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- Rückblick: Mein 7. Oktober 1989

Während die Schar der Demonstranten vom Alexanderplatz über die Karl-Liebknecht-Straße zum Palast der Republik zog, feierte sich dort unbeeindruckt aber abgeschirmt von Polizei und Stasi die Partei- und Staatsführung der DDR. Unser Autor Holger Trzeczak erinnert sich an diesen Tag, an Gefühle, die viele mit ihm teilten. Zwischen Angst und Hoffnung erlebte er einen Tag, der von heute aus betrachtet, das Ende der DDR greifbar nahe erscheinen ließ.

Heute vor genau 20 Jahren – erinnern Sie sich noch? Am 7. Oktober 1989 feiert die DDR ihr 40-jähriges Bestehen. Trotz der seit Wochen andauernden Fluchtwelle hält die SED an ihrem traditionellen Feierritual fest. Doch gleichzeitig erheben Tausende ihre Stimmen und bringen damit am Ende die DDR zu Fall. Von ihnen und ihrem Mut ist in diesen Tagen viel die Rede. Doch was ging eigentlich in den anderen Bürgern der DDR vor, die in diesen Tagen des Umbruchs lieber zuhause blieben und zuschauten? Unser Autor Holger Trzeczak gehörte zu ihnen. Er hat sich noch malerinnert und beschreibt, was er - und mit ihm vielleicht viele andere - damals empfunden haben.

Meine Geburtsurkunde, mein FDJ-Ausweis, mein Wehrdienstlappen – was wollte ich mehr damals im Herbst 1989? Nun, einen Reisepass hätte ich schon gern mal irgendwann.

Kind des DDR-Sozialismus war ich. Aber war mein Land jetzt wirklich noch „Unsere Heimat“? Tausende waren schon über Ungarn gen Westen getürmt. Ich verstand sie nicht. Ich wollte nicht weg. Denn was sollte der Westen mir bieten können?

7. Oktober 1989: Meine größte DDR der Welt feierte 40. Geburtstag. Musste sie sich so pompös bejubeln? Was für ein Quatsch, dachte ich vor der Glotze. Überall knirscht es im Land, und hier rollt es wie geschmiert. Dann sah ich, wie neben Honecker Gorbatschow steht und abwinkt.

Ein Zeichen?

Heute bin ich schlauer. Ich gehe ins Fernseharchiv des rbb und treffe meine Stars von damals wieder. Die Westreporter.

Sie zeigten mir mein Land, wie ich es erlebte, anders als das DDR-Fernsehen. Ihretwegen wurde ich Fernsehjunkie. Es begann am 7. Oktober 1989.

Abendschau vom 7.10.1989
„Berlin Alexanderplatz heute nachmittag um fünf. Etwa 150 vorwiegend junge Leute hatten sich versammelt, am Rande des großen Volksfestes in Berlin-Mitte. ‘Neues Forum, Neues Forum!‘ riefen sie und immer wieder ‚Wir bleiben hier!‘ Und: ‚Freiheit für die Inhaftierten!‘ Uniformierte Polizei zeigte sich nicht. Die Staatssicherheitsbeamten in zivil waren zahlreich erschienen, griffen aber auf dem Platz nicht ein.“

Ich war nicht am Alex damals. Ich war in der Provinz und dachte, alles läuft weiter wie immer. Ich war sozusagen gemäßigt feige. Doch abends am Fernseher sah ich, dies war kein Einzelprotest mehr. Hier ging was Neues los.

Aber was? Was würde ich denn wollen, wenn mich ein Westreporter fragte?

Abendschau vom 7.10.1989
„Die Jugend, die hier steht, die will hier bleiben. Die will gegen den Sozialismus kämpfen, der jetzt ist. Wir müssen einen Sozialismus haben, der eine andere Art und Weise aufbaut.“
Abendschau vom 7.10.1989
„Na, zum Beispiel Pressefreiheit, ne offenere Presse, würd ich sagen, dass man hier mehr erfährt in der Zeitung, was hier los ist, was wirklich los ist, und nicht irgendwelche geschminkten Sachen.“

Genau. Ich wollte ein DDR-Fernsehen, das nichts verschweigt. Und hoffte halb acht bei der Aktuellen Kamera, dass es schon soweit sei. Wenigstens eine Meldung von den Protesten. Doch nichts da.

Aktuelle Kamera vom 7.10.1989
„Der festlich erleuchtete Palast der Republik. Auf seine Art Symbol für 40 erfolgreiche Jahre zum Wohl des Volkes. Offizielle ausländische Gäste und verdienstvolle Werktätige folgen der Einladung Erich Honeckers zu diesem Empfang.“

Honecker und die alte Riege müssen weg, dachte ich. Gorbatschow muss es richten. Und wenn endlich Offenheit herrscht, dann würde die DDR auch wieder Heimat, wie ich sie als Kind empfand.

Solche Bilder elektrisierten mich: Die Menge hinter dem Palast. Die rief „Gorbi“ und wollte doch wohl kaum meinen Sozialismus abschaffen. Diese Leute wollten Reisefreiheit. Sie brüllten für mich mit. Aber würde meine DDR dann noch zu halten sein? Würde die Staatsmacht nicht eher zurückschlagen? Die Paradepanzer vom Vormittag wären doch schnell in Stellung. Kirchenandachten hielt ich damals für frömmelnden Quatsch. Doch gerade hier sagte einer den Satz, der mich am meisten ermutigte.

Abendschau vom 7.10.1989
„Die Leute sind jetzt so weit, dass sie ihre Meinung öffentlich kund tun, nicht mehr Angst haben, an solchen Veranstaltungen wie Mahnwachen und solchen Sachen teilzunehmen.“

Kurz darauf trat das Politbüro zurück. Und so begann die DDR am 40. Geburtstag ihre letzte Reise. Wohin – das wissen wir jetzt.


Holger Trzeczak