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13 Millionen Touristen haben im letzten Jahr Berlin besucht. Gerade die jüngeren unter ihnen interessieren sich nicht nur für Brandenburger Tor und Reichstag, sondern auch für das rege Nachtleben in Mitte und Neukölln. Anwohner sind genervt von Lärm und Dreck, die Mieten steigen. Und der neueste Immobilientrend nennt sich Boardinghouse.
Am Rosenthaler Platz in Berlin Mitte fallen viele Partygäste morgens in ihre Hostelbetten, wenn die Berliner ihren Tag beginnen. Eine Anwohnerin ist genervt:
„Wenn man mit den Kindern zum Kindergarten läuft, dann sieht man immer Leute, die hier Party machen, betrunken sind, nicht geradeaus laufen können, um 9 Uhr morgens. Wenn man aus der Tür kommt, sieht man Glasscherben, Erbrochenes, Kippen, überall Müll und Reste von Essen, das jemand weggeworfen hat.“
Umso wichtiger ist ihr und ihren Nachbarn in der Brunnenstraße der Innenhof Ihrer Wohnanlage. Nun sehen sie dieses grüne Refugium für ihre Kinder bedroht. Im Hof des Nachbargrundstücks ist ein sogenanntes Boardinghaus geplant. Mit möblierten Appartements, die 3 bis 12 Monate gemietet werden können.
Peter Schink ist Sprecher der Eigentümer und Mietergemeinschaft des Nachbarhauses. Sie haben Einspruch gegen die Baugenehmigung im Hof erhoben, weil es nicht um reguläre Wohnungen sondern um hochpreisige Kurzeitvermietungen geht. Im Vorderhaus wird das Konzept schon praktiziert, beobachtet Peter Schink:
„Es ist jetzt tatsächlich auch so, dass man im Vorderhaus auch schon sieht, wo Wohnungen umgewandelt wurden. Dass tatsächlich die Leute so im 1 bis 2- Wochenrhytmus wechseln. Die sind ganz schnell da und auch ganz schnell wieder weg.“
Im Internet finden sich die Mietangebote für die Appartements: 30 Quadratmeter für fast 1000 € im Monat. Peter Schink geht es nicht nur um den zugebauten Hinterhof, sondern dass da auf einmal Leute sind, die gar keine Nachbarn mehr sind, sondern nur den Profit maximieren.
Auch in Nord-Neukölln hat der Tourismus den Kiez verändert.
Wo früher alt eingesessene Handwerksbetriebe waren, sind jetzt Kneipen, Bars, Restaurants. Der einst vernachlässigte Kiez ist jetzt Szenetreff, als Geheimtipp in Reiseführern gepriesen. Julius Richter ist Sprecher der Nachbarschaftsinitiative Weserkiez, die sich gegen noch mehr Gastronomie in der Straße wehrt.
„Die kommen alle gerne her, finden das alle ganz toll, das offene Berlin, aber wenn man mal nachhakt und sagt ein bisschen Rücksichtnahme wäre ganz schön, guckt mal mit Kinderwagen, Rollstuhl kommt man hier jetzt nicht durch, dann gucken einen viele irgendwie doch verständnislos an.“
Verständnislos auch für das Bedürfnis der Anwohner nach Nachtruhe.
Am benachbarten Reuterplatz sitzen dutzende junge Leute trinkend und feiernd auf der Straße. Es ist 1 Uhr früh, Sonntagmorgen. Beschwerden findet eine junge Frau spießig. Sollen die Nachbarn doch nach Spandau ziehen, da sei es ruhiger.
Sandra Hetzel will nicht mit ihrer kleinen Tochter nach Spandau ziehen, sie will aber auch nicht gleich die Polizei rufen, wenn es nachts wieder zu laut ist. 11 Jahre wohnt sie in der Weserstraße. In dieser Zeit sind immer mehr Bars in den Kiez gekommen.
Die Fronten sind verhärtet, viele der Anwohner und Gastronomen sprechen kaum noch miteinander.
Der Barbetreiber Martin Hussain versteht die Aufregung nicht.
„Natürlich sitzen mal junge Menschen hier eng und saufen und sind laut Wo sind wir denn? Sind wir im Gefängnis? Jeder Mensch will doch leben und ein bisschen Spaß haben? Wo ist denn das Problem wenn man das ein bisschen entspannter macht?“
Sandra Hetzel kann sich nicht so recht entspannen, wenn sie spät abends aus ihrem Fenster auf die Straße guckt. Sie hat das Gefühl, in einem Erlebnispark für Touristen zu wohnen, in dem sie mit ihren Bedürfnissen nichts mehr verloren hat.
Beitrag von Cosima Jagow-Duda