Sendung vom 14.03.2001 - Schmidt, Harald

Günter Gaus im Gespräch mit Harald Schmidt

Ich will selber testen, wie weit man es treiben kann

Gaus: Haben Sie jüngst Geld verloren am Neuen Markt, Herr Schmidt?

Schmidt: Nein. Ich habe am Neuen Markt vor einem Jahr im März gekauft, bin etwa ein Vierteljahr drin geblieben und mit gutem Gewinn rechtzeitig ausgestiegen.

Gaus: Wer sagt Harald Schmidt so was? Wer sagt ihm: Steig aus!

Schmidt: Das ist mein Schutz vor Raffgier. Ich hatte mit Einzelwerten zum Teil 60 Prozent Gewinn gemacht. Das hat mir genügt.

Gaus: Nicht geflunkert?

Schmidt: Nein.

Gaus: Wenn Sie nicht geworden wären, was Sie mit großem Erfolg geworden sind, nämlich Fernseh-Entertainer, können Sie sich vorstellen, daß Sie auch kreative Lust nicht unbedingt auf eine Arbeit als Börsenmakler, aber als Unternehmer gehabt hätten?

Schmidt: Das weiß ich nicht. Ich empfinde jetzt Spaß an meiner unternehmerischen Tätigkeit. Aber der kommt natürlich notgedrungen, weil ich eine eigene Produktionsfirma habe und mich damit auseinandersetzen muß. Ich muß ein Team von 80 Leuten führen, es motivieren, Aufgaben delegieren. Ich weiß nicht, ob ich zum Unternehmerischen einen Zugang gefunden hätte, wenn ich nicht so eine Firma besäße. Ich hätte es wahrscheinlich auf Biegen und Brechen am Theater versucht.

Gaus: Darauf kommen wir noch. Aber jetzt haben Sie eine "Bonito"?

Schmidt: Ja.

Gaus: Weil die Spanier Ihre kleine Tochter so hübsch gefunden und Bonito genannt haben. Deswegen "Bonito". Später haben Sie festgestellt, Bonito ist irgend so ein Raubfisch …

Schmidt: ... ein geselliger Meeresraubfisch.

Gaus: Der gesellige Meeresraubfisch Harald Schmidt als Chef von "Bonito". Sind Sie nett zu Ihren Leuten oder sind Sie streng?

Schmidt: Ich bin nett.

Gaus: Sagen die das auch?

Schmidt: Ich glaube schon. Mein Ehrgeiz ist, einen Gewerkschafts- oder Betriebsrechtler mit verheulten Augen aus der Firma rauslaufen zu sehen, weil überall die Sonne scheint. Aber nicht unbedingt, weil ich sage: ›Ich bin ein guter Mensch.‹ Sondern weil ich festgestellt habe: Wenn ein Team motiviert wird, wenn man Leuten Anerkennung zuteil werden läßt, arbeiten sie mindestens um 50 Prozent effektiver.

Gaus: Wie groß ist Ihre Firma?

Schmidt: 80 Leute.

Gaus: Was ist der Umsatz?

Schmidt: Ungefähr 30 Millionen Mark.

Gaus: Sie produzieren dort Ihre eigene Late-Night-Show für Sat.1. Und dann produzieren Sie, glaube ich, Werbung für die Telekom. Was produzieren Sie noch?

Schmidt: Hauptsächlich Werbespots. Die Devise ist: Ich möchte nicht an sogenannten Kreativsitzungen teilnehmen müssen oder mit sogenannten Kreativen diskutieren. Das ist mir zu anstrengend und auch zu langweilig. Das kann ich schlecht aushalten. Wenn eine Werbeagentur mit einem fertigen Konzept kommt, setzen wir das technisch um. Egal, ob nun Beach-Volleyball in der Tschechei gewünscht wird oder sonst was.

Gaus: Sie machen mit Ihrem jüngeren Bruder auch irgend etwas im Internet-Geschäft.

Schmidt: Ja.

Gaus: Wieviel verstehen Sie vom Internet?

Schmidt: Nichts. Das heißt, ich surfe im Internet. Es sind aber im Grunde nur fünf Seiten, die ich anklicke. Ich komme manchmal per Zufall auf irgendwelche Seiten, die Ferienhäuser zur Vermietung anbieten.

Gaus: Ich will jetzt keinen Witz machen: Sie suchen eine Villa, wo nur zwei Fischer in der Nachbarschaft leben ... Die nicht?

Schmidt: Nee. Wie geht der Witz? Der ist von mir?

Gaus: Der ist von Ihnen.

Schmidt: Also, ich verstehe nichts davon.

Gaus: Was ist eigentlich das Geschäft dabei? Ich verstehe nämlich noch weniger.

Schmidt: Mit dem Internet?

Gaus: Ja.

Schmidt: Ich glaube, das Geschäft ist, daß alle Leute davon reden. Es werden Millionen und Milliarden investiert in diesen Satz: Im Internet liegt die Zukunft.

Gaus: Und liegt sie da nun?

Schmidt: Das kann ich nicht beurteilen. Aber da viele Leute bereit sind, Geld zu investieren, sage ich: Im Internet liegt die Zukunft. Wann das sein wird, können wir uns heute noch gar nicht vorstellen.

Gaus: Herr Schmidt, jetzt versuchen Sie mal zu definieren, worin Sie Ihre Kreativität oder Ihre stärkste Kreativität sehen. Was ist das, wo Harald Schmidt sagt: da bin ich nun wirklich bemerkenswert kreativ?

Schmidt: Ich glaube, ich verfüge über eine gewisse Schlagfertigkeit. Und ich denke, daß ich die Fähigkeit habe, einen völlig alltäglichen Vorgang, den schon jeder einmal erlebt hat, knapp und leicht vergröbert und überhöht so zu schildern, so daß er vom Publikum als witzig empfunden wird.

Gaus: Zur Person Harald Schmidt: Geboren am 18. August 1957 in Neu-Ulm, aufgewachsen in der schwäbischen Kleinstadt Nürtingen in einem katholischen Elternhaus, der Vater ein Verwaltungsangestellter, die Mutter Kindergärtnerin. Sind Sie Ihren Eltern oft auf die Nerven gegangen mit Ihrem Darstellungstrieb? Oder war da überwiegend Stolz?

Schmidt: Ich glaube, es war das Zweite. Es waren sehr unterhaltsame Familiennachmittage. Wir haben in einer kleinen Wohnung gewohnt. Wir hatten auch noch die Großmutter bei uns. Erst habe ich sehr oft Priester gespielt. Ich habe mir das Badetuch umgehängt, gepredigt und Oblaten als Hostien verteilt. Später habe ich angefangen, bei Kaffeerunden die Nachbarn nachzumachen und Lehrer zu imitieren. Ich habe mitunter zwei Stunden bei solchen Kaffeenachmittagen geredet, und alle anderen haben zugehört und gelacht. Das war so ein Darstellungszwang.

Gaus: Gab es da nicht die Gefahr, daß die Eltern irgendwann ins Grübeln kamen und sich fragten: Was haben wir da ausgebrütet?

Schmidt: Das glaube ich nicht, weil vor allem mein Vater sehr erfolgsorientiert war, zuerst als staatlicher und dann als Angestellter bei der Stadt Stuttgart. Deshalb war für ihn wichtig, daß ich immer staatliche Beglaubigungen der Begabungen nachweisen konnte. Zuerst von der kirchlichen Musikschule in Rottenburg am Neckar. Dann von der Staatlichen Schauspielschule in Stuttgart. Vom Württembergischen Staatstheater, wo ich zum ersten Mal ...

Gaus: Das bedeutete ihm was. Aber Ihre Mutter? War sie irritiert über ihren ältesten Sohn?

Schmidt: Meine Mutter kam aus Südmähren. Ihr Kommentar erschöpfte sich immer in: 'Bua, Bua, Bua.' Ich habe zum Trost meinen Eltern im Wohnzimmer fiktive Feuilleton-Hymnen über mich vorgelesen.

Gaus: Wann ungefähr war das?

Schmidt: Da war ich ungefähr 16. Mein Vater lag auf der Couch und erklärte dazu: 'Kümmere dich lieber mal um die Schule.' Meine Mutter kam aus der Küche und sagte nur: 'Bua, Bua, Bua.'

Gaus: Sie sind einmal sitzengeblieben.

Schmidt: Ja.

Gaus: Würden Sie mir den Gefallen erweisen und diese wunderbare Geschichte erzählen, die ich bei der Vorbereitung fand. Jene, wie Sie in der Turnhalle Ihres Gymnasiums eine Übung am Reck gemacht haben. Bitte.

Schmidt: Das war eine Übung, die die Anmeldenote fürs Abitur war. Also nicht so unwichtig. Ich ging also blaß und mit schlechter Haltung an das Reck und habe mir minutenlang die Hände mit Magnesia eingerieben.

Gaus: Wirklich minutenlang?

Schmidt: Ja, ja. Es johlten untere Klassen auf den Rängen. Ich war nämlich der Schulclown. Dann habe ich mich konzentriert, wie ich es so bei den Russen, Goldmedaillen-Gewinnern bei den Olympischen Spielen, gesehen hatte. Dann habe ich Haltung angenommen, und ging unters Reck, habe mich noch einmal konzentriert, mich schließlich am Reck hochgezogen und wieder runtergelassen, habe mich zum Lehrer hin verbeugt – und ging ab.

Gaus: Wie stark ist die katholische Prägung bei Harald Schmidt geblieben? Ist sie stärker geworden beim Älterwerden?

Schmidt: Ja. Das hätte ich selber nicht gedacht. Wegen des Orgelspielens war ich so eine Art Berufskatholik und in dieser Kirchenabwicklungsmaschinerie. Man hat von Ostern zu Pfingsten gedacht, von Pfingsten zu Fronleichnam, das ganze Kirchenjahr durch. Es ging immer darum: welche Choräle müssen vorbereitet, wie muß die Kirche umdekoriert werden. Schaffen wir es noch rechtzeitig, das Kreuz am Karfreitag abzuhängen, die Putzfrauen sind wieder nicht fertig geworden ... Also die praktische Seite.
In den letzten Jahren habe ich festgestellt, daß doch ein Fundament da ist, von dem ich gar nicht geahnt hätte, daß es das gibt. Im Kabarett ist ja antikatholisches Denken Pflicht. Der Papst ist böse, verbietet die Pille, und im Vatikan soll’s Machenschaften geben ... Dann habe ich festgestellt, daß man sich mit dieser Sichtweise Möglichkeiten verbaut, und beschlossen, der größte Verehrer des Papstes auf Erden zu werden.

Gaus: Sie haben drei Kinder. Waren das alles Wunschkinder, geplante Kinder?

Schmidt: Ich glaube, aus Sicht der Mütter schon.

Gaus: Und aus Sicht des Vaters?

Schmidt: Wurde es von Mal zu Mal weniger überraschend. Ich war natürlich mit meiner katholischen Mutter belastet. Das war nicht ganz einfach. In Deutschland sind meine Kinder, sehr bürokratisch formuliert, nichteheliche Kinder.

Gaus: Sie sind von zwei Frauen.

Schmidt: Mein ältester Sohn ist von einer Russin.

Gaus: Und Sie haben eine Tochter und einen Sohn von Ihrer jetzigen Lebensgefährtin, einer Lehrerin.

Schmidt: Wir leben als Familie zusammen. Wir waren sehr erleichtert, als ich den französischen Ausdruck dafür fand: enfant naturelle.

Gaus: Die Frage war: Wie hat der Erzeuger der Kinder reagiert, als es die Wunschkinder der Mütter wurden? Waren es dann auch Ihre?

Schmidt: Ziemlich schnell. Ich war, als mein erster Sohn geboren wurde, schon 36. Anfänglich war das eine etwas chaotische Situation. Aber ich habe mir dann gesagt: Wenn es nach mir gegangen wäre, wäre es wahrscheinlich nie der richtige Zeitpunkt gewesen. Immer hatte es geheißen: Jetzt gerade nicht. Dann war das einfach so. Und mittlerweile bin ich ein begeisterter Vater.

Gaus: Jetzt kommen wir noch einmal auf den Papst. Was ist Ihre Einstellung zu päpstlichen Haltung gegenüber Schwangerschaftsabbruch?

Schmidt: Der Papst muß diese Meinung vertreten. Wenn er den Schwangerschaftsabbruch freigibt, gibt er eine ganz zentrale Position frei.

Gaus: Das ist richtig, denke ich. Aber gefragt habe ich, was Sie von der Position denken? Sie sind nicht der Papst. Sie könnten sie aufgeben.

Schmidt: Das ist richtig. Aber die katholische Kirche funktioniert so, daß der Papst diese hohe ethische Meßlatte vorgeben muß und es danach wieder Möglichkeiten gibt für den einfachen Gläubigen, subjektive ...

Gaus: Ich muß mich also nicht kümmern um das, was nach dieser hierarchischen Deutung der katholischen Kirche die oberste Spitze dieser Hierarchie sagt, sondern der muß das sagen. Ist das die Meinung von Harald Schmidt?

Schmidt: Ja.

Gaus: Sie haben Ihr jüngstes Kind, einen Sohn, bei der Geburt abgenabelt. Sie haben die Nabelschnur durchtrennt. Können Sie Ihre Empfindungen beschreiben?

Schmidt: Das war großer Stolz und große Erleichterung, daß alles gut verlaufen ist. Ich wollte eigentlich nicht bei dieser Geburt dabei sein, weil man heutzutage als Vater schon zwangsverpflichtet wird, bei der Geburt dabeizusein. Mich störte diese abgegriffene Formulierung von anderen Vätern: 'Es war der größte Augenblick in meinem Leben' usw. Ich stand im Kreißsaal und habe diese Sätze in mir gehört. Und ich habe mich gefragt: 'Bist du jetzt verpflichtet, das auch als den größten Augenblick in deinem Leben zu empfinden?' Ich war sehr stolz und sehr erleichtert. Ich muß ehrlicherweise sagen: Der Augenblick, als ich zwei Stunden alleine auf der Bühne des Burgtheaters stand ...

Gaus: ... und gelesen habe ...

Schmidt: ... und gelesen habe, war ich näher dran an meiner subjektiven Empfindung. Ich hoffe, meine Kinder werden es mir verzeihen. Und später sagen: ›So war der Alte eben.‹

Gaus: Harald Schmidt hat das Abitur gemacht, Zivildienst geleistet, Orgel gespielt. Er ist ausgebildeter Kirchenmusiker, hat gelegentlich den Kirchenchor dirigiert. Dann drei Jahre Staatliche Schauspielschule in Stuttgart, kleinere Rollen am Augsburger Stadttheater, wo mein Freund Hepp ihn rezensiert hat. Als Kabarettist getingelt, mitgearbeitet beim berühmten "Komödchen". Seit 1988 Fernsehsendungen verschiedener Art. Seit 1995 die Late-Night-Show. Als Harald Schmidt angefangen hat, darüber nachzudenken oder Empfindungen davon zu konkretisieren, wollte er immer ein Selbstdarsteller werden. Ist das, was Sie sind, ein Selbstdarsteller?

Schmidt: Ja.

Gaus: Und das war es, was Sie sein wollten?

Schmidt: Das wußte ich erst, als ich es in ziemlich annähernder Perfektion wurde. Zuerst habe ich geglaubt, ich würde Schauspieler werden.

Gaus: Darauf wäre ich jetzt gekommen. Das ist für Sie nicht dasselbe?

Schmidt: Nein.

Gaus: Können Sie den Unterschied nennen zwischen einem Schauspieler, einem bedeutenden Schauspieler und einem bedeutenden Selbstdarsteller, wie Harald Schmidt einer ist?

Schmidt: Ein großer Schauspieler schafft meiner Meinung nach das Verschwinden der eigenen Person hinter der Figur. Aber immer bleibt die Persönlichkeit des großen Schauspielers sichtbar. Bei mir bleibt eigentlich immer nur Harald Schmidt oder die Kunstfigur Harald Schmidt sichtbar. Ich schaffe es nur sehr begrenzt und vor allem sehr kabarettistisch, eine andere Figur herzustellen.

Gaus: Inwieweit ist die Kunstfigur Harald Schmidt inzwischen stärker geworden als der Mensch Harald Schmidt?

Schmidt: Die Kunstfigur wird wieder weniger. Ich war kürzlich bei einem Konzert von Eric Clapton, und da fiel mir das auf. Eric Clapton mit der erstklassigen Band steht nur noch auf der Bühne und spielt. Junge Bands liefern noch den Gestus und die Darstellungsmechanismen von Rockmusikern. Man wirft auch noch mal eine Gitarre in den Lautsprecher. Wenn Sie ein gewisses Level erreicht haben, brauchen Sie das nicht und können wieder normal werden.

Gaus: Sie haben mal gesagt: Ich will es so weit bringen, daß – nur weil ich da bin – das Publikum vor Begeisterung rast. Sie sind ein Hypochonder, nicht wahr?

Schmidt: Ja.

Gaus: Ganz ehrlich? Oder ist das ein bißchen Show?

Schmidt: Seit ich gemerkt habe, daß das einem Teil der Presse so gut gefällt, kultiviere ich es natürlich ein bißchen.

Gaus: Ich werde Sie nicht danach fragen. Ein Kabarettist will gewöhnlich eine Botschaft loswerden. Welche Botschaft hatte der Kabarettist Harald Schmidt?

Schmidt: Das war mein Problem beim "Komödchen". Ich wollte eigentlich nur der Lustigste sein und der, bei dem die Leute am meisten klatschen. Das "Komödchen" hatte dank Lore Lorentz eine Botschaft. Sie haben immer gesagt, sie wollen das andere, das bessere Deutschland.

Gaus: Ein Ziel, aufs innigste zu wünschen.

Schmidt: Natürlich. Aber mir selber war immer relativ egal, wer Bundeskanzler ist. Ich wollte einfach rauskommen und Witze machen.

Gaus: Haben Sie sich an Gerhard Schröder als Bundeskanzler gewöhnt, oder wollen Sie ihn sich abgewöhnen?

Schmidt: Nein, da bin ich emotionslos. Das Schöne an der Late-Night-Show ist: Schröder ist der zweite Kanzler in meiner Amtszeit. Und das Idol Johnny Carsen hat sieben US-Präsidenten, den Korea-Krieg, den Vietnam-Krieg usw. in seiner Amtszeit erlebt. Das werde ich wahrscheinlich nicht mehr hinbekommen. Die Kriege hoffentlich sowieso nicht. Aber sieben Kanzler könnten es vielleicht noch werden.

Gaus: Wollen Sie hiermit sagen, Sie seien in Ihrer Grundhaltung konservativ?

Schmidt: Ja.

Gaus: Beschreiben Sie bitte, was konservativ ist.

Schmidt: Ein kleines Wertesystem. Ein Mißtrauen allem Neuen gegenüber. Den Satz 'Früher war alles wesentlich besser' sage ich nur deshalb nicht, weil ich weiß, daß man dadurch so alt wirkt.

Gaus: Aber Sie finden schon, es war früher alles besser?

Schmidt: Nicht alles, aber … Sollen mal die Jungen machen.

Gaus: Nennen Sie mal ein, zwei oder drei Werte, von denen Sie sagen: ›An denen werde ich nicht rütteln lassen. Da relativiere ich nicht. Das sind meine konservativen Grundwerte.‹

Schmidt: Eine intakte Familie.

Gaus: Warum dann zwei Frauen für drei Kinder? Warum nicht drei Kinder von der einen Frau?

Schmidt: Das mit der intakten Familie wurde mir erst klar, nachdem die Situation so war. Eine klassische Ausbildung der Kinder, überhaupt eine optimale Ausbildung. Dazu gehört das Erlernen eines Instruments und im Groben auch die Orientierung an Werten, wie sie …

Gaus: ... das Christentum ...

Schmidt: ... das Christentum, nicht unbedingt die katholische Kirche, sondern das Christentum, vorgibt.

Gaus: Sie haben einmal gesagt, es gäbe keinen Komiker aus der Oberschicht. Komiker kämen gesellschaftlich weiter von unten, aus sozialen Unterschichten.

Schmidt: Ja.

Gaus: Nun kann es sein, daß Sie das, wie manches andere, auch einfach nur so sagen, weil es sehr eindrucksvoll klingt. Sie meinen es ernst. Können Sie es begründen?

Schmidt: Ja, ich habe überlegt, ob mir einer einfällt.

Gaus: Toto, der italienische Komiker, den der Malteserorden abgelehnt hatte aufzunehmen, obwohl er nachgewiesen hatte, daß sein Stammbaum zurückgeht bis auf Caligula, den römischen Kaiser. Aber dazwischen gab es viele uneheliche Geburten ... Toto war Oberschicht.

Schmidt: Das wäre aber einer gegenüber zehn anderen.

Gaus: Wie erklären Sie sich das?

Schmidt: Ich würde es noch ergänzen: Es gibt auch keinen Komiker, ich kenne zumindest keinen, der Erfolg bei Frauen hatte, bevor er komisch wurde.
Komik ensteht aus einem Gefühl des Sich-zurückgesetzt-Fühlens. Man ist entweder unsportlich, oder man ist der Schulclown. Man muß sich Aufmerksamkeit verschaffen mit Mitteln, die jemand, der zum Beispiel ein schöner Mensch ist oder ein erfolgreicher Sportler, nicht braucht. Richard Gere ist nicht lustig.

Gaus: Und Oberschicht hat Geld und muß sich nicht ...

Schmidt: Hat vielleicht auch nicht diese Träume, es irgendwohin bringen zu wollen. Wenn Sie in einem sehr reichen Elternhaus aufwachsen, sind die Spielregeln sehr viel strenger.
Ich weiß noch genau, als ich zum ersten Mal mit 15 als Schüler in London war. Dort hing ein großes Plakat mit Clint Eastwood am Piccadilly Circus. Der Film hieß "The high plains drifter" Und ich stand davor und sagte: Eines Tages steht da dein Name. Es war nicht London, aber in gewisser Weise hat es funktioniert.

Gaus: Haben Sie es zu allem gebracht, was Sie werden wollten?

Schmidt: Ja.

Gaus: Außer Schauspielerei?

Schmidt: Da hatte ich das Glück zu merken, daß dieser Traum rechtzeitig ausgeträumt war. So ist mir eine frustrierte Kantinen-Schauspieler-Laufbahn erspart geblieben, die sich nur noch in Schimpfen und ›An den Kammerspielen sind die auch nicht besser‹ ergeht. Ich hatte das große, große Glück, immer näher zu mir selbst zu kommen.

Gaus: Sie haben mit Polenwitzen, mit Zoten, mit Taktlosigkeit als "Dirty Harry" Ihre Late-Night-Show begonnen. Seit einiger Zeit wirken Sie gelegentlich professoral, bieten dem Publikum Bildung an. Ist das eine neue Masche, Distanz zum Publikum zu halten, zu bewahren, zu vergrößern. Ist es eine Form von Überhebung?

Schmidt: Nein. Die Sache mit den Witzen über Polen bezog sich ja nur darauf, daß Autos geklaut werden. Das war aber nach einer gewissen Zeit durch. Das war bei mir schon durch, bevor die große Aufregung begann. Es kam dann der Punkt, daß ich gesagt habe: Ich bin jetzt seit 20 Jahren am Theater und beim Fernsehen. Ich hatte das Gefühl, jeden Witz schon mal gemacht zu haben. Außerdem brach die große Spaßgesellschaft rings um mich herum aus. Ich hatte das Gefühl, ich sollte ein neues Feld finden, und dachte mir: Jetzt muß Shakespeare, Schubert, Picasso usw. ran, denn das kann in diesem Leben nicht mehr aufgearbeitet werden. Es war die Einführung einer Kultursendung durch die Hintertür. Da steht ein Fundus parat, der von mir überhaupt nicht abgearbeitet werden kann.

Gaus: Wie lange wird das Publikum mitspielen?

Schmidt: Ich glaube lange. Denn mir ist ja jetzt der Wechsel geglückt. Bisher war ich Dirty Harry. Jetzt können Sie überall lesen: ›Quält uns mit Bildungsbürgertum, gibt sich sehr oberlehrerhaft.‹ Das ist nach fünf Jahren schon ein geglückter Richtungswechsel, ohne das eigentliche Feld zu verlassen.

Gaus: Was ist das eigentliche Feld?

Schmidt: Daß die Zuschauer glauben, es wäre eine Unterhaltungssendung. Vor allem der Sender.

Gaus: Unlängst haben Sie in Ihrer Sendung Heinrich Heines Ballade, vertont von Schumann, über die Klage der französischen Grenadiere über die Gefangenschaft ihres Kaisers gesungen: "Mein Kaiser, mein Kaiser gefangen ..."

Schmidt: Ja.

Gaus: Welchen Effekt wollten Sie damit erzielen?

Schmidt: Mir ging es eigentlich nur darum, das Lied mal zu singen. Das war mein Leib- und Magenstück im Musikunterricht. Wir waren damals acht Jungen – es war ein gemischtes Gymnasium, aber die Mädchen hatten sich abgemeldet –, und das Lied haben wir jede zweite Stunde gesungen. Das konnten wir im Schlaf. Es beginnt: "Mein Kaiser, mein Kaiser, laß sie betteln gehen, wenn sie hungrig sind ..." Und es ist noch was ganz Banales. Schumann hat ja im letzten Teil des Liedes Die Marseillaise eingearbeitet. Und ich singe unglaublich gern die Marseillaise.

Gaus: Ist das der Versuch, mit Arroganz Erfolg zu haben, weil das Publikum verblüfft ist, daß ihm Anderes als erwartet geboten wird?

Schmidt: Arroganz ist es nicht. Es ist der Wunsch, Erfolg zu haben mit etwas, was eigentlich in den Schubladen verstaubt, wo niemand damit rechnet, daß ich das in diesem Augenblick mache.

Gaus: Aber den Leuten soll es ja doch gefallen?

Schmidt: Ja.

Gaus: Glauben Sie daran, daß das auf Dauer gefallen kann?

Schmidt: In der richtigen Dosierung ja.

Gaus: Was bedeutet Ihnen Stefan Raab?

Schmidt: Ein kommerziell außergewöhnlich erfolgreicher Kollege, den die Medien als Konkurrenten von mir etablieren. Für mich war von Anfang an klar, daß ich nie in diese Konkurrenz eintreten werde.

Gaus: Nun ist es nicht allein in die eigene Entscheidung gestellt, ob man in die Konkurrenz eintritt oder ob man von denen, die Stimmung machen, und Stimmung macht auch Quote, in die Konkurrenz hineingedrängt wird. Fühlen Sie sich da gedrängt?

Schmidt: Nein. Ich sehe mit großem Interesse und mit sehr großem Lustgewinn die Versuche, die Konkurrenz einmal pro Woche mit neuen Artikeln zu verschärfen. Aber da habe ich mich rechtzeitig an der Politik orientiert: Der Amtsinhaber geht einfach nicht in Diskussion mit dem Herausforderer.

Gaus: Wie offen kann einer sein, der so sehr das Publikum bedienen will, weil er das ganz redlich als seine Aufgabe ansieht, aber sich auch dem Publikum nicht unterwerfen will? Wie offen kann ein solcher Mensch seine wirkliche Meinung über das Publikum im Fernsehen äußern?

Schmidt: Man braucht nur eine Klientel von grob einer Million Zuschauer pro Abend zu bedienen.

Gaus: Nun seien Sie doch mal ganz offen über diese eine Million.

Schmidt: Diese eine Million sind Leute, die diese Sicht auf die Dinge, die ich jeden Abend vertrete, teilen, oder vielleicht auch hassen, aber aus aggressiven Gründen jeden Abend einschalten. Und ich nehme das Publikum sehr, sehr ernst, weil es meine Kundschaft ist.

Gaus: Wie weit ist das, was Sie jetzt definiert haben, möglicherweise Selbstbetrug – den Sie sich gönnen, weil Sie sonst annehmen müßten, die Leute kämen nur dorthin, wo der ist, der so berühmt ist. Wo das Fernsehen stattfindet, da wollen sie sein. Die wollen nicht dahin, weil Sie mit Ihnen auf einer Wellenlänge sind oder weil sie Ihre Wellenlänge verabscheuen und ihren Abscheu sich neu aufladen lassen wollen. Sondern: Sie wollen hin zu der Prominenz. Ganz egal, was die Prominenz macht. Will das Publikum Ihrer Meinung nach in seiner Mehrheit einfach nur so eine Sendung, oder will der eine Teil zu Stefan Raab und der andere zu Harald Schmidt?

Schmidt: So ist es.

Gaus: Da sind Sie sicher?

Schmidt: Das weiß ich hundertprozentig. Denn ich habe auch mal geglaubt, ich könnte mit "Verstehen Sie Spaß?" die große Masse am Samstagabend erreichen. Mein Irrtum damals war anzunehmen, das deutsche Fernsehpublikum würde sagen: Jawohl, das ist die Art von Unterhaltung, die wir wollen. Endlich kommt einer und macht es. Ich habe zum Teil schmerzhaft erfahren, daß es nicht so ist. Ich bin davon geheilt und weiß, daß das Publikum, das nur dort sein will, wo das Fernsehen ist, bei den großen Shows am Samstagabend zu finden ist. Was ich mache, ist für eine ganz spezielle Klientel, etwas, das wir durchgemogelt haben durch das Fernsehen. Jetzt glaube ich, es ist da.

Gaus: Handeln Sie nur aus Erfahrung, oder sind Sie jemand, der mehr mit dem Kopf oder mehr mit Gefühl handelt?

Schmidt: Gefühl weniger, vielleicht Instinkt. Ich freue mich schon über Fehler, die andere stellvertretend für mich machen.

Gaus: Die nehmen Sie auch wahr?

Schmidt: Das glaube ich schon.

Gaus: Wie gut vertragen Sie Kritik?

Schmidt: Wenn die Ebene stimmt, auf der die Kritik kommt, oder wenn sie manchmal so ganz dumpf an mich herangeschrieen wird, aber es ist etwas Wahrhaftiges drin, kann ich gut damit umgehen. Aber ich bin keiner, der jeden fragt: ›Was hältst du denn davon?‹ Ich weiß schon, wie es geht. Aber trotzdem braucht man natürlich immer wieder so eine Feinabstimmung. Manchmal suche ich auch das Gespräch mit Leuten, um so ein Gefühl, das ich habe, bestätigt oder auch nicht bestätigt zu kriegen. Man hat zuweilen das Gefühl, mal in die oder in jene Richtung gehen zu müssen.

Gaus: Können Sie eine Kritik benennen, nicht die Kritiker oder die Kritikerin, sondern den Inhalt einer Kritik aus der letzten Zeit, bei der Sie nachdenklich geworden sind und gesagt haben, da könnte was dran sein?

Schmidt: In der letzten Zeit ist es insofern schwierig, weil da ...

Gaus: Nehmen Sie die ›letzte Zeit‹ weg, nennen Sie ein Beispiel unabhängig von der Zeit.

Schmidt: Das war eigentlich bei allen großen Kritiken so. Ich sagte immer das Negative. Das weiß ich, das ist so. Ich habe – und das mag pathologisch sein – einfach die Fähigkeit, die zwei positiven Aspekte, die sich in jeder Kritik finden lassen, auf mich zu beziehen und zu sagen: Bitte, jetzt schreibt es auch "Die Zeit".

Gaus: Das war jetzt keine Pointe, sondern eine Realitätsbeschreibung.

Schmidt: Das ist so. Ich habe da eine große Nähe von mir zu Helmut Kohl festgestellt. Schon damals sagte ich mir: Moment mal, dieser Mann liest seit Jahren in der Zeitung, er sei am Ende. Und er wäre nicht mal nach der verlorenen Wahl 1998 am Ende gewesen, wenn er abgegangen wäre. Er wäre heiliggesprochen worden.
Das zeigt einfach: So lange man am Drücker sitzt oder in Amt und Würden ist, ist es relativ egal, was um einen herum gesagt und geschrieben wird, wenn man nicht selber die Nerven verliert.

Gaus: Was könnte Harald Schmidt veranlassen, die Nerven zu verlieren?

Schmidt: Die schwierigste Situation für mich war die familiäre Situation, bis ich das mit meinen Kindern stabilisiert und eingerenkt hatte.

Gaus: Mit allen beiden eingerenkt?

Schmidt: Ja. Das lief parallel mit meiner Antrittszeit bei "Verstehen Sie Spaß". Das hätte als Druckmittel von außen schon gereicht. Das war so ein erster großer Schritt. Und dann kam die harte Anfangsphase meiner Show, wo auch fast die gesamte Presse der Meinung war ›Das geht nicht länger als vier Wochen.‹ Nachdem ich da durch war, habe ich eigentlich so alles abgehakt.

Gaus: Leiden Sie manchmal noch darunter, oder ist Ihnen das inzwischen wirklich egal, was geschrieben wird?

Schmidt: Es ist mir nicht egal. Ich bin natürlich, was man nicht vermuten würde, sehr eitel. Aber ich habe das Glück, daß im Zusammenhang mit der Fünf-Jahres-Etappe meiner Show so eine erste Form von sanfter Heiligsprechung erfolgt ist.

Gaus: Selbstheiligsprechung?

Schmidt: Durch die Presse.

Gaus: Das läßt doch in der letzten Zeit wieder ein bißchen nach, oder?

Schmidt: Habe ich nicht bewußt so wahrgenommen.

Gaus: Wer liest denn für Sie die Zeitungen?

Schmidt: Ich selber.

Gaus: Majestät brauchen Sonne, oder?

Schmidt: Das ist richtig, ja. Aber bei mir sind beide Arme gleich lang.

Gaus: Sie sind ein Bildungsprotz, nicht?

Schmidt: Ja.

Gaus: Sind Sie ein Zyniker?

Schmidt: Ich fand das mal eine Zeitlang sehr chic, als ich gelesen hatte, daß Rudolf Augstein so stolz darauf sei, ein Zyniker zu sein. Dann habe ich festgestellt, daß der Begriff Zynismus inflationär gebraucht wird von sehr, sehr vielen Leuten, die mit Sicherheit nicht wissen, was es bedeutet. Wenn Sie lachen, weil einer auf der Bananenschale ausrutscht, heißt es gleich: Sie sind ein Zyniker. Da habe ich beschlossen, dieses Vor-sich-Hertragen des Zynismus abzustellen. Auch weil mir Klaus Peymann gesagt hat, eine zynische Haltung schließe einen von sehr vielem aus. Sie lähme die Empfindungsfähigkeit. Wenn Sie alles gleich ironisch sehen, berauben Sie sich natürlich verschiedener Möglichkeiten, vielleicht neue Erfahrungen zu machen.

Gaus: Sind Sie ein Melancholiker?

Schmidt: Zum Teil.

Gaus: Gibt es etwas, das Ihnen das Wasser in die Augen treiben könnte?

Schmidt: Ja, das wird mehr. Das hat damit zu tun, daß ich Kinder habe. So ein Fall wie die Entführung und Ermordung dieses Mädchens Ulrike, das ist doch für jeden, der Kinder hat ...

Gaus: Ich habe nach dem Wasser in den Augen gefragt.

Schmidt: Ja, das ist so.

Gaus: Also wirklich im Aufgewühltsein – bis dahin?

Schmidt: Wenn ich mir die Situation vorstelle, wie die Eltern nach 14tägiger Ungewißheit in das Gerichtsmedizinische Institut zu gehen und die Leiche zu identifizieren hatten ...

Gaus: Witze, haben Sie gesagt, kann ich doch nur machen über Dinge, über die man nach allgemeiner Auffassung keine Witze machen darf, keine Witze machen soll. Aber Sie haben sich auch gehütet, über den Kosovo-Krieg Witze zu machen.

Schmidt: Ja.

Gaus: Also, einerseits sagt der Profi: Ich muß, um Witze reißen zu können, Grenzen des an sich allgemeinen Geschmacks oder Grenzen von Tabus überschreiten. Andererseits sagt der Publikumsdompteur: Aber dann gibt es Grenzen, die ich doch beachten muß.

Schmidt: Eigentlich ärgere ich mich darüber, daß ich keine Witze gemacht habe. Aber ich sehe das natürlich im nachhinein deutlicher. Ich war auch überrascht von dieser Situation. Und mir war natürlich auch nicht klar, welche Meinung ich eigentlich zu diesem Krieg haben sollte. Ich hätte vielleicht ein, zwei Bücher, die ich später gelesen habe, damals schon gelesen haben sollen, dann wäre mir das auch klar gewesen. Ich hole mir in solcher Situation Hilfe von den amerikanischen Leuten, die selbst in so einem Fall mit nichts Probleme haben. Da wird einfach stramm gestanden und Patriotismus geflaggt. Letterman hat seine Show für die Truppen in Bosnien übertragen. Natürlich mit aller ironischen Distanz, aber da fallen Eins-zu-Eins-Sätze wie: "Our prayers are with them. God bless them. They’re doing a great job." Da wird nicht gefragt, warum die Amerikaner in Bosnien sind. Sondern der Humor bezieht sich darauf, daß man nicht weiß, wo Bosnien liegt. Das war der Einstiegsgag. Aber es ist keine Frage, daß dort ein Patriotismus gefahren wird, den man sich bei uns nicht erlauben könnte, wenn Sie nicht sofort in eine dunkle rechte Ecke gestellt werden wollen.

Gaus: Bedauern Sie, daß hier dieser Patriotismus aus Gründen, die wir kennen, nicht so ungebrochen, wie ihn David Letterman in den USA praktiziert, im Schwange sein kann?

Schmidt: Ja.

Gaus: Denn darum geht es ja. Sie würden es gerne so haben wie in Amerika.

Schmidt: Es würde die Sache für mich wesentlich einfacher machen und insgesamt zur Entspannung der deutschen Befindlichkeit und zur Entkrampfung beitragen. Wenn die französische Fußballnationalmannschaft spielt, hat Jacques Chirac eine Trikolore um den Hals hängen und 80.000 Leute singen "Allons, enfants de la patrie". Natürlich ist das die Hymne der Revolution, bei der auch der eine oder andere zu Schaden gekommen ist. Stellen Sie sich diese Situation mit der deutschen Hymne vor, sogar mit der richtigen Strophe? Sie würden sofort Bedenkenträger finden, die sagen: Vorsicht!

Gaus: Das können Sie gar nicht verstehen?

Schmidt: Doch. Natürlich kann ich das verstehen.

Gaus: Verwächst sich das, oder rechnen Sie darauf, daß der Nachfolger von Harald Schmidt in dreißig, vierzig Jahren dann so sein kann wie der Nach-Nach-Nachfolger von David Letterman?

Schmidt: Ich glaube, daß das gar nicht mehr notwendig ist, weil dann die Konzerne endgültig alles organisieren werden und wir so etwas wie Nationalgefühl gar nicht mehr kennen.

Gaus: Halten Sie nicht für möglich, daß die Konzerne genau das brauchen, um willige Arbeitskräfte zu haben?

Schmidt: Aber dann auch konzerninteressengeprägt. Da bin ich eben Nike oder Daimler-Chrysler oder Toyota. Es spielt dann keine große Rolle mehr, ob man Franzose oder Russe ist.

Gaus: Meine Vermutung geht dahin: Die Konzerne, so global sie werden können – sie werden wahrscheinlich nicht so global werden, wie sie es sich denken, aber so global wie möglich –, werden sogar das französische, das deutsche, das japanische Nationalgefühl wieder entdecken und fördern, weil es immer noch der stärkere Emotionsmotor sein kann. Halten Sie das für möglich?

Schmidt: Ich glaube, da haben Sie recht.

Gaus: Schildern Sie bitte das Entstehen einer Late-Night-Show. Wie viele Texteschreiber haben Sie?

Schmidt: Acht, die im Studio sitzen, und zehn bis fünfzehn, die per Fax von außerhalb liefern.

Gaus: Und die per Fax sind nicht dankbare Zuschauer und -hörer, die sagen: ›Ich hab’ einen Witz‹, sondern die Schreiber sind dafür da.

Schmidt: Richtig.

Gaus: Das wird von jemandem gesammelt, und dann wird er das dem Harald Schmidt vorlegen.

Schmidt: Genau.

Gaus: Wann passiert das?

Schmidt: Um 16 Uhr legt er mir das vor, und um 18 Uhr zeichnen wir auf.

Gaus: Was passiert zwischen 16 und 18 Uhr?

Schmidt: Nachdem ich die etwa fünfzig Witze gelesen habe, das dauert einige Minuten, nehme ich dann so acht bis zwölf. Danach ist eine Probe, die der Redaktionsleiter Manuel Antrack macht. Die schaue ich mir am Fernseher an. Hinterher gibt es noch mal eine kurze Besprechung, ob wir alles so lassen, ob wir Teile rausnehmen, oder ob wir einzelne Elemente verschieben. Dann gehe ich in die Maske, sage den Gästen kurz ›Hallo‹. Dann wird aufgezeichnet.

Gaus: Sie lassen sich die Gags alle vorlegen. Haben Sie selber welche bei? Oder ist Ihr Job, Ihre Begabung, Ihre Kreativität das Präsentieren?

Schmidt: Das Präsentieren. An guten Abenden komme ich auch durch Improvisation dahin, daß ich das Ganze noch ein bißchen ...

Gaus: Das ist geschieht dann aus dem Stegreif?

Schmidt: Richtig.

Gaus: Seit einiger Zeit sitzt der eben erwähnte Manuel Antrack, der Leiter Ihrer Redaktion, im Hintergrund und reagiert auf den Herrn und Meister. Sie haben schon einmal mit einem Partner – mit Feuerstein in "Schmidteinander" – zusammengespielt. Es gibt aber Unterschiede. Ich möchte allgemein wissen: Warum braucht Harald Schmidt einen zweiten Menschen als Spielball? Ist das eine Marotte?

Schmidt: Weil es die Möglichkeit gibt, Themen in der Sendung abzuhandeln, die ich direkt in die Kamera nicht abhandeln könnte. Auch das habe ich natürlich bei den Amerikanern gesehen, wo die mittlerweile zu dritt sind. Da ist der Announcer, der die Künstler ankündigt, es ist der Band-Leader mit drin und die Producerin. Und eigentlich wird immer so erzählt: Am Wochenende bin ich einkaufen gegangen und, und. Das Publikum schaut sich quasi diesen Monolog mit Partner an.

Gaus: Es ist eine kleine Art von Theater, nicht?

Schmidt: Ja.

Gaus: Ein Zwei-Personen-Stück.

Schmidt: Im Grunde ja.

Gaus: Erlauben Sie mir eine letzte Frage: Wenn Sie sicher sein könnten, eine große Theaterkarriere zu machen – Sie haben vom Wiener Burgtheater gesprochen, wo Peymann Sie eingeladen hatte zu lesen – würden Sie dann das Fernsehen sausen lassen?

Schmidt: Das Theater ist für mich als Ausübender wirklich abgeschlossen – ohne Frust, ohne Enttäuschung. Ich genieße es sehr als jemand, der den Beruf mal gelernt hat, mir schöne Theateraufführungen anzuschauen. Aber es ist, glaube ich, sehr viel spannender, mit dabei zu sein, wo das Fernsehen hingehen wird. Wohin das sein wird, weiß ich auch nicht. Ich will selber austesten, wie weit man es treiben kann.