Hagen Boßdorf (Quelle: rbb)
(Quelle: rbb)

- Hagen Boßdorf – ehemaliger KLARTEXT-Moderator stolpert über IM-Vorwürfe

Eine beispiellose Karriere hat der Sportjournalist Hagen Boßdorf bislang hingelegt: Vom Sportreporter zum Chefredakteur des damaligen ORB, später sogar Sportkoordinator der ARD. Nun sollte er Sportchef des NDR werden – doch so weit kam es nicht. Denn zu DDR-Zeiten hat er mit der Stasi zu tun gehabt. Was bisher toleriert wurde, nimmt der NDR nach der Ansicht neuer Akten nun doch nicht hin. ARD-Programmdirektor Günter Struve stellt sich trotzdem hinter Boßdorf.

Glaubwürdigkeit ist auch – und gerade – für uns Journalisten wichtig, die wir doch anderen auf die Finger schauen und versuchen, Missstände aufzudecken. Da wäre es gut, auch mit der eigenen Biografie redlich umzugehen. Der Sportjournalist Hagen Boßdorf, den Sie vielleicht als Reporter bei der Tour de France kennen, sollte eigentlich noch eine Karrieretreppe höher steigen und im kommenden Jahr NDR-Sportchef werden. Der Verwaltungsrat des Senders hat kein Vertrauen mehr und will den Vertrag aufheben. Denn vor zwei Wochen lieferten neue Dokumente der Birthler-Behörde neue Hinweise auf eine mögliche IM-Tätigkeit. Hagen Boßdorf war früher Teil dieser, unserer Redaktion. Er hat KLARTEXT moderiert: Er war also das Gesicht einer Sendung, die sich unter anderem die Aufarbeitung des Stasi-Unrechts zur Aufgabe macht. Was ging damals in ihm vor? Andrea Everwien berichtet.

KLARTEXT vor fünf Jahren: gar nicht so lange her. Damals unser Moderator: Hagen Boßdorf:

Hagen Boßdorf (Archiv)
„Morgen, genau vor zehn Jahren, hat der Bundestag das Stasi-Unterlagengesetz verabschiedet.“

Nein, er hat sich nichts anmerken lassen, wenn er Stasi-Themen moderierte, ja, er war da genauso kompetent, wie bei allen anderen Themen.

Dabei muss ihm schon damals klar gewesen sein: die Stasi, das ist Teil seiner eigenen Geschichte. Hagen Boßdorf wird in den Stasi-Akten als IM Florian Werfer bezeichnet.

Christian Booß, Sprecher Bundesbehörde Stasi-Unterlagen
„Wir sind der Meinung, dass Hagen Boßdorf als Florian Werfer von der Stasi als IM – nämlich als Agenten-Werber für die DDR-Spionage geführt worden ist.“

Über Jahre war er everybody’s darling im ORB: Hagen Boßdorf sportlich, humorvoll, teamfähig, klug – so lauteten die Lobeshymnen.

Okay, manchmal hat er vielleicht ein bisschen wenig nachgefragt: Zum Beispiel im Interview mit Axel Schulz, Boxidol, dem wurde 1995 die Mitarbeit bei der Staatssicherheit nachgewiesen. Boßdorf zeigte viel Verständnis für Schulz:

Hagen Boßdorf (Archiv)
„Naja, weiß ich nicht, manch einer wird vielleicht schlucken, wenn jemand sagt: ,Ich bereue nichts, es war ein richtiger Schritt, diese Zusammenarbeit mit der Staatssicherheit einzugehen.’, aber man darf glaube ich nicht vergessen, erstens, dass Axel Schulz 16 Jahre alt war, und zweitens, wie wichtig für so einen jungen Kerl der Leistungssport ist, den er betreibt, und der stand eben auf dem Spiel, man hat ihn vor die Alternative gesetzt: entweder weiter Sport treiben oder aufhören. ‚Wenn du Sport machen willst, dann mit uns zusammenarbeiten.’ Da hat er sich dazu entschieden und er hat das mit sich klargemacht, dass das aus seiner Sicht heute richtig war.“

Aus dem Sportreporter wurde der Sportchef, schließlich der Chefredakteur des ORB, damit auch Kommentator für die Tagesthemen.

Hagen Boßdorf (Archiv)
„Der Mann ist am Ziel seiner Träume.“

2002 dann die Wahl zum Sportkoordinator der ARD; jetzt sollte er Sportchef werden beim Norddeutschen Rundfunk, einem der größten Sender im ARD-Verbund.

Rosemarie Wilcken, NDR-Verwaltungsratschefin
„Hagen Boßdorf gilt als Bester seines Faches und unsere Entscheidungen werden immer nach den Kriterien gefasst: wer hat die größte Kompetenz.“

Einer der Besten: das war Boßdorf schon immer. Genau deshalb empfiehlt ihn die Staatssicherheit für ihr Wachregiment Felix Dzierzynski. Boßdorf verpflichtete sich für drei Jahre, immer sein Ziel vor Augen: Sportjournalist zu werden. Wie passend, dass er beim Truppenfunk, beim Sender des Wachregiments arbeiten konnte. Heute ist in den Stasiakten nachzulesen, was seine Vorgesetzten beim MfS von ihm hielten.

Zitat aus seiner Beurteilung:
„Unteroffizier Boßdorf ist ständig bemüht, sein journalistisches Wissen und Können zu erweitern, um so gute Voraussetzungen für ein Studium an der Karl-Marx-Universität Leipzig, Sektion Journalistik, zu erlangen.“

Der Dienst bei Dzierzynski – das Ticket für’s ersehnte Studium. Im Westen würde man das Karrierismus nennen.

Leipzig, das Museum des Bürgerkomitees. Hier befand sich früher die Leipziger Stasi-Zentrale. Hier liegen auch die Akten über Hagen Boßdorf. Irmtraut Hollitzer hat 1990 mit anderen dafür gesorgt, dass diese Unterlagen nicht vollständig vernichtet wurden – obwohl Peter-Michael Diestel, damals Innenminister, das verlangte. Für Hollitzer diskreditiert schon die Mitarbeit beim MfS-Sender Hagen Boßdorf bis heute.

Irmtraut Hollitzer, Bürgerkomitee Leipzig
„Wenn er bereits schon beim Wachregiment nicht – wie er nur gesagt hat – Wache geschoben hat, sondern dort bereits das journalistische Handwerk gelernt hat, um der Staatssicherheit quasi auch das ideologische Rüstzeug zu geben, dann ist das auch schon wieder eine qualitativ andere Ebene und dann in einem öffentlich-rechtlichen Sender, wo er ja auch in der Öffentlichkeit meinungsbildend ist, denke ich, geht das eigentlich nicht.“

Den ARD-Bossen hat Boßdorf durchaus Hinweise auf seine Vergangenheit bei der Staatssicherheit gegeben – aber eben nur scheibchenweise. Zum Beispiel 2002, als er ARD-Sportkoordinator wurde. Boßdorf schrieb damals an mehrere Intendanten und Programmdirektoren:
Zitat:
„Ab Mitte 1988 traf ich mich in unregelmäßigen Abständen zu Gesprächen mit einem Stasi-Mitarbeiter in Leipzig. In seltenen Fällen war ein zweiter, jüngerer Mann dabei.“

Eine Verpflichtungserklärung zum IM hätte er nicht unterzeichnet, aber:
„Nach meiner Erinnerung habe ich die übliche Verpflichtung zur ‚Geheimhaltung der Gespräche’ unterschrieben.“

Einer weiteren Zusammenarbeit mit der Staatssicherheit hätte er aber nicht zugestimmt.
Zitat:
„Gegen Ende meiner Dienstzeit wurde ich erstmals für Zusammenarbeit mit der Stasi angeworben, was ich abgelehnt habe.“

Jetzt fand die Birthler-Behörde, Außenstelle Leipzig, Akten, die nahe legen: Boßdorf hat wohl nicht aus moralischen Skrupeln abgelehnt. Jedenfalls nicht allein.

Auszug aus dem Bericht eines IM Wallstein von 1987. Boßdorf habe eine Karriere beim MfS offenbar aus beruflichen Gründen abgelehnt, heißt es dort.

Hagen Boßdorf „… will unbedingt Sportreporter werden.“ Er sei aber bereit
„für kurze Einsätze im Ausland, oder mal was zu übergeben oder entgegen zu nehmen (…) das jederzeit.“

Seit zwei Wochen gibt es jetzt also wieder die Stasi-Affäre Boßdorf. In den Akten finden sich Hinweise darauf, dass er private Briefe einer Göttinger Studentin mit der Staatssicherheit besprach – Boßdorf sollte als IM Florian Werfer zum IM Werber im Westen aufgebaut werden. Er selbst gibt zwar zu, dass es diesen Briefwechsel gab, streitet jedoch ab, jemals als inoffizieller Mitarbeiter tätig geworden zu sein.

Hagen Boßdorf, Sportkoordinator ARD (Archiv)
„Ich war kein IM, ich habe keine Verpflichtungserklärung unterschrieben und auch keine Berichte für die Stasi erarbeitet.“

Die Birthler-Behörde nennt Boßdorf neuerdings einen „Jagdverein gegen Ostdeutsche“.

Irmtraut Hollitzer, Bürgerkomitee Leipzig
„Was da öffentlich geworden ist, reicht eigentlich aus, um ihn für eine solche Tätigkeit in einem öffentlich-rechtlichen Sender zu disqualifizieren. Vor allen Dingen aber auch, dass er von Anfang an immer wieder alles geleugnet hat und dann immer nur das zugegeben hat, was gerade offenbar ans Licht kam und schon damit hat er gezeigt, dass er für einen solchen Posten nicht vertrauenswürdig ist.“

Der NDR hat gestern beschlossen, den Vertrag mit Hagen Boßdorf aufzulösen. Aber er hat ja noch die Anstellung bei der ARD - als Sportkoordinator. Und der ARD Programmchef steht hinter ihm:

Dr. Günter Struve, Programmdirektor ARD
„Hagen Boßdorf ist ohne Zweifel einer der tüchtigsten Mitarbeiter, die der Sport in der ARD je hatte. Und auf ihn zu verzichten, hielte ich für völlig falsch und auch für unangebracht und auch nicht für notwendig, persönlich jedenfalls nach dem gegenwärtigen Stand nicht. Und deshalb wird er morgen und übermorgen und ich hoffe noch sehr lange seine Rolle als Sportkoordinator zu erfüllen haben.“

Übrigens: gegen den NDR will Boßdorf angeblich gerichtlich vorgehen. Um eine halbe Million Abfindung müsse man schon kämpfen, sagt sein Anwalt. Wer das ist? Peter-Michael Diestel – der Aktenvernichter von 1990.