Gerhard Hafner (Quelle: rbb)
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- Häusliche Gewalt - Berliner Amtsanwaltschaft blockiert Täterarbeit

Die Anzeigen wegen häuslicher Gewalt steigen. Den Tätern, Männern wie Frauen, könnte geholfen werden. Seit Jahren gibt es Kurse zur so genannten "Täterarbeit". Doch in Berlin nutzt die Amtsanwaltschaft diese Präventionsmöglichkeit kaum. Ein Grund: Den Tätern sei die lange Kursdauer nicht zuzumuten.

Häusliche Gewalt wird oft verharmlost. Wenn Ehemänner ihre Frauen demütigen, bedrohen, oder schlagen, dann ist das aber alles andere als harmlos. Der Gesetzgeber stellt solche Taten unter Strafe. Welche Strafe ist aber sinnvoll? Längst weiß man, Geld- oder Haftstrafen haben wenig abschreckende Wirkung, denn zuhause geht der Terror dann oft weiter. Trotzdem verhängt die Berliner Amtsanwaltschaft überwiegend Geldstrafen. Dabei hätten die Amtsanwälte die Möglichkeit, Tätern und Opfern auf viel effektivere Weise zu helfen. Sigrid Simon zeigt, wie.

Leon hat seine Freundin geschlagen. Zwei Jahre lang.

Leon
„Wir hatten schon immer ’ne Art sehr viel auch sehr heftig zu diskutieren, das ist zu so einem Kleinkrieg ausgeartet und irgendwann flog dann ein Glas oder gab’s den ersten Tritt, oder so hat sich das langsam so hochgeschaukelt.“

Leon kommt aus einer gut situierten Familie: Ärzte, Lehrer, Künstler. Seine zweite Seele, die böse, lernt er erst mit Mitte Zwanzig kennen. Er ist einer von vielen gewalttätigen Männern, wenige haben den Mut, darüber zu sprechen. Leon möchte anonym bleiben, er fürchtet Nachteile im Beruf.

Leon
„Meine Freundin wurde dann schwanger, sehr überraschend für uns beide. Es war nicht unser Plan oder unser Wunsch oder unsere Idee und das war dann sehr schwierig, damit umzugehen. Und ich hatte lange Zeit auch Schwierigkeiten und war mir unsicher, ob ich mich dem überhaupt stellen möchte als Vater.“

Leon fühlte sich hilflos und ohnmächtig, ausgeliefert.

Leon
„Bevor ich selbst so getroffen werde, dass ich mich nicht mehr fühle und völlig am Boden liege, bildlich gesprochen, verpass’ ich lieber dem andern noch eins, ich meine damit vielleicht der Gefahr vorzubeugen, dass es mit mir gleich passiert.“

Als Leon merkte, dass auch sein Kind unter den Schlägen gegen die Mutter litt, meldete sich Leon freiwillig beim Antigewalttraining der Volkssolidarität. Psychologe Gerhard Hafner bringt hier gewalttätigen Männern bei, ihre Aggressionen unter Kontrolle zu bringen. Einige Teilnehmer werden von den Staatsanwaltschaften in die Kurse geschickt, allerdings sind das nur etwa 30 im Jahr, Hafner bedauert das.

Gerhard Hafner, Beratungsstelle „Männer gegen Gewalt“
„In der Regel sind die Männer ja nicht nur einmal gewalttätig, besonders wenn sie gewiesen worden sind, ist das ein längerer Prozess. Dann können sie natürlich in einer Gruppe sich langsam auch öffnen und sagen, was sie wirklich getan haben, was sich über die Jahre angestaut hat, eskaliert ist und immer schlimmer geworden ist.“

Die Männer, die von der Amtsanwaltschaft geschickt werden, absolvieren das Training anstelle einer Gefängnis- oder Geldstrafe. Sie sollen lernen, Verantwortung für ihr Verhalten zu übernehmen.

Gerhard Hafner, Beratungsstelle „Männer gegen Gewalt“
„Männer wissen, sie bekommen durch eine Weisung, ein Schreiben, des Staates dokumentiert, dass dieses, was sie getan haben, eine kriminelle Handlung ist.“

Doch in den Kursen sind stets Plätze frei. Dabei nimmt die Zahl der angezeigten häuslichen Gewalttaten seit Jahren zu, besonders in Berlin. Am mangelnden Bedarf kann es also nicht liegen.

Am Geld auch nicht. Die Projekte sind öffentlich finanziert, unter anderem von der Justizverwaltung. Die mehr als zurückhaltende Nutzung sei ihm bisher nicht aufgefallen, sagt Justizsprecher Daniel Abbou.

Daniel Abbou, Senatsverwaltung Justiz
„Was ich Ihnen aber durchaus zustimmen will, ist, dass die Zahl der Leute, die von den Amtsanwaltschaften auf diese Täterkurse geschickt werden, gering ist und das muss man noch mal genau nachkontrollieren, woran das liegt.“

Martin Dubberke hat die Männerarbeit in Berlin mit aufgebaut. Dass der Senat von den leeren Kursen nichts weiß, ist für ihn nicht nachvollziehbar.

Martin Dubberke, Berliner Zentrum für Gewaltprävention
„Seit 13 Jahren ungefähr funktioniert diese Zuweisung nicht. Und es sind immer die gleichen Leute, die hier wie dort aktiv sind. Also, die Weisungen laufen ja über das Gericht über die Amtsanwaltschaften und so weiter und so fort und anscheinend muss es dort in dem Bereich einen Missing Link geben.“

Die Amtsanwaltschaft in Moabit. Hier werden kleinere Delikte auch im Bereich der häuslichen Gewalt strafrechtlich verfolgt. Sprecher Michael Grunwald erklärt, warum so wenige Männer in die Anti-Gewaltkurse eingewiesen werden.

Michael Grunwald, Pressesprecher
„Wie so häufig im Leben steckt der Teufel im Detail, vom Grundsatz her könnte man den einen oder anderen Fall zusätzlich als geeignet erachten, aber im Detail fehlt es dann, weil entweder die Motivation nicht vorhanden ist oder es fehlen die Sprachkenntnisse.“

Mangelnde Motivation der Täter?

Eigentlich die Regel bei Gewalttätern. Einem erfolgreichen Anti-Gewalt-Training - und damit dem Schutz der Frauen - steht dies allerdings nicht entgegen.

Martin Dubberke, Berliner Zentrum für Gewaltprävention
„Ach, du armes Hascherl, ja, bist du nicht motiviert? Was sag’ ich denn dann dem Opfer. Das geht nicht.“

Das zweite Argument der Staatsanwaltschaft: mangelnde Sprachkenntnisse.

Doch an mangelnden Sprachkenntnissen kann es nicht liegen. Denn in Berlin gibt es auch Angebote an fremdsprachigen Einzeltrainings und Kursen.

Diese Flyer schickt Gerhard Hafner seit Jahren an die Amtsanwälte.

Gerhard Hafner, Beratungsstelle „Männer gegen Gewalt“
„Wir haben sehr viele türkischstämmige Täter bei uns und die können natürlich zu uns kommen.“

Vielleicht gibt es noch einen anderen Grund: mangelnde Sensibilität bei der Amtsanwaltschaft?

Wenn Frauen ihre Männer anzeigen, dann ist dies meist das Ende einer langen, schmerzhaften Auseinandersetzung. Dennoch, so die Amtsanwaltschaft, sei die Gewalt in den eigenen vier Wänden schwer zu beweisen. Das Gros der Fälle werde deshalb sowieso eingestellt.

Michael Grunwald, Pressesprecher
„Eine Ohrfeige im Affekt, wenn dafür jetzt jemand in Anführungsstrichen dadurch bestraft wird, dass er ein halbes Jahr lang einmal die Woche in einer solchen Gruppe teilnehmen muss, dann könnte man sich schon überlegen, ob sozusagen eine staatliche Reaktion, die über ein halbes Jahr geht, im Verhältnis zu dieser Affekthandlung noch tatsächlich verhältnismäßig ist oder nicht schon wieder ein zu starker Eingriff sein könnte.“

Martin Dubberke, Berliner Zentrum für Gewaltprävention
„Eine Ohrfeige ist Gewalt. Punkt. In dem Moment ist eine Grenze überschritten. Und dann besteht Handlungsbedarf.“

Leon hat seine Freundin nicht mehr geschlagen, seit er in den Kurs geht, seit bald einem Jahr nicht mehr. Das ist nicht nur für ihn und seine Freundin ein Segen, sondern auch für ihre Kinder, mittlerweile sind es zwei.

Schade, dass der Sinn der Täterkurse der Berliner Amtsanwaltschaft nicht klar zu sein scheint.


Sigrid Simon