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Pateimitglieder der Linkspartei | Bild: rbb

- Stasifälle im Landtag: Platzeck unter Druck

Für Ministerpräsident Platzeck war die rot-rote Koalition auch ein Schritt zur Versöhnung. Doch nach den Stasifällen Hoffmann und Stobrawa wird klar, die Täter von einst verweigern die Aufklärung. Wann zieht Platzeck die Konsequenzen?

Keine vier Wochen alt ist die rot-rote Koalition in Brandenburg und schon steht sie vor einer Zerreißprobe: Die Stasi-Verstrickungen von Linken-Abgeordneten im Landtag setzen vor allem Ministerpräsident Matthias Platzeck immer mehr unter Druck. Eine Enthüllung jagt die nächste. Heute wurde ein weiterer Stasi-Fall bekannt. Ute Barthel, Andre Kartschall und Gaby Probst haben recherchiert, was im Einzelnen dahinter steckt. Und: Sie zeigen auf, warum diese Stasi-Fälle eigentlich erst so spät ans Licht gekommen sind.

Matthias Platzeck (SPD), Ministerpräsident Brandenburg
„Das ist für uns, was da im Moment passiert, ausgesprochen schmerzlich. Viele, auch ich selber fühle mich von den Kollegen Hoffmann und Adolph getäuscht.“

Krisenstimmung bei den Brandenburger Sozialdemokraten. Sie erleben ein böses Erwachen. Die erst wenige Wochen alte Koalition mit den Linken wird von immer neuen Stasifällen erschüttert. Warnungen im Vorfeld haben Platzeck und seine Genossen ignoriert - und selbst jetzt bescheinigen sie den Linken Tapferkeit.

Matthias Platzeck (SPD), Ministerpräsident Brandenburg
„Wir haben sehr klar gesagt, diese Koalition soll keine Schlussstrichkoalition sein. Sie wird nicht geschichtsvergessen sein, sondern sie wird für Transparenz und Aufklärung sorgen. Dieses findet statt. Ich hätte mir den Prozess anders gewünscht, überhaupt keine Frage.“

Doch das Problem der Linkspartei ist nun auch ein Problem für Platzeck und die SPD. In der Parteispitze und in der Fraktion der Linken haben frühere IMs und hauptamtliche Mitarbeiter der Staatssicherheit Karriere machen können. Manche haben sich dazu bekannt, andere werden jetzt von ihrer Vergangenheit wieder eingeholt.

Der Abgeordnete Gerd-Rüdiger Hoffman flog vor zwei Wochen auf.

Gerd-Rüdiger Hoffmann (Die Linke.), Landtagsabgeordneter
„Ich bin bereit, mich mit meiner Biografie zu beschäftigen. Ich muss akzeptieren, dass ich offensichtlich ein jetzt ganz wichtiges Detail nicht mehr wusste.“

Das wichtige Detail ist 180 Seiten dick, Hoffmanns Stasi-Akte. Darin finden sich Spitzelberichte aus seiner Zeit an der Erweiterten Oberschule und später bei den Grenztruppen. Trotzdem will er sein Mandat nicht niederlegen. Nicht mal nach Druck aus der eigenen Fraktion. Sein Anwalt Peter-Michael Diestel, erfahren mit Stasi-Fällen, verteidigt die Haltung seines Mandanten.

Peter-Michael Diestel, Anwalt von Gerd-Rüdiger Hoffmann
„Er hat lediglich die Verpflichtungserklärung, wenn sie authentisch ist, vergessen, die er unterschrieben hat, wenn er sie unterschrieben hat, sage ich noch mal, ich kenne die nicht, und in zwar in einem Zeitraum, da war er Jugendlicher, das ist rechtswidrig auch nach DDR-Recht gewesen.“

Ein weiterer Stasi-Fall: Renate Adolph, Deckname noch unbekannt. Sie hat am Montag ihr Mandat niedergelegt – vorsorglich, denn belastende Akten gibt es bisher keine. Einem Interview stimmt sie zu – aber offen legen, was sie damals getan hat will sie nicht. Zugegeben hat sie nur, für die Auslandsabteilung der Stasi gearbeitet zu haben: die Hauptverwaltung Aufklärung.

Renate Adolph (Die Linke.), Ex-Landtagsabgeordnete
„Die Aufklärung ist Aufklärung. Wenn Sie so wollen: Es ist konspirative Arbeit und darüber redet man nicht. Man geht da nicht auf‘n Marktplatz mit und sagt: ‚Ich habe, war da irgendwie ein kleines Rädchen oder so‘. Das macht man nicht, das ist …“
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„Das ist ein Ehrencodex?“
Renate Adolph (Die Linke.), Ex-Landtagsabgeordnete
„Könnte man so sagen, weiß nicht, vielleicht so innerlich. Es hat mir ja keiner gesagt.“
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„Warum gilt der heute noch? Die DDR gibt’s ja schon länger nicht mehr …“
Renate Adolph (Die Linke.), Ex-Landtagsabgeordnete
„Keine Ahnung, ich weiß es nicht, ich kann’s nicht sagen, ich kann’s nicht sagen."

Noch drin im Landtag ist Michael-Egidius Luthardt. Er gab heute zu, seinen Militärdienst beim Wachregiment „Felix Dzierzynski“ geleistet zu haben. Kein wirklich schwerwiegender Fall, aber öffentlich darüber geredet hat er eben auch nicht – bis vor wenigen Stunden.

Michael Egidius Luthardt (Die Linke.), Landtagsabgeordneter
„Ich habe meinen Wachdienst, also meinen Wehrdienst, dort abgeleistet beim Wachregiment. Also, ich habe es nicht vor mir her getragen, aber auf Anfragen, wo es notwendig war, habe ich es auch immer gesagt."

Gerlinde Stobrawa wird als so genannter „Grenzfall“ bezeichnet. Das war schon 1991 so, als eine Karteikarte gefunden wurde – mehr gab es damals nicht. Nun gibt es auch eine Opferakte, mit Abschriften aus Tonbandprotokollen. IM Marisa soll darin über einen Arbeitskollegen berichtet haben. Eine Verpflichtungserklärung wurde nicht gefunden. Gerlinde Stobrawa beteuert bis heute ihre Unschuld

Gerlinde Stobrawa (Die Linke.), ehem. Vizepräsidentin des Landtages
„Ich habe nicht gewusst, dass es solche Berichte in einer Opferakte gibt, weil ich wirklich davon ausgehe: Ich habe keinen Bericht geschrieben. Ich bin auch nie als IM Marisa bewusst abgeschöpft oder ausgehorcht… was auch immer."

Das hält der Historiker Jochen Staadt nicht für plausibel. Er ist Experte in der Bewertung von Stasi-Akten.

Jochen Staadt, Forschungsverbund SED-Staat, FU Berlin
„Die Tonbänder sind ersichtlich durch Aktenzeichen abgeschrieben worden von einer Dienstkraft beim MFS. Die hat der Offizier nicht selbst gebastelt. Insofern sind schon zwei Leute involviert. Da bin ich der Meinung, das kann nicht frei erfunden sein, wenn das abgeschrieben wird.“

Gerlinde Stobrawa behauptet, immer offen mit ihrer Biografie umgegangen zu sein. Schuld habe sie keine auf sich geladen. Dennoch ist sie vom Amt der Vizepräsidentin des Landtages nun zurückgetreten. Der Koalitionspartner SPD ist erleichtert.

Dietmar Woidke (SPD), Fraktionsvorsitzender
„Wir hätten im Dezember spätestens einen Abwahlantrag zu Frau Stobrawa im Parlament gehabt. Auch ein großer Teil der SPD-Fraktion kannte diesen Teil ihrer Geschichte nicht. Auch nicht diesen Fall, der 1991 vor der Ehrenkommission behandelt wurde.“

Das Thema Stasi wurde im Brandenburger Landtag verdrängt. Denn eine Überprüfung gab es nur einmal – 1991. Damals sollte eine externe Ehrenkommission aus zwei Kirchenvertretern die Stasifunde bewerten – auf einer dürftigen Grundlage.

Jochen Staadt, Forschungsverbund SED-Staat, FU Berlin
„Zum Zeitpunkt als Erklärungen gegenüber Ehrenkommissionen in dieser Zeit abgegeben wurden, lag vieles nicht vor, was wir heute wissen und wir werden es erleben, dass auch wieder Erklärungen abgegeben werden auf dem Stand dieses heutigen Materials, und vielleicht taucht in zwei oder drei Monaten wieder etwas auf und dann werden wieder neue Erklärungen abgegeben.“

Dieses Verhalten hat Tradition im Brandenburger Landtag. Dort erschütterte in den Jahren 1992 bis ‘94 die Debatte um die Stasi-Kontakte des Ministerpräsidenten Manfred Stolpe das Land. 1995 dann wurde die Regelüberprüfung der Abgeordneten komplett abgeschafft. Ein schwerer Fehler, meint Stephan Hilsberg, Mitbegründer der Ost-SPD. Er hatte schon damals den laxen Umgang mit dem Thema Stasi kritisiert.

Stephan Hilsberg (SPD), Gründungsmitglied SPD-Ost
„Das hat dazu geführt, dass die Aufarbeitung, die aktive Aufarbeitung, in den Brandenburger Landtagen beendet wurde, und dass diejenigen, die eine Stasi-Biografie haben, sich sehr beruhigt bewerben konnten um einen Landtagssitz, weil sie keine Aufdeckung mehr zu befürchten hatte. Faktisch ist dieser Beschluss von 1995 das Ende der Aufklärung des eigenen Landtages.“

Und so muss Platzecks rot-rote Koalition wieder ganz von vorn anfangen mit der Stasi-Aufarbeitung. 20 Jahre nach der Wende gibt es genug aufzuholen.




Beitrag von Ute Barthel, André Kartschall, Gabi Probst