Harald Karas und Peter Laubenthal; Quelle: rbb

- "Abendschau und Abendbrot gehören in Berlin zusammen"

Ein Gespräch mit dem ersten Moderator und langjährigen Leiter der Abendschau, Harald Karas, und dem Abendschau-Chef Peter Laubenthal.

Herr Karas, sehen Sie heute noch regelmäßig die Abendschau"?

Karas: Ja, wenn ich zu Hause bin, sehe ich sie immer.

Was ist in den heutigen Sendungen anders als zu Ihrer Zeit?

Karas: Sie ist heute schneller als bei uns damals. Wir waren bedächtiger, haben uns mehr Zeit genommen. Aber das Sehverhalten ist auch anders geworden. Was mir manchmal fehlt, ist die Berichterstattung von Theaterpremieren. Wir haben früher Ausschnitte von der Generalprobe gebracht und danach einen Kritiker urteilen lassen. Manchmal wünsche ich mir auch einen Kommentar in der Abendschau, zum Beispiel zum Volksentscheid über den Flughafen Tempelhof.

Warum machen Sie keine Kommentare, Herr Laubenthal?

Laubenthal: Die Redaktion hat sich irgendwann einmal gegen Kommentare in der Sendung entschieden. Ich finde, die Meinung muss sich im Kopf der Zuschauer bilden. Wir breiten auf dem Tisch alle Fakten aus, dann soll jeder seinen Schluss ziehen.

Was fällt Ihnen auf, wenn Sie alte Beiträge sehen?

Laubenthal: Natürlich wurde früher anders gearbeitet. Bei Interviews zum Beispiel war der fragende Reporter immer mit im Bild, das gibt es heute nicht mehr. Die Dinge wurden etwas breiter erklärt, heute wird mehr vorausgesetzt. Manchmal muss ich auch schmunzeln, weil damals schon dieselben Fehler gemacht wurden wie heute. Zum Beispiel ist das Auto des Drehteams immer gern mit im Bild. Damals stand SFB drauf, heute rbb.

Herr Karas, wie ging es Ende der fünfziger Jahre los?

Karas: Ich arbeitete im Hörfunk für die Sendung "Rund um die Berolina" und wurde Anfang Mai 1958 gefragt, ob ich nicht die neue Redaktion aufbauen wolle. Ich hatte anderthalb Stunden Bedenkzeit. Am 1. September sollte die Abendschau starten, es war also eine große Herausforderung, in nur drei Monaten eine regionale Informationssendung aufzubauen, Personal zu finden, eine Studiodekoration zu bauen, einen Vorspann herzustellen. Am Anfang waren wir nicht mehr als 15 Leute. Gesendet haben wir zunächst von 19:00 Uhr bis 19:15 Uhr. Ziemlich bald wurde die Sendezeit auf 20, später auf 25 Minuten und schließlich 30 Minuten ausgedehnt. Die erste große Herausforderung war die Berichterstattung von den Wahlen zum Abgeordnetenhaus im Oktober 1958, also kurz nach dem Start. Unsere Wahlsondersendung begann um 22:10 Uhr und endete 1:40 Uhr. Die dauerte so lange, weil die Stimmen damals noch per Hand ausgezählt werden mussten. Das erste Ergebnis, das wir veröffentlichen konnten, war aus dem Altersheim Hottengrund in Kladow. Von 55 Bewohnern hatten 54 CDU gewählt.

Wie hoch war der Marktanteil damals?

Karas: Wir hatten immer 60 bis 70 Prozent Marktanteil. Abends hing man an der Mattscheibe. Abendschau sehen war Pflicht.

Die Abendschau wurde auch immer im Ostteil Berlins gesehen. Wie hat das die Gestaltung der Sendung beeinflusst?

Karas: Die Ost-Berliner konnten ja mit dem Mauerbau von heute auf morgen nicht mehr in den Westen. Sie wollten aber weiterhin wissen, wie sich West-Berlin verändert und wie es aussieht. Insofern waren sie für uns ein ganz wichtiges Publikum. Wir haben zum Beispiel die Reihe "Straßen heute" gemacht, die mehr für den Osten gedacht war. Die Reporter wiesen in der Anmoderation also darauf hin, dass die folgenden Minuten mehr für die Brüder und Schwestern im Osten gedacht seien. Daraufhin haben sich West-Berliner beschwert. "Ich wohne in Spandau und arbeite in Siemensstadt", sagte einer. "Was glauben Sie, wann ich das letzte Mal in Neukölln war?" Die Reihe war für die also genau so interessant wie für die Ost-Berliner. In den siebziger Jahren gab es dann Akkreditierungen für West-Journalisten, die aus der DDR berichten konnten. Da haben wir sogar Live-Schaltungen zum Ost-Berliner Weihnachtsmarkt gemacht.

Laubenthal: Das ist heute noch so, dass Beiträge über Berliner Straßen, Brücken und Siedlungen die beste Quote haben. Es gibt nur einen Stoff, den die Berliner am liebsten konsumieren: Berlin. Wenn der Berliner ein Stück Berlin präsentiert bekommt, dann ist er glücklich.

Wie hat sich das Zuschauerverhalten nach dem Mauerfall 1989 entwickelt?

Laubenthal: Vor dem Mauerfall war die Abendschau im Osten sehr populär. Dann wurde sie zu der Wende-Sendung, weil sie konsequent und kontinuierlich über die Veränderungen im Lebensumfeld der Leute berichtet hat. Als die Vereinigung dann da war, haben sich die Ost-Berliner etwas von der Sendung abgewendet - nicht zuletzt durch die immer stärker werdende Konkurrenz der Privatsender. Wir haben in dieser Phase alles getan, um die Herzen der Ost-Berliner wieder zu gewinnen. Zum Beispiel achteten wir darauf, dass Themen, die sowohl den Osten als auch den Westen betrafen, konsequent im Osten gedreht wurden. Inzwischen ist die Quote relativ ausgeglichen zwischen Ost und West. Neulich hatten wir sogar an fünf von sieben Wochentagen im Osten einen höheren Marktanteil als im Westen. Wir stehen mit dieser Resonanz besser da als die Berliner Tageszeitungen. Die haben immer noch große Probleme im jeweils anderen Stadtteil.

Karas: Wie populär wir schon früher im Osten waren, zeigt ein Beispiel: Ich hatte 1982 einen Herzinfarkt; das ging auch durch die Boulevardpresse. Dann fuhr ich drei, vier Monate später mit meiner Frau in die DDR. Am Grenzübergang sagte einer der Grenzer zu meiner Frau: "Ihr Mann hat sich aber von seinem Herzinfarkt gut erholt." Als sie ihn fragte, woher er denn davon wisse, sagte er: "Das spricht sich eben herum." Ich bin überhaupt mehrfach von den Grenzern angesprochen worden.

Welche Sendung aus 50 Jahren ist Ihnen in besonderer Erinnerung?

Karas: Das emotional stärkste Ereignis war natürlich der Mauerbau. Da haben die Kollegen rund um die Uhr gearbeitet. Da sind Cutterinnen nachts halb drei in den Sender gekommen. Und ich erinnere mich an meinen lustigsten Versprecher: Es gab damals das Kuratorium "Unteilbares Deutschland". Ich machte daraus das Kuratorium "Unheilbares Deutschland".

Laubenthal: Dieses Rund-um-die-Uhr-Arbeiten, diesen großen Einsatz der Kollegen, gab es natürlich zum Mauerfall am 9. November 1989 wieder. 1:30 Uhr nachts hatte ich neun Kamerateams im Einsatz, zwei waren nur bestellt, die anderen kamen von allein. Gegen 4:00 Uhr rief Hans-Werner Kock an. "Brauchst Du mich?", fragte er. Ich hatte für 7:00 Uhr noch keinen Moderator. Eine halbe Stunde nach dem Anruf war Kock da und hat von 7:00 bis 11:00 Uhr nonstop moderiert. Die Bilder vom Mauerfall, auch die weltweiten, stammten zum größten Teil von Abendschau-Kameras. So wie die meisten Bilder vom Mauerbau am 13. August 1961 von Abendschau-Kameraleuten gedreht wurden.

Was unterscheidet die Abendschau von anderen regionalen Nachrichtensendungen der ARD?

Karas: Es ist naturgemäß ein Unterschied, ob Sie eine Sendung für ein Flächenland oder für eine Stadt machen. Die Münchner Kollegen müssen von Aschaffenburg bis Berchtesgaden senden. Die Abendschau kann sich auf Berlin konzentrieren.

Laubenthal: Die Abendschau zeigt das Leben einer Großstadt. Es war immer die spannendste Stadt Deutschlands – bis zur Wende und nach der Wende erst recht. Welche andere deutsche Stadt ist zum Beispiel von allen US-Präsidenten besucht worden? Das bringt eine völlig andere Form der Lokalberichterstattung mit sich als in Köln oder Stuttgart. Professionell gemacht sind die anderen Sendungen aber auch.

Was bedeutet die Abendschau für Berlin?

Karas: Sie ist für Berlin und die Berliner unverzichtbar.

Laubenthal: Abendschau und Abendbrot gehören in Berlin zusammen. Die Sendung ist fester Bestandteil des Tagesablaufs der Berliner. Zur Zeit der Trennung war sie eine Klammer für beide Stadthälften. Heute ist sie auch eine Sendung, in der sich die Neuberliner, von denen es seit der Wende rund eine Million gibt, über ihre neue Heimat informieren können. Unsere Straßen- und Kiezporträts, unsere Ausflugstipps und Veranstaltungshinweise haben so einen weiteren Adressaten bekommen.

Das Interview führte Ralph Kotsch, rbb Presse & Information