Einzug der napoleonischen Truppen in Berlin 1806 (Lithographie)
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Einzug der napoleonischen Truppen in Berlin 1806 (Lithographie) | Bild: picture alliance/Leemage

- Berlin - Leipziger Straße

Die historische Kulisse für "Vor dem Sturm" sind die Befreiungskriege gegen Napoleon. Fontane beschreibt eindrucksvoll, wie diese Kämpfe das Berliner Stadtbild prägten.

Theodor Fontane "Vor dem Sturm":

Als sie den Wilhelmsplatz fast schon passiert und den Eckpunkt erreicht hatten, wo die Statue Winterfeldts steht, hörten sie kriegerische Musik, die, wenn das Ohr nicht täuschte, vom Potsdamer Tor oder aus der Nähe desselben herkommen mußte. Lewin, solchen Klängen nicht gut widerstehend, setzte sich in ein schnelleres Marschtempo, hielt aber wieder inne, als er wahrnahm, daß es den ermüdeten Kürassieren schwer wurde, ihm zu folgen. Er wandte sich, wie um durch Freundlichkeit seinen Fehler wieder gutzumachen, an den unmittelbar neben ihm gehenden und sagte, mit dem Finger nach der Richtung hinzeigend, von wo die Musik kam: »Entendez-vous?«

Und über die matten Züge des Angeredeten flog ein Lächeln, als er antwortete: »Ce sont des clairons français!«

Mittlerweile waren sie bis an die Ecke der Wilhelms- und Leipzigerstraße gekommen und sahen vom Tore her, denn der Zug schien endlos, eine ganze französische Division im Anmarsch. Die Musik schwieg eben, wahrscheinlich um Atem zu schöpfen; auf dem Bürgersteige aber, zu beiden Seiten der heranmarschierenden Kolonne, drängten sich dichte Volksmassen, ja waren teilweis' weit voraus, um rascher nach dem Lustgarten zu kommen, wo, wie man wußte, Truppeneinzüge und andere militärische Schauspiele abzuschließen pflegten. Lewin samt seinen Schutzbefohlenen war unter einen Torweg getreten und konnte den lauten Äußerungen der dicht an ihm vorüberflutenden Menge mit Leichtigkeit entnehmen, daß es die von Italien her frisch eingetroffene Division Grenier sei, was da jetzt in allem militärischem Pomp die Leipzigerstraße heraufkomme. Er hörte auch, daß General Augereau, der Gouverneur von Berlin, der Division bis Schöneberg entgegengeritten sei, um sie feierlich einzuholen und den Berlinern in beherzigenswerter Weise zu zeigen, daß der Kaiser nach wie vor unerschöpfte Hilfsquellen und trotz Moskau noch immer Armeen habe.

Es waren immer dieselben Namen und Bemerkungen, die laut wurden; jetzt aber schwieg alles, denn die Spitze der Kolonne, General Augereau selbst, war heran, ein großer, starker Mann mit Adlernase und durchdringendem Blick. Er trug die Uniform eines Marschalls von Frankreich. Die demontierten Kürassiere, als sie seiner ansichtig wurden, rückten sich zurecht, und einer, der ihn schon vom italienischen Feldzug her kannte, flüsterte den andern zu: »Voilà le Duc de Castiglione!«

 

Audio: Ausschnitt aus "Vor dem Sturm“  gelesen von Gert Westphal (Produktion des SWR 1984)

Zu beiden Seiten der heranmarschierenden Kolonne, drängten sich dichte Volksmassen, ja waren teilweis' weit voraus, um rascher nach dem Lustgarten zu kommen, wo, wie man wußte, Truppeneinzüge und andere militärische Schauspiele abzuschließen pflegten.

Theodor Fontane