Seyran Ates (Quelle: rbb)
(Quelle: rbb)

- Schutzlos ausgeliefert - Warum Seyran Ates aufgibt

Jahrelang hat sich Seyran Ates für die Rechte muslimischer Frauen engagiert. Jetzt schließt die Anwältin ihre Kanzlei. Der Druck war groß: verbale Anfeindungen, Drohungen hat sie jahrelang ertragen, aber als ein Ehemann eine ihrer Mandantinnen auf offener Straße angreift und sie selbst bedroht, zieht sie die Konsequenzen. Der deutschen Gesellschaft wirft sie vor, das Schicksal muslimischer Frauen zu ignorieren.

Seit Jahren kämpfen Menschen in Deutschland gegen die Zwangsheirat. Eine Gesetzesinitiative für den Bundestag wurde auf den Weg gebracht. Doch dort reagierte man mit Gleichgültigkeit. Seyran Ates ist nicht gleichgültig. Die Anwältin aus Berlin – 2005 zur Frau des Jahres gewählt, macht sich stark dafür, Zwangsheirat unter Strafe zu stellen. Trotzdem gibt es im Bundestag nicht einmal einen Termin, um das Thema wenigstens auf die Tagesordnung zu setzen. Seyran Ates ist bundesweit bekannt für ihr Engagement gegen die Zwangsehe, gegen Morde – angeblich im Namen der Ehre - gegen die Unterdrückung von muslimischen Frauen. Eine Kämpferin. Doch vor zwei Tagen gab sie auf, schloss ihre Kanzlei und gab ihre Zulassung ab. Aus Angst um ihr Leben, wie sie sagt. Denn Feinde hat Seyran Ates viele. Der Traumberuf war zum Alptraum geworden. Mehr von Andrea Everwien.

Seyran Ates
„Das Gefühl, aus dem Haus zu treten und nicht zu wissen, ob da jetzt jemand sich auf einen stürzt und einem etwas antut, das ist ein Gefühl, das nicht von positiver Lebensqualität spricht und ich möchte wieder Lebensqualität haben und deshalb habe ich mich entschieden, nicht mehr eine Arbeit auszuüben, die mir Angst macht.“

Eine Kämpferin gibt auf: Seyran Ates, 42 Jahre. Geboren in der Türkei, aufgewachsen in Berlin. 15 Jahre lang war sie Anwältin türkischer und arabischer Frauen, die sich oft nach jahrelanger Unterdrückung von ihren Männern scheiden ließen.

Ein Leben, das schon immer von Angst begleitet war: Berlin, vor mehr 22 Jahren. ein Anschlag auf einen türkischen Frauenladen. Seyran Ates beriet auch damals Frauen, die Gewalt in der Familie erlebten. Ein türkischer Mann – hier ein Fahndungsfoto – wollte das verhindern. Er schoss mehrere Male mit dieser Pistole, eine Frau starb, Seyran Ates wurde schwer verletzt.

Seyran Ates, Archiv 25.11.2004
„Es ging darum, dass wir Frauen, Frauen aus der Türkei; Frauen aus der Türkei geholfen haben, Selbständigkeit zu lernen, ihre Persönlichkeit zu entwickeln, Lesen und Schreiben zu lernen, Alphabetisierung, Deutschkurs, Nähkurs, die einfachsten Sachen… Das bisschen Selbständigkeit, was wir ihnen zeigen wollten durch unser Leben, durch das, was wir ihnen beigebracht haben, das wollten gewisse Männer nicht. Und die linken Männer haben gesagt: Geschieht euch recht! Ihr seid zu weit gegangen, ihr seit der türkischen Gesellschaft zu weit gegangen!“

Die Türkische Gesellschaft schlägt zurück: zum Beispiel in Hürriyet, der türkischen Bildzeitung, die auch in Deutschland viel gelesen wird. 2005 eine tagelange Kampagne gegen Seyran Ates: „Diese Anwältin ist verwirrt“, heißt es dort, und „Sie beleidigt die türkische Frau“ und „die Türken werden heruntergemacht.“

Seyran Ates ist da längst nicht mehr nur Anwältin, sie ist eine öffentliche Persönlichkeit, tritt in Talkshows auf und in Politiksendungen. Und sie hat ein politisches Thema: das gesetzliche Verbot von Zwangsheiraten.


Fast jede zweite islamische Hochzeit ist arrangiert, schätzt Seyran Ates. Etwa 40 Prozent der Eheschließungen seien Zwangsheiraten, von den Frauen nicht gewollt.

Seyran Ates
„Es ist so, dass einige Familien damit drohen, ihre Kinder umzubringen. Dass sie sagen: Wenn du nicht heiratest, dann bringe ich dich um! Ich habe hier Fälle, wo Frauen berichten, dass sie sagen: Es standen hinter mir Leute mit einem Messer in der Tasche, und ich wusste nicht, wenn ich jetzt „nein“ sage, was passiert.“

Machotum und Gewalt – dagegen hat Seyran Ates gekämpft. Und Machotum und Gewalt haben sie jetzt gezwungen, ihren Beruf an den Nagel zu hängen.

7. Juni 2006: nach einem Scheidungstermin vor dem Kreuzberger Familiengericht greift der Ehemann ihrer Mandantin sie an:

Seyran Ates
„Ich hab ihn gebeten, meine Mandantin in Ruhe zu lassen, da fing er sofort an, mich zu beleidigen: ,Du Schlampe! Du Hure! Ich ficke Deine Fotze! Ich ficke die Fotze deiner Mutter!’ Solche groben Beleidigungen und auf uns zugelaufen ist, meine Mandantin vor meinen Augen geschlagen hat, Ohrfeige, dann an den Kopf. Ich fühle mich ganz einfach nicht mehr sicher, weil wenn dieser Mann ein Messer bei sich gehabt hätte oder eine sonstige Waffe, wäre es aus um uns gewesen. Er hätte es benutzt, ganz sicher.“

Neukölln, ein Treff für Mädchen und junge Frauen. Heute morgen: eine Mutter Kind Gruppe trifft sich hier. Unter ihnen sind junge Frauen aus türkischen, palästinensischen, algerischen Familien. Über gewalttätige Männer kann fast jede von ihnen was erzählen.

Huda, 25 Jahre
„Ich kenne eine Freundin, da hat ihr Schwager sie an Silvester erschossen. Ihr eigener Schwager.“
KLARTEXT
„Wie bitte? Was war da passiert?“
Huda, 25 Jahre
„Irgendwie, der Mann ist tot von ihr, der Schwager wollte ihre Kinder haben – und sie wollte halt ihre Kinder nicht weitergeben – dann hat er sie an Silvester erschossen.“

Viele moslemische Frauen harren in Ehen aus, die sie nie wollten – weil sie nicht wissen, wie sie daraus kommen sollen, weil ihnen Frauen wie Seyran Ates fehlen.

Nesakit, 32 Jahre
„Ich bin selber Krankenschwester; ich habe während meiner Berufsausübung schon viele Frauen gesehen, die jetzt in der Psychiatrie gelandet sind, weil sie diese Problematik vielleicht hatten und keinen Ausweg gefunden hatten, auch mit Selbstmordgedanken vielleicht unter anderem auch in die Psychiatrie gekommen sind. Oder halt auch einfach nicht mehr weiter wussten, vielleicht keinen Selbstmord gemacht haben, aber mit der Situation halt nicht weiterkamen und diesen Druck nicht mehr weiter aushalten konnten.“

Dunja, 24 Jahre
„Manche, die denken nur an sterben. Das ist die einzige Lösung.“
KLARTEXT
„Wer denkt das?“
Dunja, 24 Jahre
„Also die Frauen, weil sie können nicht abhauen und sie fällt die Entscheidung nicht. Dann denken die nur an Selbstmord.“
KLARTEXT
„Das haben sie selber schon gehört?“
Dunja, 24 Jahre
„Ja, ja, ja. Ich kenne viele Frauen…“
KLARTEXT
„…denen es so geht?“
Dunja, 24 Jahre
„Ja, ja, ja, und immer noch. Bis jetzt. Obwohl sie in Deutschland leben.“

Seyran Ates weiss, dass diese Frauen sie brauchen und sie will ihnen auch weiter helfen. Aber nicht mehr allein.

Seyran Ates
„Es sollten viel mehr Menschen in der Öffentlichkeit diese Themen auch ansprechen, denn die Masse macht es letztendlich. Wenn wir gemeinsam alle als Gesellschaft oder die Mehrheit der Gesellschaft dieser Themen uns annehmen und gemeinsam dagegen ankämpfen und nicht mehr eben an Einzelpersonen festgemacht und auch dahinhören wo einzelne Institutionen, auch Parteien, wirklich die Stimme erheben. Wenn wir das als gemeinsame Sache sehen, dann wird sich die Gefahr auch, meine ich, reduzieren.“

Der Appell müsste eigentlich in erster Linie an die islamischen Gemeinden gehen. Die türkisch-islamische Union (DITIB) etwa betreut rund 600 Gemeinden; dort arbeiten etwa 400 Geistliche. Sie könnten die türkischen Männer Mores lehren – wenn denn tatsächlich der Islam, wie behauptet, nichts mit Gewalt gegen Frauen zu tun hat:

KLARTEXT
„Im Islam ist es doch den Männern auch erlaubt ihre Frauen zu schlagen, oder etwa nicht?“
Hüsseyn Midik, Vorstand Türkisch-Islamische Union der Anstalt für Religion (DITIB), Berlin
„Eben nicht, das ist auch ein Missverständnis, dass die Leute einfach meinen, Islam wäre so, dass die Männer ihre Frauen schlagen dürfen – also dem ist nicht so.“

Auch andere islamische Gruppen distanzieren sich - zumindest verbal - von Gewalt gegen Frauen. Doch von konkreten Hilfsangeboten – etwa Rechtsbeistand in Scheidungsverfahren oder islamischen Frauenhäusern ist man noch weit entfernt.

KLARTEXT
„Wenn jetzt zum Beispiel eine Hochzeit ansteht, überprüfen sie da irgendwie, ob da Zwang vorliegt oder nicht?“
Burhan Kesici, Islamische Föderation Berlin
„Wir haben ja nicht die Möglichkeit. Wir sind eine Religionsgemeinschaft und wir kümmern uns primär um religiöse Belange.“

Solange die islamischen Gemeinden bei dieser Einstellung bleiben, wird sich für die Frauen nicht viel ändern.

Beitrag von Andrea Everwien