Polizist untehält sich mit jungen Türken (Quelle: rbb)
(Quelle: rbb)

- Bussing gegen Ghettobildung

Die Krawalle von Paris sind auch Ergebnis jahrelanger Ghettoisierung. Auch in Berlin gibt es Ghettobildung, aus Bereichen Neuköllns oder Weddings ziehen immer mehr deutsche Berliner weg. Besonders deutlich wird das Problem an den Schulen. So hat eine Grundschule in Berlin Wedding sogar 90 Prozent Kinder nichtdeutscher Herkunft. Besonders mangelnde Deutschkenntnisse gehen zulasten der Ausbildungsqualität. Immer mehr deutsche Eltern versuchen legal oder illegal in andere Bezirke auszuweichen. Der einzige Weg, die Ghettobildung an der Wurzel zu behindern, scheint das „Bussing“ – ein Modell aus den USA. Schulkinder werden über Bezirksgrenzen hinweg in andere Schulen verschickt, und das in beide Richtungen. Ein Beitrag über den schwierigen Alltag an Berliner Schulen und eine mögliche Lösung.

Sehr früh entscheidet sich, welche Richtung ein junger Mensch einschlägt. In Deutschland haben Kinder Nichtdeutscher Herkunft weniger Bildungs- und Aufstiegschancen als in jedem anderen Land der EU. Das liegt auch daran, dass sie an vielen Schulen weitgehend unter sich bleiben. 80 bis 90 Prozent Ausländeranteil ist in den Berliner Problembezirken nicht Ausnahme, sondern die Regel. Wer es sich leisten kann, der schickt sein Kind woanders hin. Übrig bleiben die Schwächsten. Ulrich Krätzer hat eine Idee, wie man gegensteuern könnte. Sie stammt aus den USA, ist verhältnismäßig einfach und jeder Zeit umsetzbar. Es fehlt nur an einem: am politischen Handlungswillen.

Die Carl-Kraemer-Grundschule in Berlin-Wedding. Deutsch-Unterricht in einer ersten Klasse. Die Kinder sind voll bei der Sache, die Lehrerin müht sich redlich. Doch leicht hat sie es nicht. Rund 80 Prozent der Kinder sind nichtdeutscher Herkunft. Gerade im Deutsch-Unterricht macht sich das bemerkbar.

Die Klassen hier sind relativ klein, die Räume renoviert. Seit einem Jahr bietet die Schule außerdem eine Ganztagsbetreuung. Für viele Eltern wäre die Carl-Kraemer-Schule also eigentlich eine echte Traumschule - mit Töpferkursen und guten Freizeitangeboten.

Trotzdem bleibt das Problem, dass gerade viele der Migranten-Kinder nur schlecht deutsch sprechen. Das weiß auch die Leiterin – bei allem Stolz auf das, was sie aus ihrer Schule gemacht hat.

Christine Frank-Schild, Leiterin Carl-Kraemer-Grundschule
„Dieses Defizit der Sprache, dieses Päckchen mit der Sprache, das schleppen die Kinder schon immer mit sich rum, das stimmt. Denn das geht ja dann weiter nachher in den Bereichen Naturwissenschaft, Geschichte und Erdkunde. Da fehlt ja dann der Fachwortschatz, da muss man schon sehr viel mit den Kindern arbeiten.“

Das Problem: Es gibt kaum noch deutschsprachige Kinder, von denen die nichtdeutschen profitieren könnten.

Christine Frank-Schild, Leiterin Carl-Kraemer-Grundschule
„Ich denke, bei einer besseren Durchmischung, wenn Kinder einfach auch Sprachvorbilder durch andere Kinder haben, kriegen wir das besser geregelt – und zwar im frühesten Alter, am besten schon vor der Schule - als wenn wir weiter auf dem Stand bleiben, lasst die Kieze da mal alleine vor sich hin murkeln und die Schulen werden es schon irgendwie richten.“

Die türkische Rechtsanwältin und Autorin Seyran Ates beschäftigt sich seit Jahren mit der Integrationspolitik und hält sie für gescheitert. Sie plädiert für einen stärkeren Austausch von Deutschen und Ausländern. Ihre Forderung: Schulen sollen Aufnahmebeschränkungen für Kinder nichtdeutscher Herkunft erlassen.

Seyran Ates, Rechtsanwältin und Autorin
„Ganz wichtig ist, dass man eine Quote einführt, nämlich eine Quote von, sagen wir von 30 %, wenn die Realität so aussieht, dass in Berlin 30 Prozent nichtdeutsche Schüler vorhanden sind, dann ist halt diese Zahl unsere Messlatte. Es muss eine Quote eingeführt werden für ganz Berlin.“

Und so könnte das Modell aussehen: Wenn bei einer Schule die Quote erreicht ist, hilft der Schulbus. Er bringt Kinder, die nur schlecht Deutsch sprechen, zu Schulen, an denen bislang kaum ausländische, dafür aber umso mehr deutsche Kinder sind.

Zum Beispiel: An die Erpelgrund-Grundschule in Reinickendorf. Auch hier ein Besuch im Deutsch-Unterricht einer ersten Klasse:

Die Lehrerin hat vergleichsweise leichtes Spiel. Deutsch ist für die Kinder kein Problem, es ist ihre Muttersprache.

Die wenigen nicht-deutschen Kinder profitieren von den Sprachkenntnissen ihrer deutschen Mitschüler.

Schulleiter Erich Ergang sagt: Seine Schule könnte ohne Probleme mehr Kinder ausländischer Herkunft aufnehmen.

Erich Ergang, Leiter Erpelgrund-Grundschule
„Ich denke auch, dass wir Lehrerinnen und Lehrer das schaffen, diese Kinder zu integrieren, und die schneller vergleichbar mit ihren deutschen Mitschülern an die deutsche Sprache heran zu führen, als es möglich wäre wenn diese Kinder in Schulen wären mit einem Ausländeranteil, der in jeder Klasse bei - sagen wir mal - 80 Prozent zum Teil liegt.“

Um Kinder zwischen den Schulen auszutauschen, müsste man das Schulgesetz ändern. Denn von wenigen Ausnahmen abgesehen - dürfen Eltern ihre Kinder zurzeit nur in die Schule des so genannten Einzugsbereichs schicken. Die Folge dieser Regelung: Wenn die Schule den Eltern nicht gefällt, weil dort zu wenig deutsch gesprochen wird, verlassen sie ihren Bezirk.

Das hat auch der Vorsitzende des Landeselternausschusses, André Schindler festgestellt.

André Schindler, Vorsitzender Landeselternausschuss Berlin
„Wir könnten sicherlich in diesen sozialen Brennpunkten, Nord-Neukölln, Wedding oder Moabit, wesentlich mehr Eltern aus dem Mittelstand hier halten, die hier gerne wohnen bleiben würden, wenn ein entsprechendes Schulangebot vorhanden wäre.“

Das Schulbus-Konzept könnte also zwei Probleme lösen: Migrantenkinder könnten Schulen besuchen, an denen mehr Deutsch gesprochen wird und deutsche Eltern könnten in den so genannten Problemvierteln bleiben. Die Bildung von Gettos würde verhindert.

Wenn es zum Beispiel an der Carl-Kraemer-Grundschule eine Quote für Kinder nichtdeutscher Herkunft gäbe, könnten nicht alle Kinder mit Deutsch-Problemen aufgenommen werden. Die Schule würde also kleiner.

Nach einiger Zeit aber - so das Konzept - wäre sie eben wegen der Quote auch bei deutschen Eltern wieder beliebter.

Seyran Ates, Rechtsanwältin und Autorin
„Eltern, die sich vielleicht auch Gedanken darüber gemacht haben wegzuziehen, würden nicht wegziehen. Und ihre Kinder dort auf dieser Schule belassen und wir hätten eine gesunde Durchmischung auch in den Problembezirken.“

Schulsenator Böger hält nichts von dem Schulbus-Konzept. Immerhin: Kindern mit schlechten Deutsch-Kenntnissen hat er verpflichtende Sprachkurse verordnet und Schulen mit vielen nichtdeutschen Kindern mehr Lehrerstellen spendiert.

Ein richtiger Schritt, doch trotz dieser Maßnahmen bleibt es dabei: An Schulen in Problemkiezen sind so viele ausländische Kinder, dass ein vernünftiger Deutsch-Unterricht kaum möglich ist, andere Schulen könnten dagegen ohne Probleme mehr ausländische Kinder aufnehmen.

Die Senatsschulverwaltung räumt zwar ein, dass eine bessere Verteilung wünschenswert wäre, sie bleibt aber bei ihrer Absage an das Schulbus-Konzept.
Zitat:
„...aus pädagogischen und sozialpolitischen Gründen ist es am besten, wenn die Kinder in Wohnortnähe zur Schule gehen.“

Die Fahrt zu einer anderen Schule soll also eher schaden als nützen? Ein fragwürdiges Argument.

Seyran Ates, Rechtsanwältin und Autorin
„Wir wissen doch, dass viele Akademiker bereit sind, jeden Morgen ihre Kinder jeden Morgen durch die Gegend zu karren, nur damit sie auf eine Privat-Schule gehen. Dieses Kind wird durch die halbe Stadt gekarrt und hat keinen Schaden und das andere Kind, nur weil es aus einer sozial schwachen Familien kommt, soll einen Schaden bekommen, nur weil es mit einem Schulbus in eine bessere Schule geschickt wird? Also, diese Rechnung, die offenbart sich mir nicht.“

Auch die Leiterin der Carl-Kraemer-Grundschule meint: An den Schulen muss es eine wirkliche Integration, also einen besseren Austausch von deutschen und ausländischen Kindern geben. Sonst würden Akrobatik-Kurse bald auch nicht mehr helfen.

Christine Frank-Schild, Leiterin Carl-Kraemer-Grundschule
„Dann könnte man eigentlich über kurz oder lang diese Bezirke, diese Kieze sag ich mal, nicht die Bezirke, diese Kieze aufgeben. Dann sind es nicht nur soziale Brennpunkte, dann ist es sicherlich etwas, was wir nicht mehr kontrollieren können und das wäre ja tragisch. Jetzt haben wir die Chance, es zu verändern.“

Beitrag von Ulrich Kraetzer