Wuthenow bei Neuruppin, Kirche am See
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Wuthenow bei Neuruppin, Kirche am See | Bild: picture alliance/arkivi

- Wuthenow

Theodor Fontane liebt das Verwirrspiel mit Ortsnamen und Romanfiguren. Für seinen "Schach von Wuthenow" hat er einfach ein Schloss erfunden. Im Ort gibt es keines.

Theodor Fontane: Schach von Wuthenow

Es schlug Mitternacht, als Schach in Wuthenow eintraf, an dessen entgegengesetzter Seite das auf einem Hügel erbaute, den Ruppiner See nach rechts und links hin überblickende Schloß Wuthenow lag. In den Häusern und Hütten war alles längst in tiefem Schlaf, und nur aus den Ställen her hörte man noch das Stampfen eines Pferdes oder das halblaute Brüllen einer Kuh.

Schach passierte das Dorf und bog am Ausgang in einen schmalen Feldweg ein, der, allmählich ansteigend, auf den Schloßhügel hinaufführte. Rechts lagen die Bäume des Außenparks, links eine gemähte Wiese, deren Heugeruch die Luft erfüllte. Das Schloß selbst aber war nichts als ein alter, weißgetünchter und von einer schwarzgeteerten Balkenlage durchzogener Fachwerkbau, dem erst Schachs Mutter, die ›verstorbene Gnädige‹, durch ein Doppeldach, einen Blitzableiter und eine prächtige, nach dem Muster von Sanssouci hergerichtete Terrasse das Ansehen allernüchternster Tagtäglichkeit genommen hatte. Jetzt freilich, unter dem Sternenschein, lag alles da wie das Schloß im Märchen, und Schach hielt öfters an und sah hinauf, augenscheinlich betroffen von der Schönheit des Bildes.

Endlich war er oben und ritt auf das Einfahrtstor zu, das sich in einem flachen Bogen zwischen dem Giebel des Schlosses und einem danebenstehenden Gesindehause wölbte. Vom Hof her vernahm er im selben Augenblick ein Bellen und Knurren und hörte, wie der Hund wütend aus seiner Hütte fuhr und mit seiner Kette nach rechts und links hin an der Holzwandung umherschrammte.

»Kusch dich, Hektor.« Und das Tier, die Stimme seines Herrn erkennend, begann jetzt vor Freude zu heulen und zu winseln und abwechselnd auf die Hütte hinauf- und wieder hinunterzuspringen.

Vor dem Gesindehause stand ein Walnußbaum mit weitem Gezweige. Schach stieg ab, schlang den Zügel um den Ast und klopfte halblaut an einen der Fensterladen. Aber erst als er das zweitemal gepocht hatte, wurde es lebendig drinnen, und er hörte von dem Alkoven her eine halb verschlafene Stimme:

»Wat is?«

»Ich, Krist.«

»Jott, Mutter, dat's joa de junge Herr.«

»Joa, dat is hei. Steih man upp un mach flink.«

Schach hörte jedes Wort und rief gutmütig in die Stube hinein, während er den nur angelegten Laden halb öffnete: »Laß dir Zeit, Alter.«

Aber der Alte war schon aus dem Bette heraus und sagte nur immer, während er hin und her suchte: »Glieks, junger Herr, glieks. Man noch en beten.«

Und wirklich nicht lange, so sah Schach einen Schwefelfaden brennen und hörte, daß eine Laternentür auf- und wieder zugeknipst wurde. Richtig, ein erster Lichtschein blitzte jetzt durch die Scheiben, und ein paar Holzpantinen klappten über den Lehmflur hin. Und nun wurde der Riegel zurückgeschoben, und Krist, der in aller Eile nichts als ein leinenes Beinkleid übergezogen hatte, stand vor seinem jungen Herrn.

Audio: "Schach von Wuthenow", aus der Reihe "Eine Viertelstunde Weltliteratur" (Rundfunk der DDR 1986)
 

Das Schloß selbst aber war nichts als ein alter, weißgetünchter und von einer schwarzgeteerten Balkenlage durchzogener Fachwerkbau ...

Theodor Fontane