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Parteitag der Linkspartei | Bild: rbb

- Pro und Contra: Dürfen ehemalige Stasi-IM Minister werden?

Kerstin Kaiser hat Die Linke in Brandenburg an die Macht geführt. Sie wurde als Direktkandidatin gewählt und hat um ihre Biografie kein Hehl gemacht. Doch ein Ministeramt bleibt ihr versagt. Warum eigentlich? KLARTEXT diskutiert pro und contra.

Es geschehen noch Zeichen und Wunder: 20 Jahre nach der Wende will das brandenburgische Landesparlament alle Abgeordneten auf eine frühere Mitarbeit bei der Stasi überprüfen. Na endlich. Von der Fraktionschefin der Linken, Kerstin Kaiser, weiß man bereits: Sie hat als ehemalige IM der Stasi eine unrühmliche Vergangenheit. Trotzdem machte sie bisher aus ihren Ambitionen für ein Ministeramt keinen Hehl. Heute erklärte sie im Landtag:

Kerstin Kaiser
„Das Verhalten vor 1989 soll in Brandenburg auch weiterhin mit menschlichem Maß betrachtet und zugleich im Lichte der letzten 20 Jahre bewertet werden.“

Menschliches Maß, das Licht der letzten 20 Jahre - hat sie recht damit? Dürfte sie grundsätzlich, so als ob nichts gewesen wäre, auch ein Ministeramt bekleiden? Wir haben in der Redaktion darüber kontrovers diskutiert und zwei unserer Autoren, die gegensätzlicher Ansicht sind, um ihre Einschätzung gebeten. Hier zunächst ein Plädoyer von Iris Marx.

Wahlabend in Brandenburg. Die Linke triumphiert: Die Partei erzielte bei den Landtagswahlen das zweitbeste Ergebnis. Ganze 27 Prozent wählten die Linke mit Kerstin Kaiser an der Spitze in den Landtag. Trotzdem verzichtet Kaiser auf ein Ministeramt – warum eigentlich?

Es dauerte nicht lange bis nach der Wahl die alt bekannte Platte von ihrer Stasi-Vergangenheit aufgelegt wurde. Selbst 20 Jahre nach dem Mauerfall ist immer noch jede frühere IM-Tätigkeit eine große Schlagzeile wert. Obwohl es viele Wähler kaum noch interessiert.

KLARTEXT
„Kerstin Kaiser, obwohl Stasi-Vergangenheit, ist zum dritten Mal direkt gewählt worden. Wie finden Sie das?“
Passantin
„Tja, nicht weiter so tragisch.“
KLARTEXT
„Haben solche Leute eine zweite Chance verdient?“
KLARTEXT
„Auf alle Fälle. Natürlich.“

Trotzdem produziert Platzecks Plan in Brandenburg, mit der Linken zu koalieren, nun wieder die üblichen Klischees. Nur ist es dieses Mal ein ganz besonderer Schlager.

Denn in der Brandenburger Linken gibt es gleich eine ganze Reihe ehemaliger Stasi-Spitzel. Allen voran die 49-jährige Fraktionsvorsitzende Kerstin Kaiser, alias IM Kathrin. Ihre Akte ist lang und voll mit unappetitlichen Spitzeleien über ehemalige Studienkollegen. Das war 1979, Kerstin Kaiser war 18 Jahre alt.

Seitdem ist viel Zeit ins Land gegangen. Die Reste der DDR – sie verschwinden immer mehr. Ist es da, 20 Jahre nach dem Mauerfall, immer noch nötig, von der Stasi-Vergangenheit zu reden? War es überhaupt nötig, dass Kaiser trotz des hohen Wahlergebnisses auf ein Ministeramt verzichtet?

Zweifellos hat sie moralische Schuld auf sich geladen.

Sätze aus ihren Treffberichten über ihre Studienkollegen:

Zitat
„…ist sexuell sehr stark bedürftig.“
Oder, sie seien
Zitat
„…nicht die Zuverlässigsten“

…bedürfen keines Kommentars.

Aber sie sind bekannt. Seit 15 Jahren liegt ihre Akte auf dem Tisch. Ihre IM-Tätigkeit steht sogar deutlich in ihrer Biografie. Trotzdem wurde Kerstin Kaiser in ihrem Wahlkreis Märkisch-Oderland schon zum dritten Mal hintereinander sogar direkt in den Landtag gewählt.

Es entspräche also nicht mehr und nicht weniger einem ordentlichen demokratischen Rechtsstaat, dass dieser Wählerwille auch endlich akzeptiert wird, mit allen Konsequenzen. Das Ministeramt gehört dazu. Der Verzicht, ein fauler Kompromiss.

Das meint auch der Verfassungsrechtler Prof. Christian Pestalozza.

Prof. Christian Pestalozza, Verfassungsrechtler, FU Berlin
„Der Wähler der betreffenden Liste oder des betreffenden Wahlkreisbewerbers erklärt ja mit seiner Entscheidung, ihm ist das gleichgültig, sofern er weiß, dass es sich um einen früheren IM handelt. Und diese Erklärung des Wählers sollte man respektieren. Es gibt ja keine Vorschrift, die etwa früheren IM verbietet, überhaupt zu kandidieren, oder wenn sie gewählt werden, das Mandat anzunehmen. Sie sind parlamentsfähig und wer parlamentsfähig ist, der sollte automatisch auch regierungsfähig sein.“

So sehen es auch die Wähler im Wahlkreis Strausberg in Märkisch-Oderland.

KLARTEXT
„Die ist jetzt hier zum dritten Mal direkt gewählt worden. Wie finden Sie das?“
Passant
„Völlig in Ordnung.“
KLARTEXT
„Haben Sie sie gewählt?“
Passant
„Ja!“
KLARTEXT
„Aber die hat eine Stasi-Vergangenheit, das wissen Sie?“
Passant
„Das weiß ich, ja.“

KLARTEXT
„Finden Sie denn, dass so eine Frau, die eine Stasi-Vergangenheit hat, eine zweite Chance verdient hat?“
Passantin
„Ich denke, sie ist ziemlich jung gewesen damals und wenn wir mal zurück denken, da haben wir wohl alle mal einen Fehler gemacht, den wir irgendwann bereuen.“

KLARTEXT
„Kerstin Kaiser ist zum dritten Mal direkt gewählt worden, wie finden Sie das?“
Passant
„Warum nicht?!“
KLARTEXT
„Sie hat eine Stasi-Vergangenheit…“
Passant
„Spielt das heute noch eine Rolle? Ich mein, das sind 20 Jahre her nach der Wende. Ich meine, das sollte man langsam mal ruhen lassen.“

Alles Ewiggestrige in Strausberg? Die Stadt hat als ehemaliger Sitz der militärischen Führung eine besondere Verbundenheit zur DDR, so dass das Wahlergebnis einige nicht überrascht. Aber man macht es sich zu leicht, möchte man den Wahlerfolg einfach auf einige scheinbar unbelehrbare Bürger schieben. Denn auch hier gilt das allgemeine und freie Wahlrecht. Jede Stimme zählt gleich.

Prof. Christian Pestalozza, Verfassungsrechtler, FU Berlin
„Das ist ja das Unheimliche an der Demokratie und das Überraschende, dass es überhaupt funktioniert, dass es nicht auf die Klugheit, den Beruf, die Einsichtigkeit oder dergleichen weder des Wählers noch des Gewählten ankommt.“

Und zur Erinnerung: 27 Prozent aller Brandenburger haben die Linke gewählt.

Nur schade, dass Mathias Platzeck noch immer nicht den Mut hat, den Wählerwillen vollständig zu respektieren und Frau Kaiser konsequenterweise zur Ministerin zu machen. Denn er regiert doch ohnehin mit einer Partei, deren Geschichte unwiderruflich mit der der DDR und der Stasi verbunden ist. Und viele Brandenburger sind die alten Geschichten auch einfach nur leid.

Passantin
„Das steht mir hier! Nach 40 Jahren und Sie sprechen immer noch über Stasi… ne!“



Viele von Ihnen werden dieser Ansicht vielleicht zustimmen und sagen: Ja, genau so ist es! Doch was ist mit den Opfern der Stasi? Darf man verdrängen, wie viel Unrecht damals geschah? Ist es nicht vielmehr unsere Aufgabe, die DDR-Vergangenheit präzise aufzuarbeiten, Schuld klar zu benennen und auch Konsequenzen daraus abzuleiten? Benedict Maria Mülder meint: Ja.

Küsschen für seine „Kaiserin“. Matthias Platzeck, der alte und wohl neue Ministerpräsident von Brandenburg. Seine Umarmungsstrategie macht vor einer Stasibelasteten Politikerin nicht halt. Historiker warnen vor der rot-roten Liaison: Einstige Stasi-Spitzel werden salonfähig gemacht, das Ende der Diktatur-Aufarbeitung werde forciert.

Kerstin Kaiser kann singen, aber sie gehört an keinen Kabinettstisch ….

Prof. Klaus Schroeder, Forschungsverbund SED-Staat, FU
„Weil sie mit ihrer Vergangenheit nicht ehrlich umgegangen ist bisher, weil sie immer noch Dinge verheimlicht, die geschehen sind, und weil sie als Symbol steht dafür, dass es jetzt zum Schlussstrich mit der Aufarbeitung der Vergangenheit kommt.“

20 Jahre nach dem Aufstand gegen das SED-Regime verblasst die Erinnerung an das Leben in der Diktatur. Gerade deshalb darf eine Machtausübung von Linken, die mit der Stasi kooperierten, jetzt nicht zur Normalität werden. Opposition ist auch eine Bewährungsprobe.

Prof. Klaus Schroeder, Forschungsverbund SED-Staat, FU Berlin
„Es gibt keine Ausgrenzung von Frau Kaiser oder anderen ehemaligen Stasi-Leuten, die in ein Parlament gewählt werden. Sie beziehen ihre Diäten, sie können Opposition betreiben, sie können machen, was sie wollen, aber sie haben natürlich kein Anrecht, Minister zu werden.“

Die Fakten: 1979 beginnt Kerstin Kaiser alias IM Kathrin als Studentin in Leningrad ihre Geheimdienstkarriere, berichtet hemmungslos, so ihre Führungsoffiziere, über anstößige Werbung, jähzornige und egoistische Genossen, Nickis auf bloßer Haut, politische Unzuverlässigkeiten, Intimes und über einen Juden.

Nach 1989 macht Kerstin Kaiser Karriere in der PDS, wird stellvertretende Parteivorsitzende, kandidiert 1994 erfolgreich für den Bundestag. Doch Ausmaß und Umfang ihrer Zusammenarbeit mit der Stasi verschweigt sie bis heute, in der Partei genauso wie in der Öffentlichkeit.

Kerstin Kaiser (1994)
„Mir sind erst im Laufe der Tätigkeit, im Laufe der Zusammenarbeit mit dem MfS in Leningrad, im Laufe meines Studiums, auch Zweifel gekommen an der Berechtigung dieser Zusammenarbeit.“

In den Akten steht das anders. 1983 wollte Kaiser wegen ihrer Schwangerschaft nicht auf ein „totes Gleis“ gestellt werden und „bestand auf einer weiteren Zusammenarbeit mit dem MfS“.

Erst auf Beschluss der PDS-Bundestagsfraktion legt sie 1994 ihr Mandat nieder. Doch sie verzichtet auf eine ehrliche Aufarbeitung. Noch 2001 heißt es, sie habe nicht in einer „Spitzelrolle“ gelebt und nur berichtet, was öffentlich war. Dass ihre Informationen mehrfach an den russischen Geheimdienst weitergeleitet wurden – mit unabsehbaren Folgen für die Betroffenen. Bis heute dazu kein Wort von ihr.

Prof. Klaus Schroeder, Forschungsverbund SED-Staat, FU Berlin
„Sie möchte immer vorneweg stehen, aber sie hat es nicht geschafft, sich ohne Wenn und Aber zu entschuldigen bei den Opfern, die sie bespitzelt hat.“

Kerstin Kaiser war eine überzeugte Zuträgerin des MfS. Herbst 1984. Als Russisch-Lehrerin an der Parteischule Karl-Liebknecht in Kleinmachnow gehörte sie zur Nomenklatur. In der Parteischule zu spitzeln, war dem MfS untersagt. Kerstin Kaiser hätte aussteigen können – doch IM„Kathrin entwickelt“, laut Stasi-Akten, „Aktivitäten um die Zusammenarbeit fortzusetzen“. Erst 1988 wird die Akte Kathrin endgültig geschlossen.

Neben Kerstin Kaiser stehen drei weitere ehemalige Stasi-IM an der Spitze der brandenburgischen Linken. Keiner hat sich bis heute für seine SED-treuen Tätigkeiten öffentlich und wirksam entschuldigt.

Der Geist der „kleinen DDR“ lebt wieder auf. So sprach sich jetzt Martina Weyrauch, Chefin der Landeszentrale für politische Bildung, erneut für Kerstin Kaiser als Ministerin aus. Weyrauch war einst selbst SED-Kader, lobte 1987 in ihrer Dissertation an der Akademie für Staat- und Recht den „umfassenden Rechtsschutz“ durch das DDR-Strafrecht.

Prof. Klaus Schroeder, Forschungsverbund SED-Staat, FU Berlin
„Wenn so eine Frau die ehemalige Stasi-Spitzelin Frau Kaiser für ministerfähig hält, ihr die Hand reichen will und das auch noch Versöhnung nennt, dann sehen sie, wie sozusagen die Bereinigung der Vergangenheit von Verstrickten geschieht. Verstrickten reichen ebenfalls Verstrickten die Hand, und nennen das Versöhnung.“

Die Liaison Kaiser – Platzeck, ein Weg in die Vergangenheit. Ein verhängnisvolles Signal über Brandenburg hinaus.

Mit Kerstin Kaiser wollten wir übrigens gerne persönlich reden, doch sie stand uns für ein Interview leider nicht zur Verfügung.



Iris Marx und Benedict Maria Mülder