DDR-Fahne und Rechtsanwalts-Roben (Quelle: rbb)

- Trotz Vorstrafe wegen Rechtsbeugung Anwaltszulassung für ehemalige DDR-Staatsanwältin

Nach Recherchen des rbb-Politikmagazins KLARTEXT erhielt eine ehemalige Staatsanwältin der DDR trotz einer Vorstrafe wegen Rechtsbeugung im Jahre 2000 eine Anwaltszulassung in Brandenburg. Ungehindert konnte sie danach noch jahrelang in Cottbus als Rechtsanwältin arbeiten. Vom Rechtsbeuger zum Rechtspfleger - und das in einem Rechtsstaat? Experten sind empört.

Dass ein Rechtsanwalt, der das Gesetz vertritt, selbst eine weiße Weste haben sollte, ist eigentlich selbstverständlich. Eigentlich. Doch in Brandenburg nimmt man es offenbar nicht so genau mit der Integrität von Rechtsanwälten, die auch schon in der DDR-Justiz aktiv waren. Dabei wird die Forderung nach historischer Aufarbeitung immer lauter. Gabi Probst.

Die Juristin Eva-Maria Müller aus Cottbus – hier links im Bild - ist im Jahr 2000 zu einem Jahr und zehn Monaten auf Bewährung verurteilt worden – wegen Rechtsbeugung in Tateinheit mit Freiheitsberaubung. Der Grund: Hier am Cottbusser Gericht hatte sie als leitende Staatsanwältin bis zum Ende der DDR Ausreisewillige unschuldig ins Gefängnis gebracht.

An „Haftbefehlsanträgen, Haftfortdaueranträgen, Anklageerhebungen, Anträge von Freiheitsstrafen“ usw. habe sie mitgewirkt - so das Urteil - obwohl die Strafbestände Bagatellcharakter hatten. An der Juristischen Fakultät der Humboldt Uni nahm man solche Anklagen unter die Lupe. Für die Experten waren diese Staatsanwälte und Richter Vollstrecker der Staatssicherheit der DDR.

Prof. Rainer Schröder, Juristische Fakultät Humboldt-Universität Berlin
„Die Staatssicherheit und gerade die Abteilung 1 der Staatsanwaltschaften, die wollten diesen Personenkreis wie Feinde ausschalten. Man wandte dazu so ein Art von Feindstrafrecht an und da war so quasi jedes Mittel recht, um diese Leute loszuwerden. Und da dehnte man die Straftatbestände wirklich über das Maß der normalen Auslegung aus.“
KLARTEXT
„Willkürurteile?“
Prof. Rainer Schröder, Juristische Fakultät Humboldt-Universität Berlin
„Willkür.“

Ines Kirsche war so ein Feind. Sie und mit ihr vier andere wollte die Staatsanwältin Müller offenbar loswerden und das nur, weil sie in den Westen wollten. Alle saßen lange im DDR-Gefängnis.

Ines Kirsche
„Man hat es ihr angesehen und gespürt, dass sie es regelrecht genossen hat, als dann unsere Urteilsverkündung kam. Sie hätte auch am liebsten für uns alle die Höchststrafen für uns durchgesetzt, weil wir in ihren Augen ganz, ganz schlimme Feinde waren.“

Die hohen Haftstrafen waren für die Eltern ihres mitangeklagten Freundes Michael Menk unerträglich. Sein Vater, Dieter Menk blieb der Staatsanwältin und dem Richter immer auf den Fersen, seit dem Tag der Gerichtsverhandlung. Und der war für das Ehepaar besonders schlimm.

Renate Menk
„Das war nicht schön. Das war wirklich eine ganz schlimme Zeit.“
Dieter Menk
„Ich bin zu der Staatsanwältin in Cottbus, zu Frau Eva Maria Müller, gegangen und gefragt, ob das im Sinne des Rechtsstaates sein kann, dass man für die Sache einen Menschen drei Jahre und drei Monate verurteilt.“
KLARTEXT
„Was hat sie gesagt?“
Dieter Menk
„'Das müssen Sie uns schon überlassen, wir vertreten den Rechtsstaat und im Namen des Volkes erfolgt die Verurteilung und so ist es geschehen.'“
KLARTEXT
„Wie haben Sie sich da gefühlt?“
Dieter Menk
„Ich habe mich so erniedrigt gefühlt.“

Die ehemalige Staatsanwältin Müller konnte nach der Wende fast 20 Jahre lang hier in Cottbus ungehindert als Rechtsanwältin – bis zu ihrer Rente 2008 – arbeiten, davon viele Jahre trotz ihrer Verurteilung!

Dieter Menk
„Da bin ich noch mal hin. Ich wollte mir einfach mal Luft verschaffen.“
KLARTEXT
„Und was haben Sie ihr gesagt?“
Dieter Menk
„'Sie müssten sich die Augen aus dem Kopf schämen, das Sie solche Schandurteile
gesprochen haben und jetzt als Rechtsanwältin den Rechtsstaat vertreten. Ich würde mich an Ihrer Stelle in Grund und Boden schämen.'“
KLARTEXT
„Was hat Sie darauf gesagt?“
Dieter Menk
„Sie hat gesagt: 'Ich bin jetzt hier Rechtsanwältin und habe mit dieser Sache, die ist abgeschlossen, nichts mehr zu tun.“

Wir fragen die Brandenburger Rechtsanwaltskammer. Seit 2002 hat man hier die Hoheit für Zulassungen und Widerrufe für die Rechtsanwälte in Brandenburg. Davor war das Oberlandesgericht verantwortlich, aber ohne eine gutachterliche Stellungnahme der Kammer ging es auch nicht. Bei Verurteilung dürfe er man eigentlich kein Rechtsanwalt sein, zitiert der Präsident das Gesetz. Wir fragen noch mal nach.

KLARTEXT
„Sie haben gerade gesagt, wenn jemand verurteilt worden ist, dann dürfte er kein Rechtsanwalt sein.“
Klaus Engelmann, Rechtsanwaltskammer Brandenburg
„Nach Paragraf 7 Nummer 2 der Bundesrechtsanwaltsordnung.“
KLARTEXT
„Wie kann es dann aber passieren, dass diese Frau, ich sage Ihnen, wer es ist - es ist Eva-Maria Müller, war in Cottbus bis 2008 weiter Rechtsanwältin, ist aber rechtskräftig 2000 verurteilt worden zu einem Jahr und zehn Monaten wegen Rechtsbeugung in Tateinheit mit Freiheitsberaubung. Warum konnte diese Frau, wenn Sie jetzt sagen, das geht gar nicht, trotzdem Rechtsanwältin bleiben? … Sie haben gesagt, wenn jemand verurteilt worden ist und jetzt frage ich, ich kenne jemanden der verurteilt worden ist, und der ist trotzdem Rechtsanwalt geblieben. Was ist daran so schlimm? … Wollen Sie jetzt gar nichts mehr sagen?“

Prof. Rainer Schröder, Juristische Fakultät Humboldt-Universität Berlin
„Das spricht dem Begriff aus der Bundesrechtsanwaltsordnung Hohn. Nach der Bundesrechtsordnung sind Rechtsanwälte auch Organe der Rechtspflege und das kann nach meinem Verständnis niemand sein, der gegen die freiheitlich-demokratische Grundordnung und oder gegen Strafgesetze so verstoßen hat.“

Und was sagt Eva Maria Müller selbst, hat sie ein schlechtes Gewissen? Weit gefehlt.

Eva Maria Müller
„Da können Sie sich gleich von mir verabschieden. Auf Wiedersehen.“
KLARTEXT
„Haben Sie ein schlechtes Gewissen? Sie sind doch auch verurteilt worden, nicht wahr?“

Doch sie war nicht allein verantwortlich.

In diesem Rechtsanwaltsbüro arbeitet heute noch der Richter, der die Anklagen von Staatsanwältin Müller mit seinem Urteil besiegelt hatte. Gleich nach der Wende wurde er zunächst sogar Direktor des Gerichts in Finsterwalde – nur 30 Kilometer von Cottbus. Es sind Dieter Menk und seine Frau, die damals an alle Behörden schreiben und wegen dessen Vergangenheit seine Absetzung fordern.

Dieter Menk
„Ich war zum wiederholten Male am Boden zerstört. Ich wusste nicht mehr, was hinten und vorne ist, was soll ich noch als Recht empfinden? Wusste ich nicht!“

Richter Czerwiatiuk entzog sich danach dreist sich mit einer zeitweiligen Flucht ins Ausland seiner Hauptverhandlung und einer Verurteilung – bis die Taten verjährt waren. Heute arbeitet er unbehelligt als Rechtsanwalt in Cottbus.

KLARTEXT
„Ich frag ja auch Sie, wie Sie das mit Ihrem Gewissen vereinbaren können.“
Czerwiatiuk
„Ich kann es und andere können es auch.“
KLARTEXT
„Sie können es, obwohl sie die Leute ins Gefängnis gebracht haben?“
Czerwiatiuk
„Ja."
KLARTEXT
Sehen Sie das noch als rechtens, dass Sie die Leute damals ins Gefängnis gebracht haben?“
Czerwiatiuk
„Das ist eine Kanzlei, würden Sie bitte meine Räume verlassen.“

Sie brachten DDR-Bürger wie Ines Kirsche und Michael Menk ins Gefängnis, weil sie in einem freiheitlich-demokratischen Land, in einem Rechtsstaat, leben wollten – so wie sie es heute tun. Und was macht der Rechtsstaat? Er macht die Täter wieder zu Organen der Rechtspflege, zu Rechtsanwälten.

Prof. Rainer Schröder, Juristische Fakultät Humboldt-Universität Berlin
„Ich bin der Auffassung, dass das ein Verstoß gegen rechtsstaatliche Prinzipien ist. Es fehlte offenbar der Wille, diese Fragen politisch aufzugreifen und ich halte das für einen Skandal.“

Der besorgte Vater Dieter Menk hat vor einigen Wochen die Unrechtsgeschichte an den Justizminister in Brandenburg geschrieben. Er hat noch keine Antwort. Und auch für uns hat der Minister keine Zeit für ein Interview.


Autorin: Gabi Probst