Asylbewerber, Quelle: rbb
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- Kein Platz für Asylbewerber - Ignoranz in Brandenburger Landkreisen

Seit zwei Jahren schießen die Asylbewerberzahlen regelrecht in die Höhe, die Erstaufnahmestelle in Eisenhüttenstadt ist chronisch überfüllt. Eigentlich sollen Asylsuchende hier höchstens nur drei Monate bleiben und dann im Land Brandenburg verteilt werden. Doch viele Landkreise weigern sich einfach sie aufzunehmen.

Anmoderation
Das Flüchtlingsdrama vor Lampedusa hat die Öffentlichkeit aufgeschreckt. Man ist sich einig: Hier muss dringend Abhilfe geschaffen werden! Alle sind entsetzt über die Unmenschlichkeit, mit der Flüchtlingen begegnet wird. Doch wie sieht es eigentlich vor der eigenen Haustür aus? Wie geht man bei uns mit Flüchtlingen um? André Kartschall schildert, wie sich Kommunen in Brandenburg verhalten, wenn sie Asylbewerber aufnehmen sollen.

Die Erstaufnahmestelle für Asylbewerber in Eisenhüttenstadt am vergangenen Freitag: Seit Monaten ist das Heim überfüllt – beinahe wöchentlich kommen mehr Menschen nach Brandenburg. Sie alle müssen erst einmal hier durch. So langsam gehen dem Chef sogar die Notlösungen aus. Er zeigt uns die neueste Gemeinschaftsunterkunft.

Frank Nürnberger
Erstaufnahmestelle Eisenhüttenstadt

"Sie sehen hier uns unsere Turnhalle, die wir eigentlich für den Sport für unsere Asylbewerber nutzen. Seit ungefähr drei Wochen mussten wir sie jetzt mit Betten aus dem Katastrophenschutzlager bestücken. Und peu à peu haben wir jetzt alle alleinreisenden Männer, die hier ankommen, in diese Turnhalle gelegt. Sie sehen jetzt momentan 50 Betten, alles voll belegt. Ja, und wir hoffen, dass es bald besser wird."

50 Männer, die hier gestrandet sind: Europäer, Afrikaner, Asiaten. Sie kamen übers Mittelmeer oder über die Ostgrenzen der EU, oftmals auf gefährlichen Wegen. Dass sie hier nun in dieser Turnhalle nachts nur schwer Schlaf finden, nehmen sie gelassen. In Pakistan oder Afrika haben sie weit Schlimmeres erlebt.

Asylbewerber
"Das ist definitiv ein Problem, aber um Mitternacht wird das Licht ausgemacht. Dann versucht jeder, zu schlafen."
"Das ist etwas, das ich schon öfter erlebt habe an anderen Orten. Ich habe mich daran gewöhnt."

Ein Grund für die Enge: Es kommen immer mehr Menschen aus dem Kaukasus, also Tschetschenien oder Dagestan, nach Deutschland. 2013 waren es rund zehnmal so viele wie im Vorjahreszeitraum. Tschetschenen haben statistisch gesehen eine sehr schlechte Chance auf Asyl: nur etwa zweieinhalb Prozent dürfen bleiben. Die meisten können schlicht keine ausreichenden Gründe dafür vorbringen, warum sie in Deutschland Asyl beantragen. Trotzdem müssen sie erst einmal untergebracht werden.

Asylbewerber
"Hier gefällt es uns besser. In Tschetschenien ist die Lage eigentlich auch okay, Schulen, Versorgung und so, nur eben eine andere Variante davon als hier. Sie sind ja vom Fernsehen und nicht die Polizei."

Das Erstaufnahmelager Eisenhüttenstadt ist eigentlich nur als Durchgangsstation gedacht. Die Maximalkapazität liegt bei 500 Plätzen, momentane Belegung: 745 Menschen. Provisorisch wurden Container aufgestellt. Eigentlich sollen die Hauptgebäude saniert werden – doch wenn die Ausweichquartiere weiter voll belegt sind, wird das wohl nichts. Die landeseigenen Mindeststandards, die jedem Asylbewerber zustehen, werden in Eisenhüttenstadt ohnehin schon lange nicht mehr eingehalten.

KLARTEXT
"Sechs Quadratmeter Platz stehen jedem Asylbewerber zu."
Frank Nürnberger
Erstaufnahmestelle Eisenhüttenstadt

"So ist es nach einer Richtlinie des Landes für die Unterbringung von Asylbewerbern in den Kreisen, an der wir uns orientieren. Wir sind von diesem Satz weit entfernt mittlerweile. Das heißt, wir können das nicht erfüllen."
KLARTEXT
"Wie viele Quadratmeter hat denn hier jeder ungefähr?"
Frank Nürnberger
Erstaufnahmestelle Eisenhüttenstadt

"Das kommt immer auf die aktuelle Belegungssituation an. Wir haben Zimmer mit zehn Betten teilweise, wo sie vielleicht zwei Quadratmeter haben."

Allerspätestens nach drei Monaten sollen die Menschen auf die Landkreise verteilt werden, sagt das Gesetz. Für jeden Landkreis ist eine exakte Aufnahmequote festgelegt. Doch einige halten sich nicht daran.

Zum Beispiel: Märkisch-Oderland. Der Kreis findet sich auf einer „Schwarzen Liste" der Landesregierung wieder – zusammen mit sieben weiteren Kreisen und der Landeshauptstadt Potsdam. Sie alle haben ihre Quote nicht erfüllt. Märkisch-Oderland nahm zuletzt gerade einmal halb so viele Asylbewerber auf wie vorgeschrieben. Der Stellvertreter des Landrats signalisiert nun so etwas wie Einsicht.

Lutz Amsel (Die Linke)
Landkreis Märkisch-Oderland

"Wir sind jetzt dabei, noch weitere Reservekapazitäten zu schaffen, weil wir davon ausgehen, dass also so wie das jetzt aussieht, wenn man mal in den Nahen Osten guckt, die Zahlen weiter ansteigen."
KLARTEXT
"Warum nicht gleich so?"
Lutz Amsel (Die Linke)
Landkreis Märkisch-Oderland

"Ja, warum nicht gleich so? Das ist halt ne Frage, es ist alles auch mit Kosten und Aufwand verbunden. Und wir sind ja erstmal davon ausgegangen, dass die Prognosezahlen so gemacht sind, dass sie wirklich also auch dem aktuellen Stand entsprechen. Die waren offensichtlich auch nicht auf dem neuesten Stand. Das muss man auch dazu sagen."

Das sieht der zuständige Sozialminister Günter Baaske anders. Er sagt: die Zahlen waren schon lange bekannt, die Kreise haben einfach solange abgewartet, bis es jetzt schließlich nicht mehr ging.

Günter Baaske (SPD)
Sozialminister Brandenburg

"Die Landkreise wurden von mir schon vor mehr als einem Jahr aufgefordert, Unterbringungskapazitäten zu schaffen. Es ist ja logisch, wenn wir merken in Afrika ist Frühling, das heißt, Revolutionen finden statt, ist klar, dass man mit Flüchtlingen rechnen muss. Die Zahlen, die wir von der Bundesbehörde bekommen haben, waren auch eindeutig. Aber es passiert zu wenig in den Landkreisen."

In Märkisch-Oderland passierte zuletzt gar nichts. Das einzige Asylbewerberheim ist voll. Es liegt im Dorf Garzau – oder besser außerhalb von Garzau in einem Waldstück. Dass sich in der vollmundig selbst ernannten „Wohn- und Begegnungsstätte der Kulturen" Asylbewerber und Deutsche über den Weg laufen, ist wohl eher die Ausnahme. Für den Landkreis ist genau das offenbar ein Standortvorteil.

Lutz Amsel (Die Linke)
Landkreis Märkisch-Oderland

"Den ersten Bürger in Garzau, den einige gefragt haben: ’Wo ist denn das Asylbewerberheim?’ Der sagte: ’Was, wir haben hier ein Asylbewerberheim?’ Daran sieht man, dass im positiven Sinne die Asylbewerber relativ unauffällig dort leben. Also, ja, in diesem Sinne."

Man kann aber auch sagen: Märkisch-Oderland will seine Asylbewerber vor den Bürgern verstecken. Der Kreis findet ohnehin: es seien doch andere schuld daran, dass die Plätze für Asylbewerber so knapp sind.

Lutz Amsel (Die Linke)
Landkreis Märkisch-Oderland

"Das ist ein grundsätzliches Problem, das hängt nicht nur mit dem Land zusammen, sondern auch mit der Bundesgesetzgebung, zum Beispiel, dass die Asylverfahren als solche sehr, sehr lange dauern, oft. Und nach vier Jahren fallen die Asylbewerber in den Kosten dann an den Landkreis. Das heißt, je mehr ich aufnehme, desto mehr Kosten habe ich natürlich dann auch. Das muss man erstmal wissen."

Alles richtig, aber alles seit Jahren bekannt. Und klar ist auch: Die Kreise sind per Gesetz verpflichtet, die Asylbewerber aus Eisenhüttenstadt aufzunehmen. Die Landesregierung will jetzt energisch durchgreifen. Wenn die Kreise nicht sofort, Unterbringungsplätze schaffen, soll es teuer werden.

Günter Baaske (SPD)
Sozialminister Brandenburg

"Bei den Landkreisen, die sich da nach wie vor sträuben, wirklich alle Hebel in Gang zu setzen, werden wir gucken, ob wir dann wirklich auf Hotels, Pensionen, was auch immer zugehen."
KLARTEXT
"Und die Rechnung geht dann an die Kreise?"
Günter Baaske (SPD)
Sozialminister Brandenburg

"Die Landkreise müssen das dann bezahlen, das ist klar, oder beziehungsweise kriegen sie das dann von uns nicht zurückerstattet."


Abmoderation

Man muss also erst per Verordnung drohen, damit die Landkreise Flüchtlingen helfen. Dabei sollte es eigentlich selbstverständlich sein, Menschen aufzunehmen, die vor Krieg, vor Gewalt oder Verfolgung fliehen müssen!


Beitrag von André Kartschall