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Dealer | Bild: rbb

- Kinder als Drogendealer - Berliner Behörden tatenlos

Ahamed, ein zwölfjähriges Flüchtlingskind, wird von der Berliner Polizei beim Heroinhandel erwischt. Seit Beginn des Jahres geht er den Fahndern mehr als 20mal in die Fänge. Eigentlich sollte sich das zuständige Jugendamt um den staatenlosen Palästinenser kümmern. Doch ob er zur Schule geht oder tatsäch-lich in seinem Wohnheim anwesend ist – darum scheint sich niemand zu scheren. Ahamed ist kein Einzelfall. Sind die Behörden machtlos?

Kinder als Drogendealer – können Sie sich das vorstellen? In Berlin durchaus üblich und zwar häufiger, als man denkt: Allein in Neukölln und Kreuzberg haben Fahnder im vergangenen Jahr 600 Mal Drogendealer festgenommen, die alle minderjährig waren. Das Problem: Viele von ihnen sind unter 14 und können strafrechtlich nicht belangt werden. Ein Dilemma, denn schon am nächsten Tag stehen sie wieder als Dealer auf der Straße. Gabi Probst hat mit der Kamera bedrückende Szenen eingefangen und sprach mit verdeckten Fahndern.

Das ist Werner auf einem U-Bahnhof in Berlin. Hunderte Fahrgäste laufen hier entlang, ohne einzugreifen. Das Heroin bringt Werner den Tod auf Raten.

Das ist Said. Seinen Namen haben wir geändert. Ein Flüchtlingskind ohne Eltern. Im Moment ist untergetaucht. Er verkauft Werner und vielen anderen das Heroin und zerstört damit auch sein eigenes Leben.

Eine schmutzige Symbiose, eine schmutziges Geschäft. Und das alles vor den Augen der Berliner Behörden.

Saids Betätigungsfeld ist an der U-Bahn-Linie U8: Kottbusser Tor, Hermannplatz, Leinestraße. Drogenabhängigen warten schon. Über 70 Mal ist Said in nur wenigen Monaten von der Polizei an diesen Plätzen erwischt worden. Die Dealer würden von arabischen Schmugglerbanden eingesetzt, sagt die Polizei. Said ist kein Einzelfall. Die Polizeigewerkschaft schlägt Alarm.

Bodo Pfalzgraf, Deutsche Polizeigewerkschaft Berlin
„Meine Kollegen erleben diese Situation mehrfach in der Woche. Und ich kann nur sagen, es ist höchst frustrierend, wenn man immer wieder die gleichen Kinder einfängt und niemand kümmert sich darum.“

Wir haben uns mit einer kleinen Kamera auf dem Weg gemacht. Und richtig: Man kann diese Kinder zu allen Tageszeiten beobachten - wie die beiden hier. Der Drogenhandel ist gut organisiert, alles wird beobachtet. Als wir entdeckt werden, fliehen wir.

Bodo Pfalzgraf, Deutsche Polizeigewerkschaft Berlin
„Diese Kinder oder Jugendlichen bedrohen Polizisten ganz massiv, teilweise mit 10, 15 Leuten, die unsere Kollegen umringen. Das heißt, wir haben da ein ernsthaftes Problem.“

2007 wurde im Landeskriminalamt extra ein eigenes Dezernat eingerichtet, weil die Zahl der Dealer im öffentlichen Nahverkehr rasant zunimmt. Die Zivil-Fahnder arbeiten mit den Polizeidirektionen gut zusammen. Doch Fahndungserfolge können oft nicht strafrechtlich geahndet werden. Said erst vor wenigen Tagen 13 Jahre alt geworden, das sagt er jedenfalls. Er sei staatenloser Palästinenser, Ausweispapiere hätte er nicht. Unter 14 Jahren ist er strafunmündig. Für die verdeckten Ermittler ist das frustrierend, weil sie ihn oft genug festgenommen haben. Sein Körperbau soll dem eines 16-Jährigen entsprechen.

Fahnder
„Die im Kindernotdienst, die wollten ihn sowieso nicht mehr haben, weil die sagen, der ist zwar ein Kind auf dem Papier, der ist aber niemals ein Kind.“

Die Dealer gehen straffrei aus, weil sie oft strafunmündig sind, jedenfalls auf dem Papier. Dabei könnte man das Alter per Gutachten schnell feststellen und sie dann gegebenenfalls verurteilen lassen. Im Fall von Said ist das bis heute nicht geschehen. Der jüngste Dealer – erst vor ein paar Tagen festgenommen – soll gerade erst zwölf Jahre alt sein. Über 20 Taten seit Januar. Eigentlich dürfte er kaum Möglichkeiten haben zu dealen, denn es gibt ein ganzes System der Betreuung. Doch das scheint nicht zu funktionieren.

Fahnder
„Diese Problematik, die wird total ignoriert, dass offensichtlich die jeweils eingesetzten Betreuer oft keinerlei Kontrolle ausüben.“

In diesem Heim in der Magdalenenstraße in Lichtenberg sollte der Zwölfjährige rund um die Uhr betreut werden. Eigentlich. Und eigentlich haben wir gedacht, dass die Flüchtlingskinder, die hier wohnen, morgens zur Schule gehen. So sieht es das Gesetz vor.

Doch es sieht noch verschlafen aus. Mehrmals soll die Polizei wegen der Drogen hier Hausdurchsuchungen gemacht und um Zusammenarbeit gebeten haben. Erfolglos. Auch Strafanzeigen gegen das Heim wegen Verletzung der Aufsichtspflicht liefen ins Leere. Reden will auch mit uns keiner, Fragen zur Schule bleiben unbeantwortet. Als wir offiziell verschwinden, geht einer der Heimbewohner schnurstracks zur U-Bahn.

Zwei Jahre wohne er hier. Jetzt müsse er zu einem „Kollegen“, sagt er. Nachmittags ginge er in eine Schule. Er beschreibt uns den Weg. Als wir ankommen, ist es nur ein Deutschkurs. Aber wir sind richtig. Wir warten am Klassenraum. Die Lehrerin sucht vergeblich nach Schülern. Von Zweien ist nur einer aus dem Heim in der Magdalenenstraße. Kein Heimbetreuer scheint die Anwesenheit zu kontrollieren, obwohl der Unterricht Geld kostet. Steuergeld.

Dies deckt sich mit den Erfahrungen der Polizei. Und so können einige Flüchtlinge scheinbar ungehindert an der U-Bahn dealen und mit dem Elend anderer Geld machen. Von 60 bis zu 120 Euro täglich bezahlt der Staat für die Betreuung eines Flüchtlingskindes, zusätzlich Arzt und Bekleidungskosten, Taschengeld. Alles Steuergeld.

Said war bis vor kurzem in diesem Heim gemeldet – aber eigentlich nie da. Wo er sich aufhielt und wie es dem Minderjährigen ging, schien niemanden zu interessieren, sagen mehrere Ermittler – auch nicht, als er lebensgefährlich bedroht war. Bedroht von seiner eigenen Dealerware. Denn Dealer tragen – wie hier zu sehen - das Heroin als Kügelchen im Mund. Werden sie von der Polizei erwischt, schlucken sie diese runter. So auch Said.

Fahnder
„Es ist probiert worden über seinen Betreuer aus dem Heim, aber auch übers Jugendamt irgendjemand Verantwortlichen zu erreichen, der darüber befinden kann, ob dem Said, auch zum Schutz seines eigenen Lebens, der Magen ausgepumpt wird. Der Betreuer fühlte sich nicht zuständig. Das ist lebensnotwendig für ihn, dass ihm der Magen ausgepumpt wird. Für ihn besteht akute Lebensgefahr, wenn ihm eine Heroinkugel im Magen aufgeht.“
KLARTEXT
„Also niemand fühlte sich aber zuständig?“
Fahnder
„Niemand fühlte sich zuständig.“

Doch wie wir im Amt Steglitz-Zehlendorf erfahren, sind die Verantwortlichkeiten klar geregelt. Für fast alle minderjährigen Flüchtlingskinder in Berlin – und das sind über 300 – hat man hier die Vormundschaft. Die Jugendämter in den Bezirken, also auch dieses hier, suchen dann die Freien Träger, also die Heime aus. Theoretisch hört sich alles gut an.

Anke Otto (Bü90/Grüne), Stadträtin Steglitz-Zehlendorf
„Bei stationären Unterbringungen, aber auch bei allen anderen Jugendhilfemaßnahmen werden in der Regel halbjährlich Hilfekonferenzen durchgeführt. Bei diesen Konferenzen sind anwesend in der Regel der betroffene Jugendliche selbst, der Träger natürlich, das Jugendamt, was den Vertrag mit dem Träger geschlossen hat und der gesetzliche Vertreter. Das wäre in diesem Fall der Vormund, um gemeinsam zu sehen, was sind die Entwicklungsschritte, die in dem letzten halben Jahr durchgeführt worden sind, was sind die Zielsetzungen, die man sich für das nächste halbe Jahr vornimmt und das ganze wir dann auch schriftlich festgehalten.“
KLARTEXT
„Wenn das so kontrolliert wird, wie kann es dann so kommen, dass viele der Flüchtlingskinder nicht zur Schule gehen, sondern als Drogendealer an der U-Bahn stehen?“
Anke Otto (Bü90/Grüne), Stadträtin Steglitz-Zehlendorf
„Ob das viele sind, das würde ich nicht so ohne weiteres behaupten, das finde ich ja einfach eine´Behauptung.
KLARTEXT
„Wenn ich als Eltern nicht dafür sorge, dass meine Kind in die Schule gehe, dann werde ich mit einer Ordnungsstrafe bestraft, weil wir haben Schulpflicht.“
Anke Otto (Bü90/Grüne), Stadträtin Steglitz-Zehlendorf
„Ja, selbstverständlich“
KLARTEXT
„Was passiert dann hier in diesem Fall?“
Anke Otto (Bü90/Grüne), Stadträtin Steglitz-Zehlendorf
„Es passieren ähnliche Dinge.“
KLARTEXT
„Wer wird dann hier bestraft?“
Anke Otto (Bü90/Grüne), Stadträtin Steglitz-Zehlendorf
„Das weiß ich nicht, dass kann ich nicht genau sagen.“

Dass man das Problem endlich angeht, wäre nicht nur dem Steuerzahler, sondern vor allem Werner und Siad zu wünschen.


Autorin: Gabi Probst