Politiker der Linkspartei (Quelle: rbb)
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- Linkspartei - Vorwärts in die Vergangenheit

Mit dem Austritt des Berliner Abgeordneten Carl Wechselberg aus der Partei Die Linke ist der Streit offenbar geworden: Ostdeutsche Reformer versus Altlinke aus den alten Bundesländern. Wohin steuert die Partei?

Die weltweite Wirtschaftskrise hat, das muss man feststellen, generell für einen Linksruck bei den Parteien gesorgt. Umso erstaunlicher, dass ausgerechnet die Partei, die am meisten von der Kapitalismus-Debatte profitieren könnte, in einer Krise steckt: Die Linkspartei. Sie ist mächtig ins Trudeln geraten. Gleich zwei spektakuläre Austritte in kurzer Folge: Die Europaabgeordnete Sylvia-Yvonne Kaufmann wechselte enttäuscht von den Linken zur SPD und auch der Berliner Finanzexperte der Linken trat zuvor aus seiner Partei aus. André Kartschall mit einer Analyse.

Auftritt von Gregor Gysi auf dem Landesparteitag der Linken in Brandenburg. Das Aushängeschild der Partei ist gekommen, um Geschlossenheit und Zuversicht zu vermitteln. Denn an der Parteibasis rumort es in letzter Zeit.

Der Grund ist der Entwurf des neuen Wahlprogramms. Seitenweise Klassenkampfparolen, Kapitalismuskritik und ultralinke Propaganda. Gegeißelt werden: „marktradikale Geisterfahrer“, „Gier, Geiz, Egoismus und Verantwortungslosigkeit der Herrschenden“. Alle Kraft gegen den „Kapitalismus als größten Feind des Lebensglücks der Menschen“.

Verantwortlich für den Ruck nach Linksaußen sind vor allem die nach der Vereinigung mit der WASG hinzugekommenen West-Parteimitglieder. Viele von ihnen sind Alt-Linke, kommen aus radikalen Gruppierungen wie der ehemaligen KPD. Manchen Genossen in den Neuen Bundesländern – wie hier in Brandenburg – ist das zu radikal, zu populistisch. Doch Gysi fühlt sich von den Umfragewerten im Westen bestärkt.

Gregor Gysi (Die Linke.), Fraktionsvorsitzender Bundestag
„Aber ich möchte doch mal appellieren an euch, diesen Erfolg zu sehen und den auch auszustrahlen. Wer hätte denn 1990 daran gedacht, dass wir uns ein Wahlergebnis von zehn plus x wünschen – bundesweit – und das durchaus eine reale Vorstellung ist, die wir auch erreichen können. Also jetzt finde ich, solltet ihr auch mal ein bisschen stolz darauf sein. Und danach können wir ja dann kritisieren und alles Mögliche uns um die Köpfe werfen.“

Im Berliner Abgeordnetenhaus sitzt einer, der sich daran nicht halten will. Carl Wechselberg, seit 2003 Mitglied der Fraktion Die Linke im Berliner Landesparlament. Er war nicht einverstanden mit dem Linksaußenkurs der Partei. In der vergangenen Woche trat er entnervt aus. Das Diskussionsverbot Gysis erklärt er sich so:

Carl Wechselberg (parteilos), Mitglied des Abgeordnetenhauses
„Gregor Gysi ist zutiefst erfüllt von der historischen Mission, eine gesamtdeutsche Linke zu konstituieren. Er tut das aus dem Verständnis heraus, dass die PDS ja in allen ihren Bemühungen, zur Westausdehnung gescheitert ist.“

Für Wechselberg geht Gysis Projekt der bundesweiten Linkspartei auf Kosten der eigenen Identität.

Carl Wechselberg (parteilos), Mitglied des Abgeordnetenhauses
„Ihm ist es wichtiger, dass heute eine gesamtdeutsche Linke zustande kommt, als sich die Frage zu stellen, in welchem Zustand sich diese dann am Ende befindet.“

Den aktuellen Zustand als Protestpartei belegt auch der Entwurf zum Bundestagswahlprogramm.

Herz des Ganzen ist: „ein jährliches öffentliches Investitionsprogramm in Höhe von 100 Milliarden Euro …“
Und zusätzlich: „Ein Zukunftsfonds, der mit (– weiteren –) 100 Milliarden Euro ausgestattet ist …“.
Oben drauf gibt es noch jede Menge soziale Wohltaten wie: „Hartz IV abschaffen … Anhebung des Regelsatzes auf 500 Euro …“, „Kindergeld sofort auf je 200 Euro erhöhen“ und „… sämtliche Kürzungsfaktoren aus der Rentenformel streichen …“

Carl Wechselberg (parteilos), Mitglied des Abgeordnetenhauses
„Das Wahlprogramm der Linken kostet nach deren eigenen Angaben etwa 300 Milliarden Euro. Das entspricht dem Volumen des Bundeshaushalts zuzüglich zu den Ausgaben, die natürlich auch für Die Linke im Bundeshaushalt zu tätigen wären. Wie man eine derartige Verdoppelung der finanzpolitischen Belastungen zu verantworten gedenkt, das erschließt sich mir nicht.“

Gern hätten wir Gregor Gysi das gefragt, aber der musste nach seiner Rede ganz schnell weg. Stattdessen bekommen wir einen Termin bei Bundesgeschäftsführer Dietmar Bartsch.

Dietmar Bartsch (Die Linke.), Bundesgeschäftsführer
„Dass wir zugespitzte Forderungen in der Krise stellen, und zwar sehr wohl, was die Frage der Zukunft betrifft, aber auch was die Frage der Finanzierung betrifft, aber insbesondere eben auch Fragen von Sozial- und Außenpolitik, das empfinde ich als richtig.“

Für Wechselberg heißt das allerdings: Die Linke hat sich von ernsthafter Realpolitik verabschiedet.

Carl Wechselberg (parteilos), Mitglied des Abgeordnetenhauses
„Dass diejenigen eben eine politische Ausrichtung der Linkspartei betreiben, die ganz auf Protest setzt, die eben erklärtermaßen auch in der SPD den politischen Hauptgegner sieht, die sich selber nicht beteiligen möchte an Koalitionsregierungen beispielsweise, die mittlerweile auch in Gestalt von Gregor Gysi erklärt, dass es auf rot-rote Landesregierungen beispielsweise gar nicht so sehr ankommt.“

Auf dem Weg zur reinen Protestpartei stören also nur noch die Genossen mit Regierungsverantwortung. Berlin ist momentan das einzige Bundesland, in dem Die Linke Koalitionspartner ist – und das nicht zur Freude des Bundesvorsitzenden, so Wechselberg.

Carl Wechselberg (parteilos), Mitglied des Abgeordnetenhauses
„Oskar Lafontaine ist ja schon auf unserem Parteitag vor drei Jahren etwa aufgetreten, als wir Rot-Rot neu begründen wollten, damit dann zum zweiten Mal, und hat vehement gegen den Eintritt in die Landesregierung agitiert, hat auch seinerzeit schon dafür geworben diesen Schritt nicht zu machen. Und hat das damit begründet, dass in einer rot-roten Landesregierung eben auch Kompromisse gemacht werden müssen, dass es eben gelegentlich auch erforderlich ist, unangenehme Botschaften an die Bevölkerung zu übermitteln und er hat erklärt, dass er genau das nicht möchte.“

Der Realpolitiker Wechselberg hat den Kampf gegen die radikalen Neu-Linken aus den alten Bundesländern aufgegeben. Nach fast 20 Jahren in der Partei.

Carl Wechselberg (parteilos), Mitglied des Abgeordnetenhauses
„Also ich bin seinerzeit als 22-Jähriger vor der West-Linken geflohen in die SED-Nachfolgepartei hinein. Selbst die war mir lieber als in der West-Linken zu verbleiben, die ich als einfach komplett handlungsunfähigen, zutiefst sektiererischen Haufen gesehen habe, der auch zurecht im gesellschaftlichen Abseits steht. (…) Und nun muss ich ironischerweise feststellen, dass mich diese Leute und diese Sekten und diese Positionen mit großer Macht in der PDS/Linken wieder eingeholt haben und ja, nun gehe ich erneut und in gewisser Weise fliehe ich zum zweiten Male vor diesen Leuten und ich glaube auch wiederum, dass ich Recht damit habe.“


André Kartschall