Unterschriftensammlung (Quelle: rbb)
(Quelle: rbb)

- Bürgerbegehren in Berlin

Kaum etwas ist in Berlin zurzeit so angesagt wie politische Mitbestimmung. Im April dürfen die Bürger gegen die Schließung des Flughafens Tempelhof unterschreiben: Berlins erster Volksentscheid. In mehreren Bezirken laufen so genannte Bürgerbegehren, zum Beispiel gegen Parkzonen. Das ist direkte Demokratie, wie fast alle sie wollten. Doch wo sie eingefordert wird, gibt es häufig Ärger. Zum Beispiel in Berlin-Mitte, wo die Parkuhren schon stehen, obwohl die Unterschriften dagegen noch gesammelt werden.

Nicht zuletzt das peinliche Gezerre der SPD um die Macht in Hessen kostet Glaubwürdigkeit. Das Vertrauen in die Volksvertreter schwindet. Dann doch lieber selbst Politik bestimmen. Mit einem Bürgerbegehren oder einem Volksentscheid. Die Berliner sind hocherfreut über solche Möglichkeiten der Mitbestimmung. In einer Umfrage sagten 85 %, dies seien sinnvolle Ergänzungen für die Demokratie. Ob Parkzonen, Flughafen Tempelhof, historische Fassaden oder Straßennamen – in der Hauptstadt wird zur Zeit ganz viel abgestimmt. Doch diese direkte Demokratie hat auch ihre Schwächen… Katrin Aue.

So schön kann Demokratie sein! Tanzen für den Bürgerwillen.

Matthias Schulze, Initiative gegen die Ausweitung der Parkraumbewirtschaftung in Berlin-Mitte
„Wir sammeln Unterschriften gegen die Parkscheinautomaten, die hier aufgestellt werden.“

Am Arkonaplatz in Berlin-Mitte passierte am Sonntag das, was in der Stadt angesagt ist wie nie: Die Bürger wehren sich gegen Entscheidungen ihrer Vertreter.

Matthias Schulze, Initiative gegen die Ausweitung der Parkraumbewirtschaftung in Berlin-Mitte
„Hier hat der Bürger das erste Mal Gelegenheit, nicht dieser Ohnmacht gegenüber zu stehen. Dass schon wieder die Mehrwertsteuer erhöht wird, oder schon wieder dies eingeführt wird, oder schon wieder das. Hier hat der Bürger das erste Mal die Gelegenheit, auch was aktiv zu tun. Und darum engagieren sich die Leute auch so.“

Seit 2005 können in den Bezirken die Bürger mitentscheiden. Dafür muss jemand ein so genanntes „Bürgerbegehren“ beantragen.

Das ist in Berlin bislang 21 Mal geschehen. Drei dieser Initiativen haben die erste Hürde genommen.

Hier kam es zum „Bürgerentscheid“: in Charlottenburg-Wilmersdorf gegen Parkzonen, in Kreuzberg gegen die Umbenennung der Kochstraße, und in Lichtenberg für den Erhalt des Coppi-Gymnasiums.

Auch auf Landesebene dürfen seit 2006 Bürger über einzelne Fragen abstimmen. Das „Volksbegehren“ für den Erhalt des Flughafens Tempelhof war gerade erfolgreich. Am 27. April kommt damit jetzt Berlins erster „Volksentscheid“.

Zurück nach Mitte. Unter anderem hier in der Rosenthaler Vorstadt plant das Bezirksamt neue Parkzonen.

Die Idee: Wenn fürs Parken gezahlt werden muss, werden Autos raus gehalten aus der Innenstadt. Das soll gut sein für die Umwelt und für die Anwohner, die leichter einen Parkplatz finden sollen.

Das ist schon lange geplant, doch seit Herbst laufen Bürger dagegen Sturm. Sie glauben nicht, dass sie wirklich davon profitieren:

Anwohner
„Ich denke, dass hier eigentlich überwiegend Anwohner sind und weniger Touristen, und dass irgendwie nicht einzusehen ist, dass die Anwohner, die hier wohnen, zur Kasse gebeten werden sollen.“
„Wir zahlen ja schließlich Autosteuern. Wozu eigentlich?“


6380 gültige Unterschriften muss die Bürgerinitiative zusammenbekommen, um die erste Hürde zu nehmen. Ein Wettlauf mit der Zeit, denn am 1.4. soll es losgehen mit dem Bezahlparken.

Und die Automaten werden schon aufgestellt. Rund eine Million Euro kostet das ganze. Eine Provokation des Bezirksamts, so die Bürgerinitiative.

Matthias Schulze, Initiative gegen die Ausweitung der Parkraumbewirtschaftung in Berlin-Mitte
„Das Geld ist einfach jetzt verbrannt, so muss man es einfach sagen. Insofern sind diese Automaten auch Symbole einer Geldverschwendung. Insbesondere dann, wenn sie wieder abgebaut werden müssen. Diese paar Wochen, die es noch dauert, um das Bürgerbegehren zu Ende zu bringen, die hätte der Bezirk auch noch Zeit gehabt.“

Stimmt nicht, sagt man im Bezirk. Die Initiative kam einfach zu spät.

KLARTEXT
„Ihre Kritiker sagen, Sie haben damit Fakten geschaffen.“
Christian Hanke (SPD), Bezirksbürgermeister Berlin-Mitte
„Ja, zu Recht auch. Weil wir eine klare Beschlusslage haben, die demokratisch legitimiert ist.“
KLARTEXT
„Die Frage ist bloß, ob es politisch klug ist.“
Christian Hanke (SPD), Bezirksbürgermeister Berlin-Mitte
„Naja, ich denke, dass es politisch schon klug ist, weil hier ja auch der Wähler, als er gewählt hat im Jahr 2006 eben auch bestimmte politische Mehrheiten gewählt hat. Man kann nachlesen in den Parteiprogrammen, ob man für oder gegen Parkraumbewirtschaftung ist. Und da hat man sich als Wähler ein klares Bild auch machen können. Und deshalb kann das eigentlich nicht überraschend sein, dass eine Mehrheit der politischen Parteien in der BVV grundsätzlich für Parkraumbewirtschaftungszonen ist, wenn sie Sinn machen. Und deshalb habe ich da politisch kein schlechtes Gewissen.“

Genau hier liegt das Dilemma: Bürgermeister Hanke macht alles richtig – sein Bezirksamt handelt, wie es bisher in der repräsentativen Demokratie üblich war.

Nur: jetzt gibt es ja die Bürgerentscheidungen. Und die müssen irgendwie in die politischen Entscheidungsprozesse eingefügt werden.

Denn im Resultat stehen in Mitte jetzt Parkautomaten, die bei einem erfolgreichen Bürgerentscheid vielleicht wieder abgebaut werden müssten.

So weit ist es in Charlottenburg-Wilmersdorf nicht gekommen. Aber auch hier mussten die Verkehrspolitiker lernen, mit Bürgermitbestimmung umzugehen: Sie hatten Parkzonen geplant, genau wie in Mitte. Doch 87 Prozent der Anwohner stimmten in einem Bürgerentscheid dagegen. Die grüne Verkehrsstadträtin Martina Schmiedhofer fühlt sich mit ihren eigenen Waffen geschlagen.

Martina Schmiedhofer (Bü90/Die Grünen), Verkehrsstadträtin Charlottenburg-Wilmersdorf
„Ich denke, wenn man der Bevölkerung das Instrument der Entscheidung in Einzelfragen an die Hand gibt, dann gehört natürlich auch dazu, dass man dann sich politisch nicht so durchsetzen kann, wie man das möchte. Also damit müssen wir umgehen. Das ist in der Sache bitter.“

Denn Martina Schmiedhofer glaubt an Parkzonen – aber als Grüne eben auch an Bürgerentscheide.

Martina Schmiedhofer (Bü90/Die Grünen), Verkehrsstadträtin Charlottenburg-Wilmersdorf
„Es führt natürlich dazu, dass wir uns ganz anders auseinandersetzen müssen, auch mit Planung, also dass wir viel vorher überlegen müssen: Wie können wir die Bevölkerung einbeziehen.“

Volker Ratzmann hat das Gesetz zur Bürgermitbestimmung mit auf den Weg gebracht. Es ist ein grünes Lieblingsprojekt, allerdings in Berlin noch mit Kinderkrankheiten, sagt er.

Volker Ratzmann (Bündnis 90/Die Grünen), Fraktionsvorsitzender Abgeordnetenhaus
„Das muss sich auch einlaufen, das muss auch eingeübt werden. Ich glaube, wir haben das Problem, dass unsere Verwaltung sehr wenig die direkte Kommunikation mit solchen außerparlamentarischen Initiativen pflegt. Da muss sich eine neue Kultur einspielen, dass diejenigen, die was wollen, auch schneller auf die Verwaltung zugehen und sagen: Ey, stopp mal, hier passiert jetzt was. Wir organisieren den Bürgerwillen und die Verwaltung muss das auch ernst nehmen und darf dann nicht wie der Amtsschimmel im Stall stehen und wiehern und sagen, wir machen jetzt aber, was wir wollen, sondern muss diese neue Kultur der Kommunikation, der Bürgerbeteiligung auch ein Stückchen weit leben.“

Das ist mühsam. Aber wirkungsvoll. Im Bezirk Mitte jedenfalls kommt die Möglichkeit, sich in Sachen Parkzonen zu engagieren, gut an. Nur alle vier bis fünf Jahre wählen gehen reicht nicht mehr.

Mann
„Das ist nicht so gefühlte Demokratie. Wenn ich zu bestimmten Dingen, es muss ja nicht alles sein. Wenn ich zu bestimmten Dingen auch außerhalb, also innerhalb der Legislaturperiode mitbestimmen kann, finde ich das gut. Auch wenn es die Sache verkompliziert oder so.“

Und kompliziert wird es tatsächlich. So sehr, dass vielleicht demnächst in Mitte teure Parkautomaten überflüssig werden. Das ist ärgerlich, und vielleicht hätte es nicht so weit kommen müssen. Aber das könnte das Opfer sein, das man bringen muss, gegen Politikverdrossenheit.