Kinder in der Schule (Quelle: rbb)
(Quelle: rbb)

- Trotz PISA nichts gelernt: Wo sind die Millionen für die Ganztagsschulen geblieben?

Vier Milliarden Euro hat Bundesbildungsministerin Bulmahn nach der PISA-Pleite für das Projekt 'gebundene Ganztagsschule' zur Verfügung gestellt. In Berlin ist davon kaum etwas zu spüren, das Geld wurde genutzt um die Löcher im Schuletat zu stopfen.

Erinnern Sie sich noch? PISA. Der große Schock über den Bildungsnotstand. Das Land der Dichter und Denker liegt im internationalen Schüler-Leistungsvergleich weit hinten. Ein Grund dafür: viele Kinder gehen nur halbtags zur Schule, am Nachmittag bleiben sie sich selbst überlassen. Ganztagsschulen - hieß also das Rezept der Bildungsministerin. Eine Schule, in der die Kinder intensiv gefördert und gefordert werden. Ein Jahr nachdem die Gelder für mehr Ganztagsschulen locker gemacht wurden, hat Klartext nachgefragt. Andrea Everwien über den hehren Anspruch und die traurige Wirklichkeit in Berlin.

Edelgard Bulmahn, Bundesbildungsministerin, Archiv 2003
"Wir haben uns gemeinsam das Ziel gesetzt, dass Deutschland in den nächsten zehn Jahren zu den besten Bildungsnationen der Welt gehören soll."

Vor einem Jahr: Der Schock von Pisa sitzt tief: deutsche Kinder: zu dumm, zu lesefaul, zu ungebildet. Deshalb beschließt die Bundesbildungsministerin: eine neue Schule muss her. Am 12.Mai spendiert sie vier Milliarden Euro für den Aufbau von Ganztagsschulen - flächendeckend in der Republik.

Ein Jahr später: wütende Eltern in Berlin. Das Projekt Ganztagsschule - bisher nur Stückwerk.

Eltern
"Mich ärgert halt, das wieder irgendwelche - wie man sich erinnert, gab es Wahlversprechen: an Kindern wird nicht gespart. Ja, und wo wird jetzt wieder zuerst gespart: an den Kindern."
"Die Halbherzigkeit, mit der hier wieder gehandelt wird, die ärgert mich so gewaltig."
"So haben wir echt Sorge, was mit unseren Kindern passiert."


Hannah, Anna und Sophie besuchen die Hunsrück-Schule in Kreuzberg, Zur Zeit ist das noch eine Halbtagsschule, ausgelagert in ein fremdes Schulgebäude. Doch ab August wird die Schule in ihre ursprünglichen Räume zurückziehen. Hier wurde über Jahre saniert und erweitert, damit die Hunsrück-Schule Ganztagsschule werden kann.

Mario Dobe, Schulleiter Hunsrück-Schule, Berlin
"Wir wollen eine gebundene Ganztagsgrundschule werden, das heißt, alle Kinder sollen von 8 bis 16 Uhr hier bleiben in dieser Schule. Wir wollen einen rhythmisierten Unterrichtstag schaffen, das heißt, zwischen Unterricht und Freizeit soll es einen Wechsel geben den ganzen Tag über. Das bedeutet, am Vormittag Freizeit, aber am Nachmittag dann auch Unterricht."

Schulleiter und Eltern wünschen sich eine Schule wie diese hier:
die Werbellinsee-Schule, eine von bisher elf gebundenen Ganztagsschulen in Berlin.. Auf dem Lehrplan: Frühlingsblumen. Ganz normaler Unterricht, nur: hier sind neben der Lehrerin Erzieher dabei. Nach dem theoretischen Unterricht geht die Erzieherin mit einem Teil der Kindern in den Schulgarten. Da kommt das Gelernte vom Vormittag in der Praxis wieder vor. Ganz nebenbei lernen die Kinder, was Löwenzahn und Vergissmeinnicht zum Blühen brauchen. Eine andere Gruppe sitzt derweil im Spielzimmer. Türmchen bauen – auch das sei Bestandteil des Unterrichts, sagt die Schulleiterin.

Ellen Hansen, Schulleiterin Werbellinsee-Schule, Berlin
"Daran lernen sie. Sie lernen umzusetzen. Wenn sie mit Bauklötzchen arbeiten, haben sie was in der Hand, sie können sich gegenseitig erzählen, was sie machen, sie können sich Anregungen geben, sie können in Wettbewerb miteinander treten um das, was sie machen, Das hat mit Denken und Lernen zu tun. Und nur so kommen wir auch weiter."

Lernen über den Tag – theoretisch und praktisch: das ist andere, bessere Schule.

Für den Bau solcher Schulen waren die Milliarden der Bundesbildungsministerin gedacht - ursprünglich. Direktor Dobe hoffte, seine Hunsrückschule könnte davon profitieren. Ein großzügiger Bau: große Klassenzimmer, Malatelier, Computerräume, Holzwerkstätten. Doch jetzt fehlen 300.000 Euro für die Ausstattung der Traumschule.

Mario Dobe, Schulleiter Hunsrück-Schule Berlin
"Das bedeutet, dass wir bei der Ausstattung insgesamt kürzen müssen, das heißt, die Unterrichtsräume werden nicht so üppig ausgestattet werden, wie wir uns das mal vorgestellt haben für unseren differenzierenden Unterricht und wir werden eventuell auf die Ausstattung einzelner Werkstätten verzichten müssen."

Der Grund: das Land Berlin steckte die Bulmahn-Gelder nur zu einem geringen Anteil in die gebundenen Ganztagsschulen.

"Das ursprüngliche Ziel, das der Senat hatte, dass diese gesamten Mittel für 30 gebundene Ganztagsschulen ausgegeben werden, das Ziel ist ab einem bestimmten Zeitpunkt nicht weiter verfolgt worden."

Gebundene Ganztagsschule für ganz Berlin – das ist dem zuständigen Senator zu teuer. Denn sie braucht viel mehr Lehrer und Erzieher als die konventionelle Schule – Kosten, die von den Bulmahnschen Milliarden nicht gedeckt sind.

Klaus Böger, Schulsenator Berlin
"Bei den gebundenen Ganztagsgrundschulen haben wir uns das Ziel gesetzt: 30 zusätzliche, dann haben wir etwa 50 von etwa 450 Grundschulen in Berlin als gebundene Ganztagsgrundschulen deshalb, weil dies erhebliche Personalkosten bedeutet. Ich muss dazu Lehrerstellen umwandeln in Erzieherinnenstellen, damit ich das überhaupt finanzieren kann. Also ich verwende das Geld erstens für die bauliche Konstruktion und zweitens muss ich dann aus dem eigenen Haushalt die personellen Mittel zur Verfügung stellen."

Nur ein Drittel der Bulmahn-Gelder steckt Berlin in den Aufbau von gebundenen Ganztagsschulen, weil diese zu hohe Personalkosten nach sich ziehen. Den Rest verteilt der Senator an Schulen mit offenem Ganztagsbetrieb, die demnächst am Nachmittag auch Hortplätze anbieten. Doch dabei wurde das Geld anscheinend mit der Gießkanne verteilt – jedenfalls reicht es im Einzelfall nicht einmal für genug Freizeiträume.

Zum Beispiel: die Heinrich-Zille-Grundschule in Kreuzberg. Schon heute hat sie zu wenig Räume, ist mit einem Drittel überbelegt. Vorschlag der Schulverwaltung: da könnte doch der Computerraum zum Freizeitraum ernannt werden.

Inge Hirschmann, Schulleiterin Heinrich-Zille-Schule, Berlin
"Es ist ja mal ein Technik-Raum gewesen, und inzwischen haben wir ihn zum Computerraum gemacht und müssen ihn im nächsten Jahr für das neue Fach Naturwissenschaften wieder zurückerobern als naturwissenschaftlich zu nutzender Raum und parallel ist er aber auch in das Musterraumprogramm eingegangen für die Ganztagsschule."

Freizeit vorm Bildschirm: das war wohl nicht gemeint, als Frau Bulmahn von einer anderen Schule träumte.

Ellen Hansen, Schulleiterin Werbellinsee-Schule Berlin
"Wenn man es wirklich ernst meint mit für Priorität für Bildung, dann muss da weiter reingegeben werden und man nicht sagen, so das war’s jetzt und damit macht ihr und damit verreckt ihr dann auch irgendwann. Dann ist es wieder das gewesen, diese Eintagsfliege, die denn einmal groß aufgelegt wird und dann gehen wir zur Tagesordnung wieder über."

Beitrag von Andrea Everwien