Schüler mit Büchern über DDR Geschichte (Quelle: rbb)
(Quelle: rbb)

- Lückenhaft - DDR-Geschichte im Unterricht

Wie binde ich vorschriftsmäßig ein Pionierhalstuch? Wie viel PS hatte der Trabant? Warum war das Klopapier in der DDR so hart? - Lustige Fragen über den Alltag in der DDR haben zur Zeit Hochkonjunktur. Das amüsante Rätselraten eines Millionenpublikums verdrängt zunehmend den kritischen Blick auf das, was die DDR in erster Linie war: ein Staat, dem Begriffe wie Meinungsstreit und freie Wahlen gänzlich fremd waren. Was wissen Jugendliche über das Wesen der DDR? Was wird ihnen in der Schule vermittelt? KLARTEXT hat sich umgehört.

Beitrag: Ute Barthel

Der letzte Jahrestag der DDR war auch der Beginn ihres Zusammenbruchs.

1989 waren die Schüler des Leibnitz-Gymnasiums in Potsdam gerade geboren oder noch Kleinkinder. Die Geschichte der DDR steht eigentlich in der 10. Klasse auf dem Lehrplan, doch diese 11.Klasse ist nur bis zum Ende des zweiten Weltkrieges gekommen. Was wissen die 17-Jährigen über die DDR?

„Es war halt ein Land, was von Moskau aus regiert wurde, eigentlich.“

„Es gab immer nur eine Sorte Cola. Von allem immer nur ein was, irgendwie und na ja, immer die selben Klamotten.“

„Trabis, Wartburgs, eben so mehr Kultur. Kati Witt, was so in den ganzen Ostshows gezeigt wird.“


Ortswechsel nach Berlin zum Gymnasium Steglitz. Die Schüler der 10a wurden ein Jahr vorm Mauerfall in Westberlin geboren. Auch sie hängen im Lehrplan hinterher und haben im Geschichtsunterricht noch nichts über die DDR gelernt. Was sie wissen, haben sie bisher vor allem von ihren Eltern erfahren.

„Ich verbinde damit vom Lebensumstand eher etwas negatives. Aber ich denke, für die Leute, die da gelebt haben, war es nicht alles nur negativ.“

„Und halt auch immer nur wenig Steuern waren, weil alles dem Staat gehört hat. Hätte ja keinen Sinn gehabt, wenn die Firmen, die dem Staat gehören, dem Staat Steuern zahlen, also sich selbst. Deswegen hatte die DDR auch nicht so viel Geld gehabt und hat auch dann im Endeffekt nicht funktioniert, also die Planwirtschaft von denen.“
„Hast du das in der Schule gelernt?“
„Nee, hat mir meine Oma erzählt.“


Wir führen in der 10a in Berlin-Steglitz und in der 11. Klasse in Potsdam einen Test zur Geschichte der DDR durch.

Wann wurde die Mauer gebaut? lautet eine der Fragen

In Steglitz antworten fast alle Schüler richtig: 1961
Nur vier irren sich.

In Potsdam wissen es gerade fünf Schüler.
Die Mehrheit schätzt. 1957, 58, 1963 oder 1973.

Doch auch das aktuelle Geschichtsbuch widmet dem Bau der Berliner Mauer weniger als eine halbe Seite.

„Wer war Robert Havemann?"
„Wahrscheinlich irgendein Politiker?“
„Oder jemand bei der Stasi oder so?“


Vom Regimekritiker Robert Havemann hatten weder die Steglitzer noch die Potsdamer Schüler gehört. In Steglitz dachten sie, er wäre ein Abgeordneter der SED oder ein Stasi-Hintermann. Ein Potsdamer Schüler vermutete in ihm den Mann, der beim Bau der Mauer vom Osten in den Westen über den Stacheldraht gesprungen ist.

Doch auch das Geschichtsbuch gibt wenig Auskunft über Havemann:
„Robert Havemann verlangte 1976 die Zulassung unabhängiger Oppositionsparteien und Zeitungen.“
Und
„Havemann wurde unter Hausarrest gestellt.“

Lautet der knappe Text.

Freya Klier, die frühere DDR-Bürgerrechtlerin ist von der Unkenntnis der Schüler nicht überrascht. Denn sie berichtet bereits seit 1990 an Schulen in ganz Deutschland über die DDR.

Freya Klier, ehemalige DDR-Bürgerrechtlerin
„Jugendliche wissen nicht die Demokratie zu schätzen, wenn sie nicht wissen, was davor gewesen ist. Also wenn so etwas sich einschleicht, wie - das ist ja eh alles gleich. Weil sie haben ja keine Vorstellung, was eine Diktatur ist, was Angst ist, ja, dass du verhaftet wirst, wenn du ein Plakat hochhältst.“

(Eine Frage an Schüler):
„Was bedeutete Perestroika?“

„Ein russischer Dichter, glaube ich.“
„Ist das nicht was zu essen gewesen?“


„Was war ein Bausoldat?“

„Bausoldat? Ein Soldat, der für die DDR erschaffen wurde?“

Kaum ein Schüler wusste, was ein Bausoldat war.
Die häufigste Antwort am Gymnasium Steglitz: ein Soldat, der an der Mauer stand oder die Mauer bauen musste.
Am Potsdamer Gymnasium wussten fünf Schüler die richtige Antwort:
Jemand, der den Dienst an der Waffe verweigert hat.

Über die Opposition der DDR finden sich im Lehrbuch nur wenige Zeilen. Und einige Lehrer scheuen auch die Auseinandersetzung mit der eigenen DDR-Vergangenheit.

Freya Klier, ehemalige DDR-Bürgerrechtlerin
„Es gibt auch eine Hilflosigkeit. Z.B. wird manchmal schon diskutiert: War die DDR eine Diktatur ? Das ist natürlich absurd. Das ist nun wirklich Geschichtswissen. Aber es gibt auch Lehrer, die sagen, man weiß noch nicht mal, ob die DDR als Diktatur einzuschätzen ist. Und da läuten bei mir dann immer die Glocken und dann denke ich, man müsste mal wieder ein paar Lehrerseminare machen.“

Peter Danz, Klassenlehrer der 10a in Steglitz, hat sechs Jahre in Ostdeutschland gearbeitet. Er plädiert dafür, dass der DDR im Geschichtsunterricht mehr Zeit gewidmet wird.

Peter Danz, Lehrer
„Weil, ich eine fatale Entwicklung wahrzunehmen glaube, nämlich eine Entwicklung der Verklärung, Verharmlosung auf der einen Seite, auf der anderen Seite aber auch einer Verteufelung und eines völligen Unverständnisses gegenüber der Tatsache, dass wirklich Biografien zerbrochen wurden.“

Nach den Ferien will er mit seiner Klasse nach Ostberlin fahren. Denn dort sind viele seiner Steglitzer Schüler noch nie gewesen.