Hobby-Ornithologen zählen und beobachten Vögel (Quelle: dpa)
Bild: dpa-Zentralbild

Bürgerwissenschaften - Jetzt forschen Sie!

Wissenschaft den Wissenschaftlern: Damit ist es vorbei. Hobbyforscher zählen Vögel, erstellen einen Mückenatlas oder dokumentieren die Lichtverschmutzung. Vorreiter für Citizen-Science-Projekte sind England und die USA, aber auch in Deutschland wird zunehmend über den Nutzen von Bürgerwissenschaften diskutiert. Stören Laien in der Forschung oder geht es nicht mehr ohne sie?

 

Immer mehr Hobbyforscher, Naturbeobachter und Erfinder zeigen der etablierten Wissenschaft, dass auch sie Entscheidendes zum wissenschaftlichen Diskurs beitragen wollen. Mückenatlas, Vogelzählungen, Dokumentationen von Fischschwarmwanderungen, Lichtverschmutzung oder genealogische Ortsverzeichnisse könnten ohne das Mitwirken von Laien gar nicht realisiert werden.

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Schon spricht man von der Demokratisierung der Scientific Community der Profis durch Forschung von unten: Bürgerwissenschaften. Doch was kann durch die Beteiligung von Laien erreicht werden und was nicht? Diese Frage ist noch offen.

Bürgerwissenschaften sind eigentlich nichts Neues. Gottfried Wilhelm Leibniz, Isaac Newton, Charles Darwin und Benjamin Franklin waren Laienwissenschaftler, denn sie forschten, bevor "Wissenschaftler" zum Beruf wurde und ein entsprechender Wissenschaftsbetrieb entstand. Heimatmuseen und - vereine sind lebendige Beispiele von bürgerwissenschaftlichem Engagement. Auch die Mitarbeit bei Wikipedia zählt dazu. Seit fast jeder ein Smartphone mit sich herumträgt, hat die Bewegung neuen Schwung bekommen. Jetzt ist es leicht geworden, sich zu vernetzen, Daten über Umwelteinflüsse oder Bilder über pflanzliche Neophyten auf eine Plattform zu laden und sich auszutauschen. In England und USA haben sich bereits so viele Citizen-Science-Projekte etabliert, dass sich eine Meta-Ebene herausbildet: Agenturen zur Vermarktung von Citizen-Science-Initiativen.

Auch Wissenschaftler spüren wachsendes Misstrauen

Die Liste der deutschen bürgerwissenschaftlichen Projekte ist noch überschaubar und zeigt, dass es sich überwiegend um naturkundliche Themen handelt. Trotzdem: Citizen Science ist das aktuelle Stichwort in der Wissenschaftskommunikation. Kann die frühzeitige Beteiligung von interessierten Bürgern das Verhältnis von Wissenschaft und Gesellschaft verbessern?

Im Vergleich zu Politikern haben Wissenschaftler einen guten Ruf, aber auch sie spüren das wachsende Misstrauen der Bevölkerung an ihrer Arbeit. Die Wissenschaft wird sich zunehmend bewusst, dass sie stärker in Kontakt mit der Gesellschaft treten muss, nicht nur um die eigene Arbeit zu legitimieren. Oft kann die Forschung auch vom Input aus der Bevölkerung profitieren. Akzeptanz und gesellschaftliche Relevanz der Ergebnisse können gesteigert werden.

Chancen oder Risiken von Citizen Science?

Wie viel Beteiligung aber ist notwendig oder sinnvoll? Die Debatte wird kontrovers geführt. Und, wie könnte es anders sein, sie wird wissenschaftlich aufgearbeitet. Dazu wurde das Forschungsprojekt GEWISS (BürGEr schaffen WISSen - Wissen schafft Bürger) aufgesetzt, das vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) gefördert und  vom Berliner Museum für Naturkunde sowie vom Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung in Leipzig koordiniert wird. Seit Sommer 2014 finden Dialogforen in ganz Deutschland statt, um eine gemeinsame Citizen-Science-Strategie zu entwickeln.

Die Macher, wie der Direktor des Naturkundemuseums, Prof. Johannes Vogel, sind davon überzeugt, dass Citizen Science große Chancen bietet. Etablierte Wissenschaftler, wie der scheidende Präsident der Akademie der Wissenschaften, Prof. Günter Stock, zeigen sich hingegen zurückhaltend. Sie fürchten den Zugriff von engagierten Bürgerinitiativen oder Organisationen auf ihr Arbeitsgebiet und sehen die Freiheit der Wissenschaft in Gefahr.

Chancen und Risiken von Citizen-Science-Projekten sind auch deshalb schwer zu bestimmen, weil es keine allgemeingültige Definition des Begriffs gibt. Was ist denn eigentlich ein Cit-Sci-Projekt? Wenn Wissenschaftler Bürger auffordern, sich an Schmetterlingszählungen zu beteiligen oder Eltern bitten, ihre Babys anhand eines Fragekataloges zu beobachten und dies dem Institut zurückzumelden?

Wir haben die Erfahrung gemacht, dass es sich für Forscher lohnt, den Austausch mit Nicht-Wissenschaftlern zu suchen. Man bekommt dabei nicht immer das zu hören, was man gerne hätte, aber wir haben auf diese Weise schon oft sehr wichtige Impulse für unsere Forschungsarbeit erhalten.

Prof. Heribert Hofer

Vom Mitmach- zum Cit-Sci-Projekt

Oder gehört zu einem Cit-Sci-Projekt auch die Beteiligung von Amateuren am Forschungsdesign, an der Fragestellung? Oder sind Cit-Sci-Projekte gar gänzlich frei von hauptamtlichen Wissenschaftlern und bewegen sich nur im Kreis von engagierten Hobbyforschern als letzter Rest "anarchischer Forschung", wie es der Bielefelder Wissenschaftstheoretiker Peter Fink formulierte? Die Auffassungen gehen weit auseinander. Tatsächlich sind dies alles Citizen-Science-Projekte. Wissenschaftliche Relevanz erhalten sie jedoch erst, wenn damit eine konkrete Fragestellung, ein nachvollziehbarer Umgang mit den Daten und eine systematische Auswertung verbunden sind. Das trifft nicht auf alle Initiativen zu.

So ist "Füchse in der Stadt" zunächst "nur" ein Mitmach-Projekt des rbb. Aber "Füchse in der Stadt" hat das Potenzial zu einem Citizen-Science-Projekt. Das Leibniz-Institut für Zoo- und Wildtierforschung (IZW), das in Berlin schon Cit-Sci-Projekte zu Wildschweinen und Igeln etabliert hat, erarbeitet gerade ein Untersuchungskonzept zum Stadtfuchs, das auf der Beteiligung vieler Fuchsbeobachter basiert. Sie können sich also nicht nur mit Ihren Fuchsbildern und -geschichten an "Füchse in der Stadt" beteiligen, Sie können sich auch aktiv in das Forschungsvorhaben des IZW einbringen: als Tierbeobachter, als Fuchsexperte, als Fragesteller.

Wir stellen im Rahmen der Programmaktion "Füchse in der Stadt" Citizen-Science-Projekte aus Deutschland und der Welt vor und befassen uns mit der Debatte um die Strategieentwicklung.

Beitrag von Ilona Marenbach