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Muslime beim Gebet | Bild: rbb

- Streit um Glaubensfreiheit – Dürfen Muslime in der Schule beten?

Die Debatte ist hitzig: Nachdem das Berliner Verwaltungsgericht einem muslimischen Schüler das Recht einräumte, während seiner Pausen in der Schule zu beten möchte, warnen Kritiker vor einer fortschreitenden Islamisierung. Fraglich ist, ob hier Grundwerte verteidigt werden oder eine blinde Islamophobie um sich greift.

Sicher haben Sie von folgendem Fall gehört: Ein Gericht hatte kürzlich entschieden, dass ein muslimischer Schüler aus Berlin das Recht hat, an seinem Gymnasium in der Pause zu beten. Das kann man falsch oder richtig finden. Doch die Reaktionen vieler Politiker und Experten haben uns zu denken gegeben: Denn nach dem Urteil setzten fast reflexartig Warnungen vor einer fortschreitenden Islamisierung unserer Gesellschaft ein. Und das wohl auch deshalb, stellte unser Autor Joachim Rüetschi fest, weil die Vorurteile gegenüber dem Islam leider sehr groß sind.

Die schleichende Islamisierung in Person. Yunus M., der Schulbeter. Nicht gerade ein Selbstdarsteller. Eher still und schüchtern. Mit 16 Jahren hat der Junge die Berliner Schulbehörde in die Knie gezwungen. Er klagte sich vor dem Verwaltungsgericht das Recht auf ein muslimisches Mittagsgebet, täglich nach der sechsten Stunde.

Wolfgang Harnischfeger, Vorsitzender Vereinigung Berliner Schulleiter
„Die Verunsicherung in den Schulen, bei den Schulleitern, bei den Eltern ist sehr groß durch dieses Urteil. Weil man genau jetzt befürchtet, dass man mit massenhaften Ansprüchen konfrontiert wird. Und dann das, was Schule eigentlich ausmacht, dass das Gemeinsame betont wird, in Gefahr gerät.“

In diesem Raum verrichtet Yunus sein Gebet. Ein schnödes Klassenzimmer im Diesterweg-Gymnasium. Und kein Gebetsraum. Yunus hatte nie einen Extra-Betraum eingefordert. Und dennoch wird nun so getan, als müssten Schulen zu Moscheen werden. Zum Beispiel von Özcan Mutlu, dem bildungspolitischen Sprecher der Grünen.

Özcan Mutlu (Bü’90/Grüne), bildungspolitischer Sprecher Abgeordnetenhaus Berlin
„Ich bin irritiert, wie weltfremd unsere Richter sind. Mir ist kein muslimisches Land bekannt außer dem Iran, wo derartige Gebetsräume vorgesehen sind.“

Besser wäre es gewesen, sich zu informieren. Kinder, die in der Schule beten, gibt es nicht nur im Iran, sondern auch in Dänemark und Schweden, in Holland oder Großbritannien. Mit KLARTEXT wollte Mutlu nicht sprechen. Es sei alles gesagt. Seine Legende von den Gebetsräumen macht auch ohne ihn die Runde. Und wird von anderen nachgebetet. Zum Beispiel vom Lesben- und Schwulenverband.

Jörg Steinert, Lesben- und Schwulenverband Berlin-Brandenburg
„Wir fordern den Senat als Lesben- und Schwulenverband auf, hier in Berufung zu gehen. Denn wir wollen in Deutschland nicht das zweite Land nach dem Iran werden, wo in der Schule gebetet wird.“

Legenden, Mythen, Märchen. Und damit Stimmungsmache ohne Rücksicht auf die Fakten. Es geschah vor gut anderthalb Jahren. Und es geschah hinter diesen roten Spinden. Als Yunus hier zu Mittag betete. Nicht heimlich. Aber dafür still und leise. Die Schulleiterin untersagte das Gebet. Begründung: Keinen Raum für den Islam.

Brigitte Burchardt, Schulleiterin Diesterweg-Gymnasium
„Da kniet sich jemand nieder oder richtet sich gen Mekka. Und das guck ich mir dann an. Also ich muß auch wirklich sagen, das anzugucken, das find ich würdelos. Wie ich auch etwas würdelos finde, sich auf so einem Boden zu beten. Ich finde, ein Gebet braucht eine gewisse Einkehr. Ich kann auch nicht, also wenn ich an mich denke, auf Knopfdruck beten.“

Das sehen die Richter anders. Die Religionsfreiheit ist ein Grundrecht, und gilt auch für Muslime. Zumindest in diesem Einzelfall. Der Glaube ist für Yunus nämlich so wichtig, dass er möglichst pünktlich beten muss. Auch wenn ihm das nicht alle abnehmen.

Wolfgang Harnischfeger, Vorsitzender Vereinigung Berliner Schulleiter
„Er ist gefragt worden, ob er auch in den Ferien um sechs Uhr, sechs Uhr dreißig aufsteht, um zu beten. Und daraufhin hat er ja gesagt. Musste er sagen. Sonst wäre er ja nicht glaubwürdig gewesen. Ich kenne ehrlich gesagt keinen Jugendlichen mit fünfzehn Jahren, der um sechs Uhr freiwillig aufsteht, in den Ferien, um dann zu beten und wieder zu schlafen. Und ich ziehe daraus den Schluss, dass er sehr wohl nicht nur für sich gehandelt hat. Sondern eben auch, dass dahinter andere Interessen stehen, die weit über den Jugendlichen hinausgehen.“

Misstrauen. Gerüchte. Vorurteile. Der Junge als ferngesteuerter Provokateur. Als Mittel zum Zweck einer unsichtbaren Verschwörung. Diese Sicht teilt auch Seyran Ates. Eine in der Türkei geborene Bürgerrechtlerin. Allerdings: Beweise dafür hat auch sie nicht.

Seyran Ates, Mitglied der Deutschen Islamkonferenz
„Ich würde das auch so einschätzen, dass der Junge instrumentalisiert wird von einem Vater, der konvertiert ist. Und wir wissen das von allen Religionen, dass konvertierte Menschen päpstlicher sind als der Papst. Das ist, denk ich, eine Problematik bei dem Fall. Ich finde es problematisch für den Jungen auch, ihn zu isolieren. Das heißt, er wird isoliert dadurch, dass er seine Religion so fundamentalistisch und so extrem ausleben muss in der Schulzeit. Das bedeutet, er hat keine Pausen mehr. Er muss sich in der einen Pause waschen, in der nächsten Pause beten.“

Rituelles Beten steht für ein orthodoxes Religionsverständnis, hat aber nichts zu tun mit politischem Radikalismus. Auch wenn das gerne behauptet wird. Eine Studie des Bundesinnenministeriums zeigt: 40 Prozent der in Deutschland lebenden Muslime leben nach den religiösen Vorschriften des Korans. Dagegen stehen 14 Prozent, die Grundgesetz und Demokratie ablehnen. Genauso viele wie bei den nichtmuslimischen Deutschen.

Muslime beten fünfmal täglich. Ein Moment der Besinnung und ein Instrument, um Ordnung in den Tag zu bringen. Mag es uns auch noch so fremd erscheinen. Für Strenggläubige sind Gebetszeiten genauestens vorgegeben. Und möglichst immer einzuhalten.

Riem Spielhaus, Islamwissenschaftlerin
„In Ausnahmefällen kann man das Gebet auch ganz verschieben an den Abend und alle fünf Gebete auf einmal beten. Das ist aber für Menschen, für die das Gebet eine innere Stärkung bedeutet aber etwas, was sie nicht so einfach machen möchten und machen können.“

Der Kompromiss den Yunus eingeht: Er betet in der Pause. Das Beten während des Unterrichts hat er niemals eingefordert. Yunus betet auch nicht vor unserer Kamera. Die Inszenierung seines Sieges ist nicht sein Ding. Und er wäre niemals öffentlich aufgetreten, hätte ihn die Schulleiterin nicht am Ausüben eines Grundrechts gehindert. Eine massenhafte Nachahmung kann niemand seriös befürchten.

Mathias Rohe, Gerichtsgutachter
„Wenn es denn mal so sein sollte, dass auf einmal 100 oder 1000 Schüler – ich weiß nicht, wie sehr wahrscheinlich das ist – kommen und beten wollen, dann verändern sich ja die Parameter wieder. In einem solchen Fall könnte doch zum Beispiel eine Schulverwaltung sehr deutlich machen, wir haben knappe Kassen, wir müssen viele Bedürfnisse bewältigen, wir können keine zusätzlichen Raumkapazitäten schaffen, wo all die Betenden noch unterzubringen wären.“

Seit dem Gerichtsentscheid vor einer Woche hat kein einziger Schüler das Recht zum Beten eingefordert. Yunus scheint der einzige zu sein, der seine Religion dermaßen ernst nimmt. Eine wahrlich schleichende Islamisierung. Allerdings nicht im Sinne von heimlich und hinterhältig, sondern eher von unauffällig und harmlos.



Joachim Rüetschi