- Streit um Asylbewerberheime – Woher kommt der Fremdenhass?

Bewohner von sozial schwachen Gebieten wollen keine Asylbewerber vor der Haustür und Bewohner sozial starker Gebiete wollen ebenfalls keine Asylbewerber vor der Haustür. Was sind die Gründe für diese Ablehnung, die zuletzt die Flüchtlinge in Hellersdorf in Angst und Schrecken versetzte? Ist das alltäglicher Rassismus? Klartext sucht nach Antworten hinter den Parolen.

35 Prozent aller Bundesbürger hätten ein großes Problem damit, wenn in Ihrer Nachbarschaft ein Asylbewerberheim gebaut wird! Das hat eine repräsentative Umfrage ergeben, die wir bei Infratest-Dimap in Auftrag gegeben haben. Hellersdorf ist also keine Ausnahme. Doch woher rührt eigentlich diese starke Ablehnung gegenüber Asylbewerbern, haben wir uns gefragt. Wie kann es sein, dass Flüchtlinge aus Kriegsgebieten sich bei uns nicht sicher fühlen können? Andrea Everwien und Caroline Walter haben nach Ursachen gesucht.

Bewohnerin
„Das war hier ganz urdeutsch, war das hier nämlich ja…“
KLARTEXT
„Urdeutsch?“
Bewohnerin
„Ich bin ich selber. Ich komm vom Ausland, ich bin sehr Kosmopolit, ich hab nichts gegen Ausländer, aber warum verfrachten die die nicht ins märkische Viertel da fallen die doch überhaupt nicht auf."
KLARTEXT
„Was haben Sie denn dagegen, dass sie hier sind?“
Bewohnerin
„Sie Deutsche, sie sind doch nicht ganz bei Groschen…“

Wut gegen Asylbewerber – sie richtet sich gegen die Bewohner dieses Heimes in Reinickendorf.

Früher lebten hier pflegebedürftige Senioren, heute Flüchtlinge mit über 100 Kindern. Unter ihnen die die vierjährige Sorya. Ihr Vater war Sprachlehrer an einer Mädchenschule in Afghanistan, wurde deswegen von den Taliban verfolgt. Für seine Tochter wünschte r sich, das sie endlich eine normale Kindheit erleben darf:

Haroum Kamran
Flüchtling aus Afghanistan

„Bitte, Lassen Sie unsere Kinder spielen, denn bisher sahen sie in ihrem Leben nichts als den Krieg in meinem Land … Lassen Sie unsere Kinder auf den Spielplatz gehen und spielen.“

Aber Sara darf nicht auf den Spielplatz, denn der liegt inmitten der benachbarten -Wohnanlage – und deren Eigentümer dulden keine Asylkinder auf ihrem Privateigentum. Vernünftig reden kann man mit den Nachbarn nicht.

Nachbar
„Das war hier vorher nicht, in diesem winzigen schönen kleinen Rest, eine kleine Oase würde ich das nennen, hier müssen sie dann unbedingt die ganzen urdeutschen, Leute raus schmeißen, um Asylanten da unterzubringen. Es gibt auch andere Gegenden, wo dann diese Leute untergebracht werden können, - wo denn? – wo die nicht auffallen, wo es sowieso schon voller Kopftücher ist.“

Nachbarin
„Wir sind eine Eigentümergemeinschaft, das ist unser Privatbesitz, das geht niemanden was an.“

Mit allen Mitteln versuchen die Eigentümer, ihr Idyll abzugrenzen, die Flüchtlinge vor der Haustür wieder los zu werden. Sie beauftragen einen Anwalt, Widerspruch gegen die Nutzung als Asylbewerberheim einzulegen.

Als ein paar Kinder im Heim die Windpocken haben, erreichen die Anwohner, dass das Haus unter Quarantäne gestellt wird –unvorstellbar in einem von Deutschen bewohnten Mietshaus, Windpocken sind nicht gefährlich. .Gleichzeitig taucht dieses Flugblatt auf, setzt das Gerücht in die Welt, auch Masern, TBC und Cholera könnten von den Flüchtlingen ausgehen..

Claudia da Silva
Heimleiterin Marie-Schlei-Haus

„Ich bekam einen Anruf vom Amt und wurde gefragt, ob, also man hätte gehört, es gäbe bei mir hier im Heim Tuberkulose, das war ganz am Anfang als ich hier angefangen habe hier zu Arbeiten Anfang Juli. Und da habe ich gesagt: Nein wir haben keine Tuberkulose. Also die Gerüchtküche wird dann so ein bisschen geschürt von Manchen aus der Nachbarschaft und einen Tag später hieß es, es hätte Tote gegeben, zwei Tote. Und da habe ich gesagt: Ja wo denn? Also ich meine ich wüsste das ja als Einrichtungsleiterin, wenn es hier einen Todesfall oder was weiß ich auch immer gegeben hätte. Es gab auch keine Toten hier.“

Gerüchte und Denunziationen - warum sind die Anwohner so aggressiv auf Menschen, die nur versuchen, ihr Leben zu retten? Dieter Rucht ist Protestforscher, versucht, der Ablehnung auf den Grund zu gehen.

Prof. Dieter Rucht
Protestforscher

„Leute, denen es sehr gut geht, die wollen in der Regel unter sich bleiben. Das heißt die Tatsache, dass sie Privilegien haben, dass sie bevorzugt wohnen, dass sie Riesengärten haben, das ist ihnen natürlich bewusst ….es wird dann für sie problematisch, wenn der Kontrast zwischen Arm und Reich, zwischen gut situiert und abgehängt, sozial abgehängt, zu evident ist. Und wenn man die Leute gleichsam vor der Haustür, im Nachbargarten hätte, dann entwickelt man vielleicht auch Schuldgefühle oder man hat das Gefühl, da stimmt vielleicht doch was nicht.“

Am anderen Ende der Stadt, in Hellerdorf, Seit 2 Wochen gibt es auch hier ein Asylbewerberheim. Etwa 80 Menschen leben in dieser ehemaligen Schule. 2 Blocks weiter wohnen Sabine und Wolfgang Paul, seit 25 Jahren sind sie in Hellersdorf, durch die Asylbewerber fühlen sie sich gestört.

Sabine Paul
„Man hat vielleicht Angst. Weil es eben aus… Grob gesagt: Ausländer sind. Man hört vieles Negatives, das ist es.“

Wolfgang Paul
„Die spielen dann hier verrückt.“
KLARTEXT
„Was machen die denn?“
Wolfgang Paul
„Na ja, zum Beispiel Räubern gehen, klauen gehen.“
Sabine Paul
„Das sind eben nicht solche Deutschen wie wir.“

Sabine Paul ist 52 Jahre alt, über 20 Jahre hat sie als Verkäuferin gearbeitet. Jetzt ist der Rücken kaputt und sie ist arbeitslos.

Sabine Paul
„Ich fühl mich irgendwie im Stich gelassen. Von die Politiker. Wie ich vorhin schon sagte: Man ist über 50 und man kann ja dann entsorgt werden.“

Wolfgang Paul hat noch Arbeit, er ist Installateur. Doch sein Job führt ihn oft nach Neukölln und in den Wedding, dort fühlt er sich nicht wohl.

Wolfgang Paul
„Man weiß, man wird bedroht, man wird unfreundlich behandelt als Monteur, das sind aber alles, alles Nichtdeutsche."

Ihr Grundgefühl: das Leben ist nicht, wie es sein sollte – und statt dass der Staat sich um sie kümmert, unterstützt er die Asylbewerber.

Sabine Paul
„Man kümmert sich nicht viel um uns. Wir können gleich mal hier anfangen mit der Wohnung. Hier haben sie kein Geld für Modernisierung. Aber für’n leerstehendes Gebäude wird ruckzuck wird’s ausgebaut.“
Wolfgang Paul
„Die kriegen hier gleich die goldenen Taube in den Mund gesetzt. So ist das meistens.“
Sabine Paul
„Also, es wird alles sehr schön hergerichtet, so wie wir erfahren haben.“
KLARTEXT
„Würden Sie da einziehen wollen? – Seien Sie doch mal ehrlich mit sich selber!“
Sabine Paul
„Nee, würde ich nicht einziehen, nein. Nee, würde nicht, da haben Sie schon recht.“
Wolfgang Paul
„Möchtest Du in 15 Qm leben? Du hast Dein Schlafzimmer, Du hast Dein Wohnzimmer, das haben die alles nicht.“

Wenn die Pauls Nachrichten sehen, empfinden sie durchaus Mitgefühl für Menschen, die vor Krieg und Gewalt fliehen müssen. Zum Beispiel aus Syrien

Sabine Paul
„Die Leidtragenden sind immer die Zivilbevölkerung. Und die Kinder.“
Wolfgang Paul
„Genau.“
KLARTEXT
„Aber die Leute wollen sie hier nicht so gerne haben?“
Wolfgang Paul
„Die Frage ist gut gestellt.“

Familie Paul ist im Zwiespalt: einerseits empfinden sie mit den Flüchtlingen, auf der anderen Seite trauen sie sich nicht, den Kontakt mit ihnen aufzunehmen. Ins Heimgehen, die Asylbewerber besuchen – das kommt für sie nicht in Frage.

Skeptisch bin ich dazu und ängstlich – das sind fremde Leute – passieren könnte mir nichts – aber das innere ich sagt: du gehst da noch nicht rein.

Vorläufig bleibt es offenbar dabei: hier die guten Deutschen, dort die Fremden, vor denen man sich fürchten muss.

Vielen fällt es offenbar enorm schwer, sich hinein zu versetzen in die Lage der Flüchtlinge: Wie muss es sein, in einem Asylbewerberheim monatelang mit vielen anderen zu leben. Dieser Frage sind zwei Redaktions-Kollegen nachgegangen. Sie haben einen Selbstversuch gemacht und Vier Wochen in einem Asylbewerberheim gelebt. Ihre sehr sehenswerte Reportage die gibt’s direkt nach unserer Sendung.

 

Beitrag von Andrea Everwien und Caroline Walter