Mauergedenkstätte Bernauer Straße (Quelle: rbb)
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- Neuer Streit um Mauergedenkstätte – Wer ist Opfer, wer ist Täter?

Das "Fenster der Erinnerung" in der Mauergedenkstätte Bernauer Straße soll Ort der Trauer und des Gedenkens sein. Jetzt wird diskutiert: Soll neben den erschossenen Flüchtlingen auch auf das Schicksal erschossener Grenzer hingewiesen werden?

Über den nächsten Beitrag haben wir in unserer Redaktion lange diskutiert: Es geht um die Toten der Berliner Mauer. Die Gedenkstätte in der Bernauer Straße in Berlin-Mitte wird seit Jahren ausgebaut. Doch ein letztes, zentrales Element fehlt noch: die namentliche Erinnerung an die Toten. Doch wer soll dort künftig genannt werden? Die Flüchtlinge natürlich, werden Sie sagen. Doch was ist mit den DDR-Grenzern, die dort ebenso ums Leben kamen, manche kaltblütig erschossen? Genau darüber beginnt jetzt eine heftige Debatte: Katrin Aue hat mit Betroffenen beider Seiten gesprochen.

Berlin – Schönwalde, 1980. DDR-Grenzsoldaten untersuchen einen Tatort. Hier wurde ein 24-Jähriger tödlich in den Rücken getroffen. Ein kaltblütiger Mord. Ulrich Steinhauer ist eines der letzten Todesopfer an der Berliner Mauer.

Abendschau, 6.1.1980
„Beide, Täter und Opfer, trugen die gleiche Uniform. Die der Grenztruppen der DDR.“

Ulrich Steinhauer, ein Grenzsoldat - und ein Opfer. Um ihn und sieben weitere an der Mauer getötete Grenzsoldaten soll es hier gehen, und um einen Streit darüber, wen wir Maueropfer nennen und wessen wir gedenken wollen.

Hier wird es stattfinden, das Erinnern an die Opfer: an der Mauergedenkstätte in der Bernauer Straße, Berlin-Mitte. Sie soll erweitert werden, zu dem zentralen Ort des Aufklärens und Gedenkens. Das Herzstück der künftigen Ausstellung: eine Installation mit dem Arbeitstitel „Fenster der Erinnerung“.

Hier sollen Fotos abgebildet werden der Opfer der Berliner Mauer. Zum Beispiel von Peter Fechter, der 1962 bei einem Fluchtversuch erschossen wurde. 136 Biographien von Toten wurden erforscht. Doch sollten sie alle in das Fenster aufgenommen werden, der tote Republikflüchtling Seite an Seite mit dem toten Grenzsoldaten?

Eine Frage, auf die es keine einfache Antwort gibt. Wir fahren nach Niedersachen, zu Menschen, die dieses Thema umtreibt.

Der Chef der Mauergedenkstätte, Axel Klausmeier, ist zu Gast bei den Verbänden der Opfer des Kommunismus. Sie alle haben unter dem SED-Regime gelitten, einige saßen in Haft, weil ihre Flucht misslungen war. Ihnen will Klausmeier das „Fenster der Erinnerung“ vorstellen:

Axel Klausmeier, Stiftung Berliner Mauer
„Hier, so wird es aussehen, das heißt, wir haben auch Blindnischen, wo man beispielsweise Blumen reinstellen kann, wo man Kerzen reinstellen kann, und so weiter.“

Es wird kein Ort der reinen Informationsvermittlung, sondern ein Denkmal. Klausmeier referiert sein Dilemma:

Axel Klausmeier, Stiftung Berliner Mauer
„Müssen, dürfen und können die Grenzsoldaten, die während der Ausübung des Dienstes an der Grenze ums Leben kamen, und die gewissermaßen als Garanten für die Undurchlässigkeit der Grenze sorgten, in dieses Fenster der Erinnerung aufgenommen werden?“

Edith Fiedler, Stasiopfer Selbsthilfe
„Ganz grausam. Ich könnte niemals an dieses Fenster gehen, wenn da auch noch Schützen ... wie auch immer.“

Carl-Wolfgang Holzapfel, Vereinigung 17. Juni 1953
„Wenn man sagt: Die da unten waren ja eigentlich gar nicht Schuld, sondern die da oben. Also es gab schon die Möglichkeiten, sich selbst einzubringen, und man macht es sich zu einfach, wenn man sagt: Ihr wart ja nur Rädchen im großen System.“

Helmut Ebel, IG Zwangsausgesiedelter Mecklenburg-Vorpommern
„Man kann ihrer gedenken, auch des Missbrauchs dieser Menschen gedenken, aber nicht in der gleichen Gedenkstätte.“

Es ist richtig: Die Grenzsoldaten hätten sich weigern können, an der Mauer Dienst zu tun. Doch in der DDR wusste jeder, dass eine Weigerung Repressalien nach sich ziehen konnte, auch für die Zeit nach dem Wehrdienst. Ein solcher Entschluss kostete also Mut.

Ja, wer den nicht aufbrachte und Grenzer wurde, war eine Stütze der SED-Diktatur. Doch wer dabei ums Leben kam, wurde auch Opfer. Wir fahren an die Ostsee, um mehr über den getöteten Ulrich Steinhauer zu erfahren.

Ilona Jahnke war noch ein Kind, als ihr Bruder zum Grenzdienst eingezogen wurde. Für die Familie, die nicht in der Partei war, war es schlimm, mit anzusehen, wie der Sohn litt.

Ilona Jahnke
„Er war immer so: Hoffentlich schnell wieder nach Hause. Eher ängstlich. Er hat nicht umsonst immer gesagt: Du weißt nie, mit wem Du da stehst, ist das dein Freund, oder ist das dein Feind?“

Erst in den Akten der Stasi fand Ilona Jahnke Informationen zum Tod ihres Bruders. Er hatte Recht gehabt mit seiner Befürchtung. Es war am nördlichen Ende der Berliner Mauer, am 4. November 1980. Steinhauer war auf Patrouille mit einem 19-jährigen. Was er nicht wusste: Der wollte in den Westen fliehen und nahm dabei den Tod des Kameraden in Kauf. Mit fünf Schüssen tötete er Steinhauer, der tödliche Schuss ging durch den Rücken ins Herz und zerfetzte den Wehrdienstausweis. Ilona Jahnke kann die Kaltblütigkeit der Tat noch heute nicht fassen.

Ilona Jahnke
„Die haben doch alle ihre Waffenausbildung gehabt. Ich kann auch einen Menschen ins Bein schießen oder ihm eine rüberziehen. Ich muss den Menschen nicht töten. Bloß, damit ich frei sein kann? Ich kann doch nicht meine Freiheit über das Leben eines anderen stellen.“

Der Familie bleibt sein letzter Brief. „Tschüß, es grüßt Euch Usch. Noch 172 Tage.“ Der Brief kam zwei Tage nach seinem Tod.

Ilona Jahnke
„Wenn eine Mutter ihren Sohn verliert, weil sie wusste, der wollte fliehen und hat es nicht geschafft, ist das schwer. Aber eine Mutter, die ihren Sohn verliert, weil der an der Grenze seinen Dienst getan hat, ist das genauso schwer. Ich kann da, ich kann dieses Trennen nicht verstehen.“

Kann man das Gedenken danach trennen, auf welcher Seite die Toten standen?

Zurück zum Treffen der Opferverbände. Auch hier sind nicht alle dafür, die toten Grenzsoldaten auszuschließen:

Karl Hafen, Internationale Gesellschaft für Menschenrechte
„Ich würde am Anfang gleich sagen: Kein Hass über den Tod hinaus. Deswegen bin ich dafür, dass wenn dort Tote aufgelistet werden, alle aufgelistet werden.“

Doch wenn ohne Ansehen der Person alle in das „Fenster der Erinnerung“ aufgenommen werden, dann wird auch seiner hier gedacht: Peter Göring. Er war ein Mauerschütze, beteiligt an der Hetzjagd auf einen 14-Jährigen, der fliehen wollte und dabei verletzt wurde. Auch Peter Göring versuchte, ihn zu töten. Beim Schusswechsel mit Beamten auf der Westseite trafen Peter Göring Querschläger, er starb. Er war ein Täter und wurde von der DDR-Führung zum Märtyrer gemacht.

Für Karin Gueffroy wäre es schwer erträglich, ein Foto von Peter Göring direkt neben dem ihres erschossenen Sohnes zu sehen. Der 20-Jährige Chris Gueffroy war 1989 auf der Flucht in den Westen von Grenzsoldaten getötet worden.

Karin Gueffroy
„Ich bin da selber zerrissen, ich kann Ihnen da gar keine richtige Antwort geben. Das ist so schwer, hier hängt mein Sohn und da hängt jemand in Uniform, der geschossen hat. Der aber dann auch irgendwann zu Tode gekommen ist.“

Alle Todesopfer unterschiedslos in ein Denkmal, das kann Karin Gueffroy sich nicht vorstellen. Doch vielleicht einen Kompromiss.

Karin Gueffroy
„Je mehr ich darüber nachdenke, dass die ja auch alle Familie hatten, Eltern, Geschwister, vielleicht sogar Kinder schon, dass die hier auch irgendwo einen Platz haben, wo die Familie vielleicht eine Kerze hinstellt oder eine Blume hinlegt. Ich kann nichts dagegen haben.“

Noch im Juli soll über das „Fenster der Erinnerung“ entschieden werden. Und damit darüber, wer „Opfer der Berliner Mauer“ genannt werden darf.



Katrin Aue