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Anwalt bei der Arbeit | Bild: rbb

- Neuer Skandal um Bodenreformland – Staatsanwälte unter Verdacht

Der politische Streit um die sittenwidrige Enteignung von Bodenreformland durch die Brandenburger Landesregierung hat nun auch ein juristisches Nachspiel. Die Staatsanwaltschaft Potsdam weigerte sich bislang, ein Ermittlungsverfahren wegen Betruges und Untreue einzuleiten. Jetzt droht den Staatsanwälten eine Anzeige wegen Strafvereitelung im Amt.

Die rechtswidrige Enteignung von Bodenreformland durch die Brandenburger Landesregierung hat lange Zeit die Gemüter erhitzt. Und vielleicht haben Sie sich schon gefragt, warum dieser skandalöse Vorgang eigentlich strafrechtlich folgenlos blieb. Jetzt könnte es ein Nachspiel geben, noch dazu ein sehr pikantes: Wie unsere KLARTEXT-Recherchen ergaben, droht den zuständigen Staatsanwälten eine Anzeige wegen Strafvereitelung im Amt. Benedict Maria Mülder hat den Fall aufgedeckt.

Das brandenburgische Finanzministerium in Potsdam. Tatort eines in der Bundesrepublik bislang einmaligen Vorgangs. Vor über zehn Jahren war hier die Schaltzentrale zur Abwicklung der DDR-Bodenreform. Beamte des Ministeriums haben die Enteignung der Grundstücke von 10.000 Bürgern organisiert.

Das war „Rechtswidrig“ und „sittenwidrig“ urteilte der Bundesgerichtshof im Jahr 2007. Doch die Potsdamer Justiz interessiert das offenbar wenig. Zur Rechenschaft gezogen hat sie bislang niemanden.

Seit Jahren gehört der Potsdamer Rechtsanwalt Thorsten Purps zu den hartnäckigsten Aufklärern der Bodenreform-Affäre. Jetzt hat er die Ungereimtheiten in einem Buch akribisch aufgelistet.

Thorsten Purps, Rechtsanwalt
„Mich empört besonders, dass die Justiz weggeschaut hat. Man kann nachweisen, dass trotz eines klaren Hinweises des Bundesgerichtshofes, in dem Urteil steht etwas von Täuschung, dass im Ergebnis nichts aber auch gar nichts passiert ist.“

Rückblende. 1945: Bei der Bodenreform wurden tausende Großgrundbesitzer in der sowjetisch besetzten Zone enteignet. Die Sowjets ließen die Ländereien der preußischen Junker unter Flüchtlingen und Landarbeitern aufteilen. Sie wurden per Urkunde und Grundbucheintrag zu rechtmäßigen Eigentümern erklärt – damit wollten die Sowjets den preußischen Adelsstand endgültig entmachten.

1990: Auch nach dem Ende der DDR sollten die Neueigentümer ihre Grundstücke behalten, wenn sie die Flächen weiterhin landwirtschaftlich nutzen. Andernfalls fiele der Boden an das Land Brandenburg. Es lag also im Interesse des Landes, die Neueigentümer beziehungsweise ihre Erben ausfindig zu machen. Waren sie nicht mehr in der Landwirtschaft tätig, bekam Brandenburg die Grundstücke zurück – zum Wohle der Staatskasse. Zeit war dafür bis zum Stichtag 3. Oktober 2000. Danach sollten die Ländereien endgültig bei den Eigentümern verbleiben.

1999 - ein Jahr vor Ablauf der Frist: Torschlusspanik beim Finanzministerium. Für 10.000 Grundstücke fehlen noch immer die Eigentümer beziehungsweise ihre Erben.

Da entschieden die Ministerialen: Wer nicht gefunden wird, dessen Grundstück wird trotzdem enteignet – gegen das Gesetz.

Beispiel: Das 10 Hektar große Grundstück von Horst Netzel aus Strausberg. Netzel hatte das Land von seinem Vater geerbt, der stand auch im Grundbuch. Aber angeblich waren die Netzels nicht auffindbar. Dabei lebte die Familie seit 65 Jahren im selben Haus.

Dennoch ließ das Land Brandenburg Netzel aus dem Grundbuch löschen und sich selbst als Eigentümer eintragen. Die Zeit drängte.

Thorsten Purps Rechtsanwalt
„Der Staat hat es damit begründet, dass er angeblich alles getan hätte, um diese anonymen Erben zu finden. Weil er sie nicht gefunden hat, meinte er, einen Anspruch darauf zu haben, diese Grundstücke jetzt ihnen zu entziehen.“

Für Rechtsanwalt Purps war klar: Mitarbeiter des Finanzministeriums haben damit Netzels Grundstück veruntreut. Sie hätten ihre Amtsstellung missbraucht, als sie das fremde Grundstück dem Land Brandenburg zuschanzten. 2006 erstattet der Anwalt Strafanzeige bei der Potsdamer Staatsanwaltschaft.

Doch 18 Monate lang passiert nichts. Im März 2008 wird das Verfahren dann eingestellt – mangels Tatverdacht. Eine Justizpanne? Der brandenburgische Generalstaatsanwalt wiegelt ab.

Erardo Rautenberg, Generalstaatsanwalt Brandenburg
„Wir haben nach Eingang der Strafanzeige alle Unterlagen eingesehen, die in den Ministerien vorlagen. Die Landesregierung hat uns das freiwillig zur Verfügung gestellt und auch der Landtag hat uns alle einschlägigen Protokolle geschickt. Die haben wir alle geprüft und sind danach zu dem Ergebnis gekommen, dass ein Anfangsverdacht für eine Untreue nicht vorliegt.“

Verwunderlich, denn selbst der Bundesgerichtshof spricht wörtlich davon, dass bei der Enteignung getäuscht wurde. Und auch die Staatsanwaltschaft stellt nach der Strafanzeige des Anwalts sogar selbst fest, dass bei der Enteignung der objektive Tatbestand einer Untreue realisiert worden ist.

Trotzdem stellt sie das Verfahren mit der Begründung ein, die Ministerialbeamten hätten das doch nicht mit Absicht gemacht. Wörtlich heißt es:

Zitat
„Im Ausgangsfall fehlen jedoch Anhaltspunkte für vorsätzliches Handeln.“

Soll heißen: die Staatsanwaltschaft meint, dass den Mitarbeitern des Finanzministeriums nicht bewusst war, dass sie das Vermögen des Herrn Netzel schädigen, wenn sie ihn enteignen - komisch. Seltsam auch, dass die Staatsanwaltschaft zu dem Schluss kommt, die Beamten hätten ohne Vorsatz gehandelt, ohne auch nur einen einzigen Zeugen zu befragen.

Ein ungewöhnlicher Vorgang, meint der Strafrechtler Prof. Uwe Hellmann von der Universität Potsdam.

Prof. Uwe Hellmann, Strafrechtler Universität Potsdam
„Es ist jedenfalls ungewöhnlich, dass in einem Fall, in dem die Staatsanwaltschaft selbst den objektiven Tatbestand der Untreue feststellt, also pflichtwidrige Vermögensschädigung, das Fehlen des Vorsatzes im Grunde nach Aktenlage beurteilt worden ist.“

Dabei gibt es auch nach Aktenlage deutliche Indizien dafür, dass die Beamten sehr wohl wussten, was sie tun, wussten, dass es noch Erben gibt, denen sie schaden. Denn es gab sogar einen ausdrücklichen Hinweis, die Suche nach den Erben nicht allzu ernst zu nehmen.

So heißt es in einem Schreiben des Finanzministeriums vom 5. Mai 2000 an das Innenministerium:

Zitat
„Ich wäre Ihnen sehr verbunden, wenn der Prüfungsumfang auf ein Minimum beschränkt wird“.

Aber selbst dieser deutliche Hinweis – kein Thema für Potsdams Staatsanwälte. Doch selbst bei genauerer Prüfung wären die Staatsanwälte wohl zu keinem anderen Schluss gekommen. Denn schließlich hätte das Land die Grundstücke wieder rausgerückt, wenn: Zitat: sich „wider erwarten“ ein Erbe gemeldet hätte, der sein Grundstück zurück haben wollte.

Das beweise doch, dass sich die Beamten des Finanzministeriums nicht strafbar gemacht hätten. Sie hätten im guten Glauben gehandelt, so der Generalstaatsanwalt.

Erardo Rautenberg Generalstaatsanwalt Brandenburg
„…um die Grundstücke dem Land zu retten mit dem Vorbehalt, sie eventuell auftretenden Erben dann zurückzuerstatten. Und von der Zulässigkeit dieser Konstruktion waren sie offensichtlich überzeugt.“

Kurz: Es ist doch keine Untreue, wenn der Täter vorher erklärt, den Schaden zu begleichen – wenn er auffliegt. Für Strafrechtler eine äußerst kreative Auslegung des Strafrechts

Prof. Uwe Hellmann, Strafrechtler Universität Potsdam
„Der Ungetreue oder auch der Betrüger, der sich bereit erklärt, wenn er denn erwischt wird, ich formulier das mal so drastisch, den Schaden zu ersetzen, kann dadurch natürlich nicht von vorneherein seine Strafbarkeit beseitigen. Die Bereitschaft, den Schaden zu beseitigen, ändert an der Strafbarkeit grundsätzlich nichts.“

Offenbar sind die brandenburgischen Staatsanwälte bei der Strafverfolgung ja etwas nachsichtiger, wenn es um das eigene Land geht. Ist die Justiz da tatsächlich auf einem Auge blind? Der Generalstaatsanwalt:

Erardo Rautenberg Generalstaatsanwalt Brandenburg
„Das ist doch ziemlich diffamierend der Vorwurf. Das empfinde ich schon als diffamierend. Es wird eben geprüft und entscheidend ist ja, dass man jetzt nicht irgendwie vor etwas zurückschreckt, weil man niemandem auf die Füße treten will.“

Rechtsanwalt Purps will es dabei nicht bewenden lassen: Er stellt jetzt Strafanzeige, unter anderem auch gegen Generalstaatsanwalt Rautenberg. Der Vorwurf: Strafvereitelung im Amt.



Benedict Maria Mülder