Martin Sonneborn (Die Partei), Quelle: rbb

- Genervte Wähler - Verzweifelter Griff zur Spaßpartei?

Warum wählen Menschen Spaßparteien? In Berlin erreichte "Die Partei", die dem "Dunstkreis" des Satiremagazins "Titanic" entstammt, immerhin ein Prozent bei der vergangenen Bundestagswahl. Und auch jetzt bei den Europa- und Brandenburger Kommunalwahlen könnten sie Parlamentssitze erringen. Ist das nur Gaga oder ernstzunehmender Protest?

Anmoderation
Dass Wähler scharenweise in eine Partei eintreten, ist eher selten. Die Partei des Satirikers Martin Sonneborn schafft das offenbar spielend. Mit 10.000 Mitgliedern steht "Die Partei" bundesweit auf Rang 7. Bei der Bundestagswahl errang sie immerhin 1 Prozent. Jetzt sagen Sie, alles verschenkte Stimmen? Na, dann gucken Sie mal nach Island: Denn da ist 2010 ein Komiker bei der Kommunalwahl tatsächlich Bürgermeister von Reykjavik geworden – und zwar mit Forderungen wie: "Kostenlose Handtücher im Schwimmbad!" Da fragen wir uns: Was können wir da von Martin Sonneborn und seiner Partei bei der bevorstehenden Kommunalwahl in Brandenburg und der Europawahl erwarten? Helge Oelert hat die Partei begleitet.

Martin Sonneborn
Spitzenkandidat "Die Partei"

"Kann ich Sie ermuntern, am 25. Mai zu Hause zu bleiben?"
Passantin
"Zu Hause zu bleiben?"
Martin Sonneborn
Spitzenkandidat "Die Partei"

"Es sei denn, Sie wählen Die Partei."
Passantin
"Ich wähle Die Partei, natürlich."
Martin Sonneborn
Spitzenkandidat "Die Partei"
(zu einem Passanten)

"Ich möchte nach Brüssel und je weniger Leute zur Wahl gehen, desto besser sind meine Chancen. Wir sind eine kleine, obskure Partei…"

Wahlkampf – ein hartes Stück Arbeit. Da hilft es auch nichts, wenn man einer Spaß-Partei angehört. Wie Martin Sonneborn, Aushängeschild der "Partei". Die ist eine Art politischer Arm der Satirezeitschrift "Titanic". Und rechnet sich bei der Europawahl – ganz ernsthaft – Chancen aus auf einen Sitz in Brüssel.

Martin Sonneborn
Spitzenkandidat "Die Partei"

"Wir wollen natürlich nicht, dass der großartige deutsche Penis in Europa beschnitten wird und möglicherweise verkleinert werden muss. Wir glauben, dass das an Urängste auch der Wähler geht, und dass man uns wählen kann, wenn man ähnliche Befürchtungen hat."

Tabubruch ist Programm – wie in diesem Wahlspott, wo Sonneborn in einer Hitlerrede einfach nur das Wort "Deutschland" durch "Europa" ersetzt.

Wahl-Spot der "Partei"
"Meine europäische Jugend... Und ihr müsst deshalb friedfertig sein und mutig zugleich. "

Aber nicht nur in der Hauptstadt – deutschlandweit sind Mitglieder der "Partei" unterwegs. In Cottbus treten sie am 25. Mai zusätzlich bei den Kommunalwahlen an.

Auch hier arbeiten sie damit, der Wirklichkeit einen Spiegel vorzuhalten – etwa, wenn sie in dieser Region, in der die Braunkohlebagger ganze Dörfer abräumen, dafür werben, die Cottbuser Innenstadt frei zu geben…

"Wir sagen ja zum Braunkohletagebau Cottbus Mitte 1."

…damit sich die Energiekonzerne bloß nicht aus der Lausitz zurückziehen.

"Die ganzen Platten dahinten werden abgerissen, da kommt ein schöner Tagebau hin. Das ist der erste Tagebau in ganz Europa, auf der ganzen Welt, der innerstädtisch ist."

Doch hinter der ironischen Haltung steht meist ernsthafter politischer Veränderungswille.

Eva Leptien,
Kandidatin "Die Partei", Cottbus

"Wir sind nicht auf die Kohle angewiesen hier, es gibt neue Technologien, die genutzt werden sollten, können und müssen. Das ist wahnsinnig wichtig. Und wir haben hier in der Region auch den Platz, um Solarparks aufzubauen."

In der "Partei" sehen Wissenschaftler keinen intelligenten Nonsens, sondern ernstzunehmenden politischen Protest.

Prof. Dieter Rucht
Protestforscher

"Es enthält Botschaften – wenngleich verkleidete Botschaften –, die erstmal dekodiert werden müssen. Und es ist eine Kritik am etablierten Politikbetrieb, beispielsweise an der Leerheit von politischen Formeln, von politischen Statements. Beispielsweise auch an der Optik von Wahlplakaten, die ja immer nichtssagender werden."

Indem er mit dem satirischen Finger auf diese Defizite des politischen Systems zeigt, will Sonneborn seine Wähler gewinnen.

Ausschnitt aus "Klipp und Klar" vom 1.9.2011
Cathrin Böhme
Moderatorin

"Erklären Sie mir, warum ich eine inhaltsleere Partei wählen soll."
Martin Sonneborn
Spitzenkandidat "Die Partei"

"Ich glaube nicht, dass wir inhaltsleerer und populistischer sind als andere Parteien. Wir haben ein Plakat, auf dem steht 'Inhalte überwinden', wir glauben, dass das der Trend der Zeit ist. Wir sind die modernste und populistischste aller Parteien, und ich hoffe, dass wir damit die Herzen der Wähler in dieser Stadt erringen können."

Auch Experten glauben das: einerseits würde so die Frustrierten und Politikverdrossenen angesprochen.

Benedikt Porzelt
Universität Marburg

"Auf der anderen Seite sind dort gerade besonders Politikinteressierte, die die 'Partei' wählen, da die 'Partei' auf Probleme und Schieflagen hinweist, die von den 'richtigen' Politikern scheinbar nicht mehr wirklich wahrgenommen werden."

Und so könnte die "Partei" in Zukunft Wählerschichten erobern, die vorher für die Piraten gestimmt haben, nun aber enttäuscht sind über deren Scheitern in der Realität.

In den seltenen Momenten, wo Sonneborn seine ironische Haltung verlässt, wird durchaus eine inhaltliche Übereinstimmung deutlich.

Martin Sonneborn
Spitzenkandidat "Die Partei"

"Ich weiß, was ich besser machen würde und anders machen würde in diesem Land. Das ist im sozialen Bereich ganz wichtig. Es geht nicht an, dass die Atomindustrie, die ja gerade ihre Atomkraftwerke in irgendwelche Fonds schiebt, und die Verantwortung zudem. Es geht nicht an, dass über Freihandelsabkommen gerade verhandelt wird, ohne dass die deutsche Bevölkerung davon weiß, und weiß, was das nach sich zieht, auch an juristischen Dingen. Also im Moment läuft sehr viel falsch in diesem Land, es wird sehr viel auch von Lobbyisten, glaube ich auch, gerade gestaltet, und das sind Dinge, gegen die wir sind."

Der Versuch, durchaus ernst gemeinte Ziele durch humorvolle Mittel zu erreichen, hat Tradition. Schon die Spaßguerilla der 60er Jahre setze auf solche "subversiven Aktionen".

Auch Christoph Schlingensief hatte in den 90ern mit seiner Partei "Chance 2000" das Bestreben, echte gesellschaftliche Missstände anzuprangern, wie die Ausgrenzung von Minderheiten.

1999 zog in Berlin die KPD/RZ – was für "Kreuzberger Patriotischen Demokraten; Realistisches Zentrum" stand – in die BVV.

Seit je wird Spaßpolitikern wie der "Partei" von linker Seite der Vorwurf gemacht, auch eine konservierende Funktion zu haben. Sie zögen den politischen Protest auf die Humorebene, änderten so aber an den bestehenden Verhältnissen nichts. Forscher äußern dagegen eine ganz andere Vermutung.

Benedikt Porzelt
Universität Marburg

"Oder ist es so, dass über Spaßparteien oder Satire generell vor allem auch Politikinteresse erzeugt werden kann. Das bedeutet, werden da eventuell politisch uninteressierte Personen überhaupt erst für die Auseinandersetzung mit der Politik begeistert?“

Die Entwicklungen wie in Island und Italien zeigen, dass aus humorvollem Widerspruch durchaus eine Reformbewegung entstehen kann, wenn das Politikversagen zu groß wird.

Martin Sonneborn
Spitzenkandidat "Die Partei"

"Den Leuten in Reykjavik und Italien ging es natürlich wesentlich schlechter als den Leuten in Deutschland. Möglicherweise muss es auch hier eine Verschärfung der Zustände geben, bevor dann eine so genannte Spaßpartei das Ruder übernehmen darf. Aber ich glaube, dass wir mit einer Politik des gesunden Menschenverstandes, die sozial verankert ist, eine nicht schlechtere Politik machen würden als die, die gerade betrieben wird."

Beitrag von Helge Oelert