Glockenspiel der Parochialkirche in Berlin-Mitte
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Glockenspiel der Parochialkirche in Berlin-Mitte | Bild: picture-alliance

- Berlin - Parochialkirche

Stadtbild und Gewissensbisse kommen für "Jenny Treibel" zusammen, als sie die Glocken der Parochialkirche hört.

Theodor Fontane "Jenny Treibel"

Und dabei blieb sie stehen und wies auf das entzückende Bild, das sich – sie passierten eben die Fischerbrücke – drüben vor ihnen ausbreitete. Dünne Nebel lagen über den Strom hin, sogen aber den Lichterglanz nicht ganz auf, der von rechts und links her auf die breite Wasserfläche fiel, während die Mondsichel oben im Blauen stand, keine zwei Hand breit von dem etwas schwerfälligen Parochialkirchturm entfernt, dessen Schattenriß am anderen Ufer in aller Klarheit aufragte. »Sieh' nur,« wiederholte Corinna, »nie hab' ich den Singuhrturm in solcher Schärfe gesehen. Aber ihn schön finden, wie seit kurzem Mode geworden, das kann ich doch nicht; er hat so etwas Halbes, Unfertiges, als ob ihm auf dem Wege nach oben die Kraft ausgegangen wäre. Da bin ich doch mehr für die zugespitzten, langweiligen Schindeltürme, die nichts wollen, als hoch sein und in den Himmel zeigen.«

Und in demselben Augenblicke, wo Corinna dies sagte, begannen die Glöckchen drüben ihr Spiel.

»Ach,« sagte Marcell, »sprich doch nicht so von dem Turm und ob er schön ist oder nicht. Mir ist es gleich, und Dir auch; das mögen die Fachleute miteinander ausmachen. Und Du sagst das alles nur, weil Du von dem eigentlichen Gespräch los willst. Aber höre lieber zu, was die Glöckchen drüben spielen. Ich glaube, sie spielen: ›Üb' immer Treu' und Redlichkeit‹.«

 

Audio: Ausschnitt aus "Jenny Treibel“  gelesen von Gert Westphal (Produktion des NDR 1989)

Aber höre lieber zu, was die Glöckchen drüben spielen. Ich glaube, sie spielen: ›Üb' immer Treu' und Redlichkeit‹.«

Theodor Fontane