Euro-Scheine, Quelle: rbb

- Krimi mit Fortsetzung: EU-Fördermittel trotz Insolvenz?

Der Förderfall Human BioSciences liegt jetzt auch beim EU Parlament. Es besteht der Verdacht, dass das Land Brandenburg gegenüber der EU Kommission unkorrekte Angaben gemacht hat, und dass der Betrugsverdacht gegen die Firma schon seit Langem bestand. Das erklären jetzt Insider, die erstmals öffentlich vor die Kamera gehen.

Anmoderation
Anfang des Jahres hatten wir die Betrugsaffäre um die Pleitefirma Human Bio Sciences aufgedeckt. Das Land Brandenburg hatte dabei viele Millionen Euro verloren, weil es offenbar ein betrügerisches Unternehmen gefördert hat. Über Wochen musste sich Wirtschaftsminister Ralf Christoffers dafür rechtfertigen. Nun brechen weitere Zeugen ihr Schweigen: In einem Interview mit uns erklären sie erstmals öffentlich, wie sie den Fall Human BioSciences einschätzen. War die Firma von Anfang an nur eine Luftnummer? Gabi Probst.

Egal, in welchen politischen Gremien sich Wirtschaftsminister Ralf Christoffers für den umstrittenen Förderfall Human BioSciences, rechtfertigen muss, er wird nicht müde, immer wieder zu betonen:

Ralf Christoffers (Die Linke)
Minister für Wirtschaft und Europaangelegenheiten

"Das Land ist hier Opfer eines schweren Betrugsfalls geworden."

Das Land? Der Minister? Sein Ministerium? Die Landes- und Förderbank ILB, die die Millionen auszahlte? Sind etwa alle Opfer eines Betruges?

Es geht um 13,6 Millionen Euro Fördergelder, die das Wirtschaftsministerium der Firma Human BioSciences für eine Fabrik für Wundpflaster in Luckenwalde versprach. 6,5 Millionen Euro wurden gezahlt und verschwanden. Was bleibt ist eine Bauruine. HBS ist insolvent.

Ralf Christoffers (Die Linke)
Minister für Wirtschaft und Europaangelegenheiten

"Das Land ist hier Opfer eines schweren Betrugsfalls geworden. Ich sehe gegenwärtig, ich sag mal, weder Grund noch Anlass eine unmittelbare Verantwortung sozusagen zu übernehmen."

Die Opferrolle nehmen wir dem Minister nicht ab. Und wir entlassen ihn auch nicht aus seiner Verantwortung. Wir recherchieren nämlich: Der mutmaßliche Fördermittelbetrug war für alle Verantwortlichen offensichtlich. Der Geschäftsführer der Human BioSciences, kurz HBS, hier links im Bild, und seine Helfershelfer – haben nicht wirklich ein Geheimnis darum gemacht.

Das glaubt auch der ehemalige Projektleiter und Architekt der HBS, Jörg Vogt. Wir treffen ihn, als er vom Insolvenzverwalter kommt. Erstmals spricht er öffentlich über seine Erfahrungen mit HBS und den Behörden.

Jörg Vogt
ehemaliger Projektleiter und Architekt

"Ich bin Ende 2011 aus diesem Projekt ausgestiegen. Ich wollte damit absolut nichts mehr zu tun haben. Ich habe der ILB die entsprechenden Informationen zur Verfügung gestellt und stand jederzeit der ILB zur Verfügung zur Aufklärung des Sachverhaltes. Sich jetzt hinzustellen und zu sagen, man ist betrogen worden, ist für mich nicht nachvollziehbar."

Richtig. Denn inzwischen geht es um viel mehr.

75 Prozent der Fördermittel kamen nämlich aus Brüssel, sind EU-Gelder. Eine Prüfkommission beim Finanzministerium Brandenburgs soll im Auftrag der EU aufpassen, dass Fördergelder ordnungsgemäß verwandt werden. Sie prüft, ob im Wirtschaftsministerium und in der Förderbank ILB alles ordnungsgemäß bearbeitet wird.

Im April 2011 wurden die ersten 3,3 Millionen Euro Fördergeld an die HBS gezahlt – für den Kauf von Gefriertrocknern. Damit sollten später ganz besondere Wundpflaster hergestellt werden. Doch der Bau stockte, die Handwerker wurden nicht bezahlt. Es war offenbar kein eigenes Geld da, was aber eine Voraussetzung für die Förderung überhaupt ist. Projektleiter Vogt ist zu diesem Zeitpunkt schon misstrauisch.

Jörg Vogt
ehemaliger Projektleiter und Architekt

"Die ILB war seit 2009 darüber informiert, von mir informiert, dass es immer wieder zu Zahlungsverzögerungen kam."
KLARTEXT
"Beim Bau?"
Jörg Vogt
ehemaliger Projektleiter und Architekt

"Beim Bau und bei der Planung des Objektes."

Ergebnis: Der Insolvenzverwalter muss nun mehr als 27 Millionen Euro Schulden der HBS verwalten. Er kennt die wesentlichen Unterlagen, die zuvor auch den Verantwortlichen in Brandenburg vorlagen. Er meint, dass Eigenkapital offenbar nie vorlag, jedenfalls nicht auf
den Konten der Firma. Wahrscheinlich nicht einmal für die Gesellschafteranteile.

Joachim Voigt-Salus
Insolvenzverwalter HBS

"Wir haben auch weiter keinerlei Unterlagen in dem Unternehmen selbst, die darauf hindeuten, dass etwa Vertriebsaktivitäten schon gestartet wurden, insbesondere Lizensierungen und Patentverfahren in Gang gesetzt wurden, die es rechtfertigen würden, davon auszugehen, dass hier tatsächlich ein Unternehmen kurz vor dem Start war und das dann abstürzte. Sondern alles deutet doch eher darauf hin, dass es von Anfang an eine große Luftnummer war und die zum Scheitern verurteilt war."

Und das hat angeblich keiner in Brandenburg gemerkt?

Doch es kommt noch schlimmer.

Nur einen Monat nach der Auszahlung der ersten Fördermillionen besucht Wirtschaftsminister Christoffers nach eigenen Angaben die
HBS-Fabrik in den USA, in der angeblich schon die Wundpflaster hergestellt wurden. Was der Minister aber hier tatsächlich gesehen haben will, verrät er uns nicht, trotz mehrfacher Anfrage. Aber was wir im Februar 2014 selbst sahen, bestätigt uns der Projektleiter.

KLARTEXT
"Diese große Fabrik, von der immer erzählt wurde – was hätte
man gesehen?"

Jörg Vogt
ehemaliger Projektleiter und Architekt

"Nicht viel. Man hätte einen Raum gesehen, einen angemieteten Raum innerhalb eines Gewerbekomplexes, wo zwei ältere Maschinen stehen. Von der Produktion selbst, hätte man nichts gesehen."
KLARTEXT
"Mitarbeiter?"

Jörg Vogt
ehemaliger Projektleiter und Architekt

"Man hätte auch keine Mitarbeiter innerhalb der Produktion gesehen, nein."

Also keine Fabrik! Keine Mitarbeiter.

Also mehr kann der Minister auch nicht gesehen haben. Warum wurde er nicht misstrauisch und stoppte die Förderung? Keine Antwort.

Ende 2011. Obwohl der Bau zwei Jahre zuvor begann, ist man nicht viel weiter. Projektleiter Vogt stößt auf weitere Ungereimtheiten zum angeblichen Kauf der Gefriertrockner, für die es ja schon Fördergelder gab. 36 an der Zahl für rund 500.000 Dollar pro Stück. Ein Drittel wäre der reale Preis, sagt er.


Jörg Vogt
ehemaliger Projektleiter und Architekt

"Nachdem ich die Informationen über die tatsächlichen Investitionskosten zu den Gefriertrocknern aus den USA erhielt, habe ich Anfang 2012 die ILB davon in Kenntnis gesetzt. Das heißt, spätestens zu diesem Zeitpunkt wusste die Investitionsbank, dass hier
möglicherweise ein Fördermittelbetrug vorliegt."

Für ihn waren es nur Scheinrechnungen, alle Geräte wurden nie gekauft.

Aber wir erinnern uns: die Prüfbehörde Brandenburgs muss das eigentlich für die EU prüfen!

Wir haben in Brüssel nachgefragt, was die Brandenburger Prüfbehörde der Kommission gemeldet hat und bekommen eine erstaunliche Antwort, Zitat:

"Die Prüfbehörde Brandenburgs hat … die gegenüber der Kommission 2011 gemeldeten Ausgaben geprüft. Dabei hat sie sich vor Ort bei der HBS vom Vorhandensein der Gefriertrockner überzeugt; die Zahlungsbelege wurden im Nachgang zur Prüfung in Form von Kontoauszügen erbracht."

Ja, aber was will die Prüfbehörde Brandenburgs vor Ort gesehen haben? Bis heute stehen nur zwei dieser Geräte in den ehemaligen Räumen der HBS. Mehr nicht. Wie gesagt, die anderen 34 – angeblich teuer bezahlten Gefriertrockner – sind bis heute nicht in Luckenwalde angekommen.

Insider, die aber anonym bleiben müssen, behaupten darüber hinaus auch, dass die Gefriertrockner mit ähnlichen Barcheques wie diesen bezahlt wurden. Dabei sind Bargeldgeschäfte bei Fördergeschäften an sich verboten. Doch die Behörde störte das wohl nicht. Und um der Prüfbehörde zu belegen, dass das Geld tatsächlich geflossen ist, sollen sogar Kontoauszüge durch HBS gefälscht worden sein, denn die Cheques waren gar nicht gedeckt.

Das Pikante: Sowohl die Auszahlungsbehörde ILB als auch die Prüfbehörde sollen das bemerkt, aber der EU nicht berichtet haben. Hat man der EU-Kommission in Brüssel nicht die Wahrheit gesagt, um die Fördermillionen nicht zu verlieren? Wir haben die Prüfbehörde danach gefragt: Kein Interview, keine Antwort. Auch den Prüfbericht an die Kommission dürfen wir nicht lesen.

Dr. Inge Gräßle ist Mitglied im Haushaltsausschuss des EU-Parlaments. Sie ist Expertin und hat im Fall HBS jetzt eine Anfrage an die EU-Kommission gestellt.

Inge Gräßle (CDU)
Europaabgeordnete

"Ich werde Akteneinsicht verlangen für den Haushaltskontrollausschuss in diesen Prüfbericht, aber auch in alle anderen Unterlagen. Wenn wir es mit Fälschungen zu tun haben, entlang der ganzen Kette und wenn wir ganz bewusst eine Irreführung, auch der europäischen Behörden haben, dann wird die EU dieses Geld zurückfordern müssen. Da bleibt gar nichts anderes übrig. Bei Betrug gibt es null Toleranz."

Übrigens: Als Projektleiter Voigt massive Belege für einen möglichen Betrug vorlegte, war die Förderbank ILB gesetzlich gezwungen, diese Belege im April 2012 an die Staatsanwaltschaft Potsdam zu geben. Was sie auch tat. Im Septemberschicken die Behörden noch einmal einen Stapel mit brisanten Unterlagen und einem Schreiben mit den Worten mit, Zitat:

"Der Umstand lässt ebenfalls Zweifel an der Seriosität an dem Unternehmen aufkommen."

Trotzdem verlässt der Wirtschaftsminister wenig später eine Landtagssitzung, um sich mit den Verantwortlichen von HBS zu treffen. Zwei Tage später, am 1. Oktober 2012, werden weitere 3,2 Millionen Euro an die HBS überwiesen – ja aber wie war das noch einmal:

Ralf Christoffers (Die Linke)
Minister für Wirtschaft und Europaangelegenheiten

"Das Land ist hier Opfer eines schweren Betrugsfalls geworden."

KLARTEXT
"Eigentlich haben sie doch alles offen gelegt, ihren Betrug."
Joachim Voigt-Salus
Insolvenzverwalter HBS

"Das haben Sie jetzt gesagt, Frau Probst, ja."
KLARTEXT
"Aber es liegt doch nahe, oder?"

Abmoderation
Zwei der Verantwortlichen der Firma HBS sitzen übrigens in Untersuchungshaft, gegen sie will die Potsdamer Staatsanwaltschaft bald Anklage erheben. Und morgen wird wohl auch der Haushaltsausschuss des Landtags nicht an diesem Skandalfall vorbei kommen.

Beitrag von Gabi Probst