Schloss Teupitz - Farblithographie um 1860
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Schloss Teupitz - Farblithographie um 1860 | Bild: picture-alliance / akg

- Teupitzer See

Lange bevor Berlin "arm aber sexy" war, sucht Theodor Fontane in Teupitz "das Ideal der Armut".

Theodor Fontane: Wanderungen durch die Mark Brandenburg. Band IV "Spreeland":

Teupitz verlohnt eine Nachtreise, wiewohl diese Hauptstadt des »Schenkenländchens« nicht das mehr ist, als was sie mir geschildert worden war.

All diese Schilderungen galten seiner Armut. »Die Poesie des Verfalls liegt über dieser Stadt«, so hieß es voll dichterischen Ausdrucks, und die pittoresken Armutsbilder, die mein Freund und Gewährsmann vor mir entrollte, wurden mir zu einem viel größeren Reiseantrieb als die gleichzeitig wiederholten Versicherungen: »Aber Teupitz ist schön.« Diesen Refrain überhört ich oder vergaß ihn, während ich die Worte nicht wieder loswerden konnte: »Das Plateau um Teupitz herum heißt ›der Brand‹, und das Wirtshaus darauf führt den Namen ›Der tote Mann‹.«

Ich hörte noch allerhand anderes. Ein früherer Geistlicher in Teupitz sollte bloß deshalb unverheiratet geblieben sein, »weil die Stelle einen Hausstand nicht tragen könne«, und ein Gutsbesitzer, so hieß es weiter, habe jedem erzählt: »Ein Teupitzer Bettelkind, wenn es ein Stück Brot kriegt, ißt nur die Hälfte davon; die andere Hälfte nimmt es mit nach Haus. So rar ist Brot in Teupitz.« All diese Geschichten hatten einen Eindruck auf mich gemacht. Zu gleicher Zeit erfuhr ich, König Friedrich Wilhelm IV. habe gelegentlich, halb in Scherz und halb in Teilnahme, gesagt: »Die Teupitzer sind doch meine Treusten; wären sie's nicht, so wären sie längst ausgewandert.«

Dies und noch manches der Art rief eine Sehnsucht in mir wach, Teupitz zu sehen, das Ideal der Armut, von dem ich in Büchern nur fand, daß es vor hundert Jahren 258 und vor fünfzig Jahren 372 Einwohner gehabt habe, daß das Personal der Gesundheitspflege (wörtlich) »auf eine Hebamme beschränkt sei« und daß der Ertrag seiner Äcker eineinviertel Silbergroschen pro Morgen betrage. Angedeutet hab ich übrigens schon, und es sei hier eigens noch wiederholt, daß ich die Dinge doch anders fand, als ich nach diesen Schilderungen erwarten mußte. Wie es Familien gibt, die, trotzdem sie längst leidlich wohlhabend geworden sind, den guten und ihnen bequemen Ruf der Armut durch eine gewisse Passivität geschickt aufrechtzuerhalten wissen, so auch die Teupitzer. Solche vielbedauerten »kleinen Leute« leben glücklich-angenehme Tage, und unbedrückt von den Mühsalen der Gastlichkeit oder der Repräsentation, lächeln sie still und vergnügt in sich hinein, wenn sie dem lieben alten Satze begegnen, daß »geben seliger sei denn nehmen«.

 

Audio: Ausschnitt aus "Wanderungen durch die Mark Brandenburg" gelesen von Gert Westphal (Produktion des SWR 1982-1985)

All diese Schilderungen galten seiner Armut. »Die Poesie des Verfalls liegt über dieser Stadt«, so hieß es.

Theodor Fontane