Die Geschichte der Kirche endet 2004. Am 29. November wird sie von Vattenfall gesprengt.

Reden über die Zeit damals und heute will kaum jemand. Schon gar nicht über Anfeindungen, wonach die Hornoer nur deshalb so vehement für den Erhalt ihres Dorfes gekämpft hätten, um für den Neustart in der neuen Heimat die besten Bedingungen zu bekommen. Das Wort von vergoldeten Türklinken als Metapher für einen Umzug de luxe macht die Runde. Soviel Gerücht, soviel Vorurteil, soviel Neid machen schweigsam.

Die frühere Gemeindepfarrerin Dagmar Wellenbrink sagt, die meisten wollen keine alten Wunden aufreißen, die Hornoer haben gelernt, sich mit der neuen Situation zu arrangieren. Manche seien traumatisiert, auch heute noch, zehn Jahre nach der Ankunft in der neuen Heimat nach der Kohle.  Thorsten Lehmann, einer der über 300 Neu-Hornoer, bringt das schwere Thema auf die Formel: Jeder habe hier Gewinne und Verluste gemacht. Mehr sagt er nicht. Die Umsiedlung eines ganzen Ortes habe Dorfgeschichte zerstört, erklärt Bernd Siegert, der Ortsvorsteher. Sein Urteil fällt drastisch aus: Horno sei eindeutig als Verlierer aus der Geschichte hervorgegangen.

2018 ist von Haidemühl nichts mehr zu sehen

Die Liste der abgebaggerten Dörfer ist lang, über 100 sind es in der Lausitz. Orte, die verschwunden sind, weil tief unter ihnen Braunkohleflöze lagern. Das ist auch das Schicksal von Haidemühl bei Spremberg. Der nahe Tagebau Welzow-Süd hat sich den Ort mit seinen riesigen Schaufeln schon fast vollständig einverleibt. Meter für Meter kämpft sich die Abraumförderbrücke vor, 2018 wird von Haidemühl dann nichts mehr zu sehen sein. Die, die hier gelebt haben, wohnen inzwischen ein paar Kilometer entfernt im neuen Haidemühl.

Mehr als 600 Einwohner müssen vor knapp zehn Jahren mit Sack und Pack umziehen. Auch Alois Schwietal. 15 Jahre lebte er in Haidemühl. "Eine Menge reingesteckt habe ich in mein Haus", sagt Schwietal. Und doch fällt ihm der Neuanfang nicht schwer, Schwietal denkt praktisch: "Man kriegt ein neues Haus, ohne Schulden, warum denn nicht." Längst lebt er wieder mit Hühnern, Katzen, Hunden und Kaninchen auf seinem neuen Grund und Boden. Nein, die alten Nachbarn hat er nicht mehr, die hat es woanders hingezogen. Aber mit den neuen komme er gut klar, beschreibt Schwietal sein Leben in Neu-Haidemühl.

Blick auf den Umsiedelungsstandort Neu-Haidemühl, 2007 [Imago]Blick auf den Umsiedelungsstandort Neu Haidemühl 2007

Jetzt gibt es Zentralheizung und warmes Wasser aus der Wand

"Die Leute sind anders geworden, viele ziehen sich zurück", erzählt Doris Huschka. 40 Jahre hat sie im alten Dorf gelebt, bevor sie umsiedeln musste. Man könne die Situation heute mit Worten gar nicht beschreiben, sagt sie, das müsse man erleben. Sie zuckt mit den Achseln und schaut die Dorfstraße hinunter. Manchmal sind sie wieder da, die Erinnerungen. Als sie ein kleines Mädchen war, sich im Winter am kuschligen Kachelofen gewärmt hat.

"Jetzt gibt es Zentralheizung und warmes Wasser aus der Wand", schwärmt sie. Das Leben damals in Haidemühl, es war anders, beschaulicher, ruhiger auch. Klar, auch Huschkas werden nicht von der Kohle überrascht. Mehr als zehn Jahre vor dem Umzug wissen sie, dass es so kommen wird. "Aber zehn Jahre, Gott, das ist eine lange Zeit", erinnert sich Doris Huschka an ihre Gedanken damals. Ins alte Haus haben sie kaum noch was investiert, "warum auch, kommt ja bald weg". Bald, in zehn Jahren. Jetzt wohnen Huschkas schon fast zehn Jahre im neuen Haus. Sie fühlen sich hier wohl, sagt sie, und doch – manchmal sind sie noch da, die Erinnerungen an den Hof, an das Haus, an das kleine Mädchen von einst, das angekommen ist in der neuen Heimat nach der Kohle.

 

Beitrag von Thomas Krüger