Deutsche und israelische Flagge / Quelle: rbb
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- Der Perspektivwechsel - junge Israelis engagieren sich im Land der Täter

Seit Jahrzehnten gehen Deutsche mit Freiwilligendiensten nach Israel, um dort zu mit anzupacken - häufig auch, um damit ein Zeichen gegen die Verbrechen Nazi-Deutschlands zu setzen. Doch inzwischen kommen auch junge Israelis nach Deutschland, um hier gemeinnützig zu arbeiten. Darunter selbst solche, deren Großeltern viel Leid in Deutschland erfahren mussten.

Anmoderation
Seit Jahrzehnten gehen Deutsche mit Freiwilligendiensten nach Israel, um dort mit anzupacken. Doch dass inzwischen auch junge Israelis nach Deutschland kommen, um hier – im Land der Täter – gemeinnützig zu arbeiten, das dürfte vielen neu sein. Vermittelt werden sie vom deutsch-israelischen Freiwilligenprogramm, Kom-Mit-Nadev. Unter den freiwilligen Helfern sind oft solche, deren Großeltern viel Leid in Deutschland erfahren mussten. Dennoch möchten sich viele junge Israelis in Deutschland sozial engagieren. Iris Marx traf zwei von ihnen.

Anna
"Hallo, ich bin Anna. Aus Israel. Aus Jerusalem. Und ich wohne hier in Berlin.

Ich mache ein freiwilliges Jahr an einer Schule in Schöneberg mit dem Austauschprogramm von Kom-Mit-Nadev, ein Projekt von mehreren deutschen und israelischen Organisationen, die uns für gemeinnützige Arbeit hierher schicken.“

Die meisten Kinder, mit denen ich in der Schule arbeite, sind Migranten. Ich glaube, ich habe nur zwei deutsche Kinder. Bis jetzt ist es eine tolle Erfahrung. Ich helfe ihnen zum Beispiel bei den Hausaufgaben.

Ich hatte erst ein bisschen Angst, dass die muslimischen Eltern negativ auf mich als Israelin reagieren. Aber bis jetzt schätzen sie meine Arbeit mit den Kindern sehr und sie haben absolut kein Problem mit mir.

Den einzigen Rassismus, den ich erlebe, richtet sich nicht gegen Juden, sondern gegen Einwanderer generell."

Asaf
"Mein Name ist Asaf. Ich lebe in Wittenberg für ein Jahr.

Ich mache meinen Freiwilligendienst im Büro von ConAct, dem Koordinierungscenter für den Deutsch-Israelischen Jugendaustausch.

Das erste Mal, als ich nach Deutschland kam, habe ich dieses Haus in Essen, besucht – die Villa Hügel. Es ist das Familienanwesen der Krupp-Familie. Als ich zurück kam, fragte mich mein Vater, wo ich genau war und ich sagte: ’In der Villa Hügel’. Er sagte: ’Das ist lustig, dein Opa arbeitete für die Krupp-Familie.’ Ich fragte: ’Wo?’ Und er: ’In einem Konzentrationslager’. Das war echt unangenehm, gelinde gesagt. Nicht einfach. Gerade für meinen Vater’. Seine Eltern haben harte Zeiten im Holocaust erlebt."

Anna
"Bei uns zu Hause wurde Deutsch gesprochen, weil meine Oma Deutschlehrerin war.

Meine Familie stammt ursprünglich aus Lettland und sie haben sehr viel Leid während des Zweiten Weltkriegs erlitten.

Aber ein Großteil meiner engeren Familie wurde nach Ost-Russland evakuiert während des Kriegs. Und so… so haben sie überlebt.

KLARTEXT
"Ist es komisch für dich, dich hier gemeinnützig zu engagieren?"

Anna
"Ich verstehe Deine Frage, aber: nein! Deutschland ist nicht nur seine Geschichte.

Junge Israelis hören viel über den Holocaust und sie sind es echt leid.

Noch mal: Der Holocaust ist nicht Teil unseres täglichen Lebens. Wir haben Probleme mit den ultra-orthodoxen Juden und da ist so ein kleines Missverständnis mit unseren Nachbarn – vielleicht hast Du davon gehört? – den Palästinensern."

Ich denke, dass meine Einstellung in der dritten Generation ziemlich normal ist."

KLARTEXT
„Ist das ein Problem, dass du ins Täterland Deutschland kommst, um hier gemeinnützig und umsonst zu arbeiten?

Asaf
"Ja, für manche Leute war das… ist das ein Problem.

Aber die meisten sagen: ’Mach das! Das ist eine gute Sache.’

Ich habe festgestellt, dass in den deutschen Medien ständig etwas über den Holocaust läuft. Für jeden, der hier aufwächst, muss das ganz schön stressig und ganz schön schwer sein.

Jeden Tag, wirklich jeden Tag daran erinnert zu werden. In Israel ist das vielleicht ein bisschen zu wenig…. Aber wir haben neue Probleme. Jeden Tag, wirklich jeden Tag neue echt große Probleme. Und das sitzt uns im Nacken.

Und das merkt man, wenn man sich mit Deutschen unterhält. Sie fühlen sich total unbehaglich, wenn es um die Vergangenheit geht,… weil sie die Vergangenheit viel, viel mehr leben, als wir das tun.

Wir haben in der Gegenwart ganz andere Sorgen und das haben wir im Kopf.

Deswegen ist es so wichtig, dass ich hier bin. Um den Leuten zu sagen, wir haben viel zu tun, woran sich Deutschland beteiligen sollte. Es geht nicht nur um die Vergangenheit, nicht nur um die Vergangenheit. Es ist gut, nach vorne zu schauen."

Anna
"Dieses Bild mag ich sehr gerne. Es ist von dem Streetartist El Botcho. Das ist ein Grund, warum ich Berlin so mag. Es inspiriert mich total, ich bin selbst Künstlerin.

Hier einfach rumzugehen und diese ganzen tollen Werke zu sehen. Das gibt mir mehr als irgendeine Party…"

Asaf
"Ich versuche so oft es geht nach Berlin zu kommen. Es ist einfach eine tolle Stadt, so multikulturell wie in Neukölln und Kreuzberg, aber auch der Ostteil, der Alex. Ich liebe Berlin.

Auch wenn die Deutschen vielleicht manchmal ein bisschen ’anders’ sind als wir. Trotzdem: Wir haben eine ganze Menge gemeinsam, eine ganze Menge!!! Ich möchte dabei helfen, Vorurteile unter den Leuten abzubauen. Ja, das ist, was ich hier machen möchte."

Abmoderation
Wäre toll, wenn viele so denken würden, wie diese beiden jungen Leute...

Beitrag von Iris Marx