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Mehr als 200 ehemalige politische Häftlinge der DDR, die während ihrer Haft Zwangsarbeit leisten mussten, wollen jetzt die Bundesrepublik verklagen. Schon seit Jahren fordern sie eine Entschädigung für den ihnen vorenthaltenen Arbeitslohn; die Reaktionen der Politik sind bisher allerdings stets ausweichend gewesen. Besonders pikant an dieser deutsch-deutschen Geschichte ist die Tatsache, dass mehrere größere Unternehmen wie das Versandhaus Quelle jahrelang von der Zwangsarbeit in der DDR profitiert haben.
Kamera: Jürgen Lubosch
Schnitt: Anke Reichel
Helga Hundertmark war eine junge Frau, als sich 1957 das Tor vom Stasigefängnis in Potsdam hinter ihr schloss. Die Mutter von zwei kleinen Mädchen leistete als politische Gefangene vier Jahre Zwangsarbeit. Ohne einen Pfenning Geld hat sie hier in der Gefängniswäscherei geschuftet , später im Frauengefängnis Hoheneck musste sie Bettwäsche und Babysachen nähen.
O-Ton Helga Hundertmark, 1957-1961 Zwangsarbeiterin in der DDR
Wir haben also in drei Schichten gearbeitet, von Montag bis Samstag. Sonntag war frei, wenn frei war. Wir haben da oft auch noch Sonderschichten fahren müssen. Oder auch zwei Schichten am Tag, je nach dem, was dann anfiel. Es war bandarbeit. In den drei Jahren habe ich genau 259 Mark verdient und mit nach Hause genommen."
Ungefähr 100.000 politische Häftlinge haben in der DDR Zwangsarbeit geleistet. Der Staat verdiente an den billigen Arbeitskräften Millionen, die Gefangenen erhielten nur wenige Mark am Tag. Die Unrechtsurteile sind inzwischen aufgehoben. Aber einen finanziellen Ausgleich für den nichtgezahlten Lohn fordern die Opferverbände vergeblich.
O-Ton Hildigund Neubert, Bürgerbüro, Verein zur Aufarbeitung der Folgeschäden der SED-Diktatur
Das ist ein wirkliches Problem. So dass eben gerade unsere Leute, sozusagen diese politischen Häftlinge und andere Verfolgte eben am unteren Renteniveau leben nicht selten zusätzlich Sozialhilfe brauchen und sie haben eben als zusätzliche Last gesundheitliche Folgeschäden aus der Arbeit, aus der Untersuchungshaft, aus den schlechten Haftbedingungen überhaupt."
Doch die Bundesregierung zahlt lediglich für den Verlust der Freiheit 300 Euro pro Haftmonat. Eine Entschädigung für den nicht gezahlten Arbeitslohn lehnt sie kategorisch ab.
O-Ton Christian Arns, Sprecher Bundesjustizministerium
Hier soll einfach auch keine Trennung zwischen den einzelnen Opfergruppen entstehen, denn für manche war es sehr viel härter im Vollzug nicht arbeiten zu können. Ganz genau wie sie die Situation auch heute haben. Und die würden sich dann zurecht benachteilgt fühlen, dass sie nun keine weitere Entschädigung bekommen haben, obwohl sie es möglicherweise noch viel härter hatten."
Jürgen Schmidt-Pohl hat ein Auge in der Haft verloren Er kennt die ausweichenden Antworten der Bundesregierung. Seit vier Jahren kämpft er um die Entschädigung. Nun wollen 240 Betroffene Klage einreichen.
O-Ton Jürgen Schmidt-Pohl, Verein politisch Verfolgter u. Widerständler der SBZ/SED-Diktatur)
Appellieren läuft nicht mehr, also müssen wir prozessieren. Und die bisherigen Unrechtsbereinigungsgesetze sind derartig, dass wir sagen: wir sind als lästige Bittsteller empfunden, denen man Happen hinwirft, aber die man nicht als das bezeichnet und als das auszeichnet, was sie waren, nämlich Träger des Einheitsgedankens für Deutschland"
Ausschnitte: WDR- Reportage "Verraten und Verkauft", Februar 1990
Von der Zwangsarbeit im Frauengefängnis Hoheneck profitierten auch viele westdeutsche Firmen. Einem Fernsehteam des WDR gelang es, kurz nach dem Fall der Mauer die Arbeitsbedingungen zu dokumentieren. Im Februar 1990 arbeiteten hier keine politischen Gefangenen mehr. Die anderen Häftlinge wurden weiter ausgebeutet. Im Akkord produzierten sie Strümpfe für den VEB ESDA, oder Bettwäsche für VEB Planet.
O-Ton Gefangene
"Wir fahren Sonderschichten, wir kriegen ausgezahlt fünf Mark für acht Stunden"
Das ist der Aufenthaltsraum, in dem sie ihre halbe Stunde Pause machen durften.
Wer nicht arbeiten wollte, kam in die Arrestzelle, bis zu drei Wochen in Einzelhaft, bei Brot und Wasser. Der kaufmännische Direktor des Gefängnisses aber war stolz auf die Verkaufszahlen.
O-Ton:
Es wurden ca. in VEB Planet ca. 118-Millionen Mark Bettwäsche produziert hier.
Im Jahr, also 118-Millionen."
Tatjana Sterneberg und Karin Funke haben nur geahnt, dass diese Bettwäsche in den Westexport ging. Sie waren wegen versuchter Republikflucht in den 70er Jahren in Hoheneck. Bis sie als freigekaufte Häftlinge nach Westberlin kamen.
O-Ton Karin Funke, 1974?75 Zwangsarbeiterin in Hoheneck
Im nachhinein als wir herkamen, hab ich selber meine Nummer in einer Bettwäsche und zwar war das Tauentzien, da war Quelle, Neckermann. Und da hab ich selber mal drauf geachtet, weil ich mal sehen wollte, ob das stimmt. Und Tatsache, ich hab richtig so, wie ich sie eingenäht habe...
O-Ton Tatjana Sterneberg, 1973/76 Zwangsarbeiterin in Hoheneck
Wütend macht mich, dass die Leute, die uns so behandelt und misshandelt haben, gerade auch das Bewachungspersonal, der ganze Stasiapparat heute zum größten Teil ganz tolle Pensionen beziehen. Wir haben seelisch gelitten, körperlich gelitten...."
Die von den Häftlingen produzierte Bettwäsche hat Quelle jahrzehntelang als Billigware angeboten. Das Unternehmen feiert dieses Jahr sein 75. Firmenjubiläum. Das Kapitel Zwangsarbeit fehlt in der Erfolgsstory.
O-Ton Erich Jeske, Leiter Unternehmenskommunikation Quelle?Versand
Das wird von unserem Unternehmen verurteilt, egal ob das in der DDR stattfand oder ob das in Asien oder in irgendwelchen anderen Ländern stattfand. Natürlich hat man sich immer bemüht mit den Gesprächspartnern auch Dinge festzustellen. Nur ich kann mich wirklich nur noch mal wiederholen. Unsere Gesprächspartner waren im Aussenministerium. Wir wussten wirklich nicht, wo die Ware produziert wurde."
Doch spätestens in den 80er Jahren hat die Internationale Gesellschaft für Menschenrechte die Öffentlichkeit darüber informiert. 1982 machte sie Quelle nach einer Anhörung ehemaliger politischer Häftlinge im Bundestagsausschuss, auf die Verhältnisse in Hoheneck aufmerksam.
O-Ton: Michael Wichmann, Internationale Gesellschaft für Menschenrechte
Wir haben dann mit Datum vom 15. Oktober 1982 einen Brief von Quelle erhalten, in dem Quelle sich bereit erklärt hat, bei künftigen Verhandlungen mit ihren Vertragspartnern darauf hin zu wirken, dass keine politischen Häftlinge bei der Herstellung von Waren, die an Quelle geliefert werden, eingesetzt werden.
Ab Oktober 1982 war Quelle über alle Hintergründe der Problematik voll informiert."
Doch sieben Jahre später fand Brigitte Bielke die Bettwäsche im Quellekatalog wieder, die sie als politische Gefangene in Hoheneck genäht hatte. An bestimmten Markierungen erkannte sie eindeutig die Herkunft und schrieb Quelle einen empörten Brief.
O-Ton Brigitte Bielke, 1988/89 Haftzwangsarbeiterin in der DDR
Die Firma Quelle hat mir geantwortet, hat quasi bestritten, davon gewusst zu haben, dass es sich um Bettwäsche handelt, also um Produkte handelt, die in Zwangsarbeit von politischen Häftlingen hergestellt wird. Das war die Reaktion und als Ersatz hat man mir einen anderen Bettbezug geschickt."
An einem Entschädigungsfond für die Frauen von Hoheneck will sich Quelle aber nicht beteiligen. Für ihren Lohn wollen die Zwangsarbeiter der DDR nun notfalls bis vor den Europäischen Gerichtshof ziehen.
Schnitt: Anke Reichel
Helga Hundertmark war eine junge Frau, als sich 1957 das Tor vom Stasigefängnis in Potsdam hinter ihr schloss. Die Mutter von zwei kleinen Mädchen leistete als politische Gefangene vier Jahre Zwangsarbeit. Ohne einen Pfenning Geld hat sie hier in der Gefängniswäscherei geschuftet , später im Frauengefängnis Hoheneck musste sie Bettwäsche und Babysachen nähen.
O-Ton Helga Hundertmark, 1957-1961 Zwangsarbeiterin in der DDR
Wir haben also in drei Schichten gearbeitet, von Montag bis Samstag. Sonntag war frei, wenn frei war. Wir haben da oft auch noch Sonderschichten fahren müssen. Oder auch zwei Schichten am Tag, je nach dem, was dann anfiel. Es war bandarbeit. In den drei Jahren habe ich genau 259 Mark verdient und mit nach Hause genommen."
Ungefähr 100.000 politische Häftlinge haben in der DDR Zwangsarbeit geleistet. Der Staat verdiente an den billigen Arbeitskräften Millionen, die Gefangenen erhielten nur wenige Mark am Tag. Die Unrechtsurteile sind inzwischen aufgehoben. Aber einen finanziellen Ausgleich für den nichtgezahlten Lohn fordern die Opferverbände vergeblich.
O-Ton Hildigund Neubert, Bürgerbüro, Verein zur Aufarbeitung der Folgeschäden der SED-Diktatur
Das ist ein wirkliches Problem. So dass eben gerade unsere Leute, sozusagen diese politischen Häftlinge und andere Verfolgte eben am unteren Renteniveau leben nicht selten zusätzlich Sozialhilfe brauchen und sie haben eben als zusätzliche Last gesundheitliche Folgeschäden aus der Arbeit, aus der Untersuchungshaft, aus den schlechten Haftbedingungen überhaupt."
Doch die Bundesregierung zahlt lediglich für den Verlust der Freiheit 300 Euro pro Haftmonat. Eine Entschädigung für den nicht gezahlten Arbeitslohn lehnt sie kategorisch ab.
O-Ton Christian Arns, Sprecher Bundesjustizministerium
Hier soll einfach auch keine Trennung zwischen den einzelnen Opfergruppen entstehen, denn für manche war es sehr viel härter im Vollzug nicht arbeiten zu können. Ganz genau wie sie die Situation auch heute haben. Und die würden sich dann zurecht benachteilgt fühlen, dass sie nun keine weitere Entschädigung bekommen haben, obwohl sie es möglicherweise noch viel härter hatten."
Jürgen Schmidt-Pohl hat ein Auge in der Haft verloren Er kennt die ausweichenden Antworten der Bundesregierung. Seit vier Jahren kämpft er um die Entschädigung. Nun wollen 240 Betroffene Klage einreichen.
O-Ton Jürgen Schmidt-Pohl, Verein politisch Verfolgter u. Widerständler der SBZ/SED-Diktatur)
Appellieren läuft nicht mehr, also müssen wir prozessieren. Und die bisherigen Unrechtsbereinigungsgesetze sind derartig, dass wir sagen: wir sind als lästige Bittsteller empfunden, denen man Happen hinwirft, aber die man nicht als das bezeichnet und als das auszeichnet, was sie waren, nämlich Träger des Einheitsgedankens für Deutschland"
Ausschnitte: WDR- Reportage "Verraten und Verkauft", Februar 1990
Von der Zwangsarbeit im Frauengefängnis Hoheneck profitierten auch viele westdeutsche Firmen. Einem Fernsehteam des WDR gelang es, kurz nach dem Fall der Mauer die Arbeitsbedingungen zu dokumentieren. Im Februar 1990 arbeiteten hier keine politischen Gefangenen mehr. Die anderen Häftlinge wurden weiter ausgebeutet. Im Akkord produzierten sie Strümpfe für den VEB ESDA, oder Bettwäsche für VEB Planet.
O-Ton Gefangene
"Wir fahren Sonderschichten, wir kriegen ausgezahlt fünf Mark für acht Stunden"
Das ist der Aufenthaltsraum, in dem sie ihre halbe Stunde Pause machen durften.
Wer nicht arbeiten wollte, kam in die Arrestzelle, bis zu drei Wochen in Einzelhaft, bei Brot und Wasser. Der kaufmännische Direktor des Gefängnisses aber war stolz auf die Verkaufszahlen.
O-Ton:
Es wurden ca. in VEB Planet ca. 118-Millionen Mark Bettwäsche produziert hier.
Im Jahr, also 118-Millionen."
Tatjana Sterneberg und Karin Funke haben nur geahnt, dass diese Bettwäsche in den Westexport ging. Sie waren wegen versuchter Republikflucht in den 70er Jahren in Hoheneck. Bis sie als freigekaufte Häftlinge nach Westberlin kamen.
O-Ton Karin Funke, 1974?75 Zwangsarbeiterin in Hoheneck
Im nachhinein als wir herkamen, hab ich selber meine Nummer in einer Bettwäsche und zwar war das Tauentzien, da war Quelle, Neckermann. Und da hab ich selber mal drauf geachtet, weil ich mal sehen wollte, ob das stimmt. Und Tatsache, ich hab richtig so, wie ich sie eingenäht habe...
O-Ton Tatjana Sterneberg, 1973/76 Zwangsarbeiterin in Hoheneck
Wütend macht mich, dass die Leute, die uns so behandelt und misshandelt haben, gerade auch das Bewachungspersonal, der ganze Stasiapparat heute zum größten Teil ganz tolle Pensionen beziehen. Wir haben seelisch gelitten, körperlich gelitten...."
Die von den Häftlingen produzierte Bettwäsche hat Quelle jahrzehntelang als Billigware angeboten. Das Unternehmen feiert dieses Jahr sein 75. Firmenjubiläum. Das Kapitel Zwangsarbeit fehlt in der Erfolgsstory.
O-Ton Erich Jeske, Leiter Unternehmenskommunikation Quelle?Versand
Das wird von unserem Unternehmen verurteilt, egal ob das in der DDR stattfand oder ob das in Asien oder in irgendwelchen anderen Ländern stattfand. Natürlich hat man sich immer bemüht mit den Gesprächspartnern auch Dinge festzustellen. Nur ich kann mich wirklich nur noch mal wiederholen. Unsere Gesprächspartner waren im Aussenministerium. Wir wussten wirklich nicht, wo die Ware produziert wurde."
Doch spätestens in den 80er Jahren hat die Internationale Gesellschaft für Menschenrechte die Öffentlichkeit darüber informiert. 1982 machte sie Quelle nach einer Anhörung ehemaliger politischer Häftlinge im Bundestagsausschuss, auf die Verhältnisse in Hoheneck aufmerksam.
O-Ton: Michael Wichmann, Internationale Gesellschaft für Menschenrechte
Wir haben dann mit Datum vom 15. Oktober 1982 einen Brief von Quelle erhalten, in dem Quelle sich bereit erklärt hat, bei künftigen Verhandlungen mit ihren Vertragspartnern darauf hin zu wirken, dass keine politischen Häftlinge bei der Herstellung von Waren, die an Quelle geliefert werden, eingesetzt werden.
Ab Oktober 1982 war Quelle über alle Hintergründe der Problematik voll informiert."
Doch sieben Jahre später fand Brigitte Bielke die Bettwäsche im Quellekatalog wieder, die sie als politische Gefangene in Hoheneck genäht hatte. An bestimmten Markierungen erkannte sie eindeutig die Herkunft und schrieb Quelle einen empörten Brief.
O-Ton Brigitte Bielke, 1988/89 Haftzwangsarbeiterin in der DDR
Die Firma Quelle hat mir geantwortet, hat quasi bestritten, davon gewusst zu haben, dass es sich um Bettwäsche handelt, also um Produkte handelt, die in Zwangsarbeit von politischen Häftlingen hergestellt wird. Das war die Reaktion und als Ersatz hat man mir einen anderen Bettbezug geschickt."
An einem Entschädigungsfond für die Frauen von Hoheneck will sich Quelle aber nicht beteiligen. Für ihren Lohn wollen die Zwangsarbeiter der DDR nun notfalls bis vor den Europäischen Gerichtshof ziehen.