Hintergrund zu Welzow Süd - Die Kohle gibt, die Kohle nimmt

Mo 02.06.14 | 19:48 Uhr

Die Braunkohle und die Lausitz haben schon immer ein zwiespältiges Verhältnis zueinander gehabt: Auf der einen Seite bringt die Förderung Arbeitsplätze - auf der anderen verschwinden ganze Landschaften und Menschen müssen ihre Heimat aufgeben. Für Welzow Süd II müssten mehr als 800 Menschen ihre Dörfer verlassen. Am Dienstag soll über die Pläne entschieden werden, doch auch mit einem Ja der Brandenburger Landesregierung ist das letzte Wort noch nicht gesprochen.

20 Millionen Tonnen - so viel Braunkohle gewinnt Vattenfall bereits heute jährlich in Welzow. Damit das Kraftwerk Schwarze Pumpe bis zum vorraussichtlichen Ende seiner Laufzeit 2042 mit dieser Braunkohle beliefert werden kann, soll noch mehr abgebaut werden. Dafür will Vattenfall das Abbaugebiet ausweiten.

Das Lausitzer Braunkohlenrevier – die zweitgrößte Braunkohlestätte Deutschlands nach dem Rheinischen Revier – ist noch lange nicht erschöpft. Darum will der Energiekonzern Vattenfall dort insgesamt fünf neue Kohlefelder aufschließen, darunter das Teilfeld Welzow Süd II westlich von Spremberg. Für alle neuen Gruben zusammen sollen mehrere tausend Menschen, dazu Betriebe, Grundstücke und sogar ein Flugplatz weichen.

Im sogenannten Teilfeld II südwestlich der Kleinstadt Welzow, lagern weitere 200 Millionen Tonnen des Rohstoffs. Mit mehr als 19 Quadratkilometern ist das Gebiet so groß wie die Ostseeinsel Hiddensee. Da ein Teil davon auf sächsischem Grund liegt, laufen parallel zwei Planungsverfahren in den betroffenen Bundesländern. Ab 2027 sollen hier, wo jetzt noch Menschen ihre Heimat haben, die Bagger rollen. Für das bisher bestehende Abbaugebiet mussten seit Ende der 1960er Jahre 3.550 Menschen umgesiedelt werden, 17 Ortschaften waren betroffen.

800 Menschen sollen ihre Heimat verlassen

Insgesamt ist nach dem zweiten Braunkohlenplan-Entwurf vom Juni 2013 (PDF) für Welzow Süd II die Umsiedlung von 810 Menschen notwendig. Zuerst stünde die Umsiedlung des Welzower Wohnbezirks V (im Jahr 2022) und des Ortsteils Proschim (2024) an. Bereits Ende der 1980er Jahre waren für einen Tagebau Proschim erste Umsiedlungsmaßnahmen durchgeführt und Pläne für die Verlegung der beiden Welzower Ortsteile gemacht worden – diese wurden allerdings 1991 wieder verworfen. Jetzt aber müssten hier 740 Menschen ihre Häuser verlassen – das Gros der Betroffenen.

In Welzow sind am südwestlichen Stadtrand auch der Liesker Weg und der Wiesenweg betroffen (Umsiedlung ab 2031), hier müssten 30 Einwohner weichen. Der WSV Borussia Welzow verlöre seinen Fußballplatz.

In Proschim ist die Lage besonders: Ein Teil des Ortes ist als sorbisches Siedlungsgebiet ausgewiesen, Kultur und Traditionen müssen bei Neuansiedlung an einem anderen Ort berücksichtigt werden.

Gräber sollen schon zum zweiten Mal umziehen

Der Proschimer Friedhof war schon in den 1960er Jahren erweitert worden, damals um Gräber aus dem durch den Tagebau umgesiedelten Friedhof Gosda, der östlich von Proschim im heutigen Abbaugebiet lag. Nun stünde erneut eine Verlegung an. Darüber hinaus müssten in Proschim eine Backsteinkirche und ein Kriegerdenkmal weichen.

Der Ort Bahnsdorf würde, ebenso wie Welzow, zum Tagebau-Anrainer in "unmittelbarer Randlage“, wie es in den Planungsunterlagen heißt. Die Häuser lägen dann weniger als 150 Meter entfernt von der Tagebaukante. Die Ortstteile Neu-Seeland und Lindenfeld mit insgesamt 40 Einwohnern stünden vor der Zwangsumsiedlung (Beginn 2035).

Tagebau: Starker Arbeitgeber in der Region

Die Landschaft und das Leben in der Lausitz sind vom Tagebau geprägt – die Braunkohle ist ein wichtige Arbeitgeber in der Region. Mehr als 10.000 Arbeitnehmer seien im Land Brandenburg direkt oder indirekt in der Kohleindustrie beschäftigt, heißt es im Braunkohlenplan (Zweiter Entwurf). Und auch wenn damit gerechnet wird, dass mehr als 4.000 Jobs abgebaut werden könnten, sei diese Industrie "für das Land und insbesondere für die Lausitz ein wichtiger Wirtschaftsfaktor, der für die Stabilisierung des Arbeitsmarktes auch langfristig dringend notwendig bleibt".

Die Erweiterung von Welzow Süd erscheint damit auch aus arbeitsmarktpolitischen Gründen wichtig, auch wenn Eingriffe in Natur und das Leben der Menschen damit verbunden sind. "Die Kohle gibt, die Kohle nimmt", heißt denn auch eine Redensart in den Braunkohlegebieten.

80 Prozent des Brandenburger Stroms aus Braunkohle

Es scheint paradox: Trotz klar formulierter Klimaziele und einem Bekenntnis zur Energiewende hat die Stromerzeugung aus Braunkohle - dem klimaschädlichsten Energieträger überhaupt - sowie aus Steinkohle deutlich zugenommen. Mehr als ein Viertel des Stroms wird in Deutschland aus Braunkohle erzeugt. Im Land Brandenburg sind es sogar rund 80 Prozent der gesamten Netto-Stromerzeugung.

Daraus folgt für die öffentlichen Planer: Zusätzliche Kohle, aus Welzow und anderswo, wird gebraucht. Im zweiten Entwurf des Braunkohlenplans für Welzow Süd II heißt es: "Durch den von der Bundesregierung im Sommer 2011 beschlossenen vollständigen Ausstieg Deutschlands aus der Kernenergie bis zum Jahr 2022 ist der Export von Brandenburger Strom zur Versorgung des deutschen Strommarktes von noch größerer Bedeutung geworden. Über 50 Prozent des in Brandenburg produzierten Stroms werden exportiert und tragen damit zur nationalen Versorgungssicherheit bei."

Nachdem der erste Plan im Herbst 2011 präsentiert wurde, schloss sich ein Beteiligungsverfahren der Öffentlichkeit und des Braunkohlenausschuss an. In dem Ausschuss sind Vertreter der Kommunen, Landkreise, Verbände sowie der Organisationen BUND und Grüne Liga vertreten. Rund 4.800 teils erhebliche Einwendungen gingen ein.

Zustimmung des Braunkohlenausschuss im April

Von Ende Juni bis Mitte September 2013 lief ein zweites Beteiligungsverfahren. Dabei hatten die Landesplanungsbehörden unter anderem die Ziele im Braunkohlenplan überarbeitet - etwa beim Ausgleich für abgebaggerte Flächen, die Qualität der Gewässer im Tagebaugebiet sowie den neuen Standort von Proschim.

Die Unterlagen zum Entwurf des Braunkohleplans Welzow Süd II und zum Umweltbericht lagen bis zum 17. September in den betroffenen Gemeinden der Landkreise Spree-Neiße und Oberspreewald-Lausitz aus. Rund 185.000 Stellungnahmen wurden in diesem Zeitraum eingereicht - ein neuer Rekord.

Ende April 2014 schließlich gab der Braunkohlenausschuss grünes Licht für die neuen Pläne. Mit 15 zu acht Stimmen nahm er die Pläne zur Erweiterung von Welzow an. Diese Entscheidung galt als wegweisend für die Landesregierung.

Beim kleineren Koalitionspartner, der Linken, gab es dennoch lange Widerstand, auch weil der Protest von außen nicht nachließ: Ende Mai besetzte die Umweltschutzorganisation Greenpeace Teile der Bundeszentrale der Linken in Berlin. Doch das Votum der Brandenburger Genossen fiel trotzdem für die Erweiterung aus: Einige Tage vor der offiziellen Entscheidung des Kabinetts kündigte die Landesfraktionsvorsitzende Margitta Maechtig an, dass die vier Minister der Linken für die Erweiterung stimmen würden.

Endgültige Entscheidung über Welzow Süd II erst in einigen Jahren

Mit dem Kabinettsbeschluss für Welzow II ist allerdings noch nicht endgültig geklärt, ob Vattenfall dort wirklich Braunkohle fördern darf. Das wird letztlich auf Vergwaltungsebene in bergrechtlichen Genehmigungsverfahren geklärt. Das grüne Licht der Landesregierung legt dafür aber entscheidende Weichen, weil die Rechtsverordnung klar macht, dass das Land den Abbau für grundsätzlich notwendig für eine langfristige Energieversorgung hält.

Nach dem Beschluss ist das Landesamt für Bergbau, Gelogie und Rohstoffe (LBGR) in Cottbus für die weiteren Genehmigungsverfahren zuständig. Dessen Präsident Klaus Freytag geht davon aus, dass das Verfahren, wenn es wie vorgesehen im Herbst 2014 beginnen kann, ungefähr bis 2017/18 dauert. Am Ende dieses Verfahrens steht dann ein Planfeststellungsbeschluss - und gegen den sind rechtliche Schritte möglich. Freytag rechnet schon jetzt damit, dass es Klagen geben wird.

Chronologie des Verfahrens um Welzow Süd II

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  • 28.04.2014

    Der Braunkohlenausschuss stimmt mit 15 zu 8 Stimmen für Welzow II. Die mehr als sechsstündigen Verhandlungen in Cottbus werden von Protesten begleitet.

  • 10. bis 16.12.2013

    Zweiter Erörterungstermin in Cottbus. Die Betroffenen erhalten noch einmal die Gelegenheit, ihre Einwände zu erläutern.

  • 20.6. bis 17.9.2013

    Alle Betroffenen haben eine Chance, die Pläne einzusehen. Während der knapp drei Monate der Auslegung des Entwurfs werden rund 185.000 Stellungnahmen abgegeben.

  • 23.05.2013

    Sitzung des Braunkohlenausschusses mit Stellungnahme zum überarbeiteten Entwurf: Annahme der neuen Pläne (12 dafür, 7 dagegen, 1 Enthaltung)

  • 11.09. bis 14.09.2012

    Erster Erörterungstermin in Cottbus: rund 300 potenziell Betroffene erläutern der Planungsbehörde ihre Einwendungen. Daraufhin kündigt die Behörde an, die Pläne zu überarbeiten.

  • 01.09.2011 bis 30.11.2011

    Öffentliche Auslegung der Pläne und Beteiligungsverfahren; 4.800 Stellungnahmen gehen ein, zum Teil mit erheblichen Einwänden

  • 24.06.2009 – 25.05.2010

    Behördenvertreter treffen sich mit Naturschutzexperten und legen anschließend fest, welche Umweltauswirkungen des geplanten Tagesbaus wie intensiv geprüft werden solle.

  • 07.05.2009

    Braunkohleplanverfahren für sächsischen Teil von Welzow Süd II wird eröffnet (83 ha auf sächsischem Territorium)

  • 15.11.2007

    Braunkohleausschuss tagt, Planungsverfahren wird eingeleitet; zuständig ist die Gemeinsame Landesplanung Berlin Brandenburg (GL)

  • 19.07.2007

    Vattenfall Europe Mining AG stellt Antrag auf Erweiterung seiner Abbaugrenzen