Bewohner von Kreuzberg (Quelle: rbb)
(Quelle: rbb)

- 1. Mai: Bürgersinn gegen Mai-Randale

My-Fest gegen Mai-Randale. Seit Jahren engagieren sich Kreuzberger Bürger gegen tumultartige Zustände in ihrem Kiez rund um den 1. Mai. Bürgersinn, der aufklären will ohne zu zerstören. KLARTEXT begleitet die „Macher“.

Straßenschlachten mit der Polizei, Krawalle und Ausschreitungen. Das gab’s schon häufiger in Deutschland. Zum Beispiel in Hamburg, in der besetzten Hafenstraße oder in Hannover bei den Chaos-Tagen. Und dann ist da ja noch Berlin. Der 1.Mai in Kreuzberg. Während es woanders längst ruhig geworden ist, feiern die Linksradikalen in der Hauptstadt sogar schon Jubiläum: 20 Jahre Krawalle in Kreuzberg. Auch gestern blieb es nicht friedlich. 43 Polizisten wurden verletzt, über 100 Randalierer festgenommen. Nur weil einige Leute glauben, Wurfgeschosse aus Steinen und Flaschen sind überzeugender als Worte. Ein Bericht von Ulrich Krätzer und Werner Kiefer.

Kreuzberg, 1. Mai, ein Uhr mittags. Das Myfest in vollem Gang. Halis Sönmez ist einer der Organisatoren. Er kümmert sich um die Verkaufsstände. Die Händler sind keine Profis, sondern Anwohner aus dem Kiez, die feiern und ein paar Euro verdienen wollen.

Das Myfest gibt es seit vier Jahren – ein Volksfest, aber anders, Kreuzberg eben - so, als wäre es schon immer hier gewesen.

Halis Sönmez wohnt seit den achtziger Jahren hier. Damals war alles anders:

Halis Sönmez
„Vor sechs Jahren war hier Krieg! Hier flogen Steine. Und davon haben die Leute einfach die Nase voll. Das gehört einfach den Anwohnern, das ist ihr Eigentum. Und sie nehmen das einfach in die Hand Und gehen einfach wieder auf die Straße und sagen: Es ist mein Platz.“

Anwohner vertreiben Krawallmacher. In den letzten Jahren hat das ganz gut funktioniert. Anfangs erhielt Halis Sönmez sogar Drohungen. Linksradikale Gewalttäter fanden: Das „Würstchenbudenfest“ gefährde die Tradition des 1. Mai als „revolutionären Kampftag“.

Ein paar Meter weiter, am Lausitzer Platz. Organisatoren und Teilnehmer stimmen sich auf die „Revolutionäre 1. Mai Demo“ ein.

„Karlo“, Mitveranstalter „Revolutionäre 1.-Mai-Demo“
„Heute sind wir vor allem auch hier, um den Herrschenden zu zeigen, dass wir gerade im Vorfeld des G8-Gipfles in Rostock mit dem Leben hier nicht zufrieden sind, dass wir mehr wollen, dass wir alles fordern, und das werden wir auch kraftvoll auf die Straße tragen.“

In den vergangenen Jahren gab es - meist nach den Demos – stets Flaschenwürfe, Steinwürfe, Krawalle. Diesmal soll es angeblich friedlich bleiben. Letzte Absprachen zwischen den Demo-Anmeldern, die das System stürzen wollen und denen, die es verteidigen müssen.

Polizei
„… da können Sie sich darauf verlassen, dass wir dann auch mit Augenmaß handeln.“

Augenmaß. Immerhin – verbale Deeskalation auf beiden Seiten. Dann geht’s los - im Zick-Zack-Kurs durch den Kreuzberger Kiez.

Höhepunkt in diesem Jahr: Am Abend soll der Zug quer durch das Myfest führen. Die Polizei hat die Route am Wochenende genehmigt. Auch die Veranstalter des Myfestes haben zugestimmt. Ein Zugeständnis an die selbst ernannten Revolutionäre.

Beim Myfest: Anspannung und Gelassenheit zugleich. Halis Sönmez und seine Mitstreiter hoffen, dass es keine Auseinandersetzungen gibt.

MyFest-Veranstalter
„Wir müssen die Demonstranten nett begrüßen, damit kein stress entsteht und dass alles friedlich verläuft.“
„Die sollen einfach hier vorbeigehen, rechts oder links, Hauptsache nicht die Bühnen kaputt machen.“


Halis und seine Jungs setzen auf Deeskalation. Früher gehörte Halis selbst zur Hausbesetzerszene, mit einigen Botschaften der Demonstranten kann er sich sogar identifizieren.

Demonstranten
„Hoch die antinationale Solidarität.“

Die Linksradikalensind bis jetzt ruhig geblieben. Aber auf Halis wartet schon die nächste Herausforderung. Einige Jugendliche können die ersten Steinwürfe offenbar kaum erwarten.

Jugendlicher
„Also, ich bleibe nicht friedlich.“
Halis Sönmez
„Warum bleibst Du nicht friedlich?“
Jugendlicher
„Naja…“
Halis Sönmez
„Hast Du nicht Angst, dass Du Leute verletzt?“
Jugendlicher
„Ey, ich wurde 25mal verhaftet.“
Halis Sönmez
„Ja, aber das ist doch kein Grund, hier das Fest kaputt zu machen.“
Jugendlicher
„Wir machen ja nicht das Fest kaputt. Wir machen ja die Bullen kaputt.“
Halis Sönmez
„Ha! Das ist doch aber gerad’ das Problematik.“
Jugendlicher
„Das ist heute unser Festtag der Vergeltung. Das ganze Jahr die Polizei fickt uns. Und diesen Tag wir ficken die Polizei.“

Wirklich beruhigen kann Halis die Jugendlichen nicht, Er kennt sie nicht, sie kommen nicht aus Kreuzberg.

Der Revolutionszug verlässt unterdessen das Myfest – friedlich. Die Demonstration zieht zur Schlusskundgebung. Einige Teilnehmer sind beim Myfest hängen geblieben.

Die Demonstrarions-Veranstalter sind trotzdem zufrieden, zum Schluss noch ein Schnellkurs in Sachen Politik.

Michael Kronawitter, Veranstalter „Revolutionäre 1.-Mai-Demo“
„Und dann hoffen wir, dass es in Berlin mal andere Zustände gibt, das Elend bekämpft wird, dass Armut bekämpft wird, dass Perspektivlosigkeit beendet wird, damit die Menschen gar keinen Grund mehr haben, sich durch Gewalt Gehör zu verschaffen. Das ist das, was Sie bestimmt auch wollen, nehme ich mal an.“
Polizist
„Wir wollen’s, aber bis dahin haben wir noch ein bisschen zu tun.“

Alles ganz harmonisch? Offenbar zu harmonisch. Bei der Schlusskundgebung heizt Mitveranstalter „Karlo“ noch mal ein.

„Karlo“, Mitveranstalter „Revolutionäre 1.-Mai-Demo“
„Wir sagen: Einen dicken Fickfinger für die Bullen in Kreuzberg! Für die Bullen in Istanbul. Für die Bullen überall auf der Welt. Fuck you all!“

Der Versuch die Massen aufzurütteln, bleibt erstmal erfolglos - statt Revolution und Randale: türkische Volkstänze.

Etwas abseits warten alkoholisierte Revolutionäre auf ihren ersten Einsatz.

Gegen halb elf ist es soweit: Flaschen fliegen, Steine fliegen, das übliche sinnlose Ritual. Immerhin: Heute beginnt die Randale zwei Stunden später und ist weniger intensiv als vor fünf Jahren. Damals, als es das Myfest noch nicht gab.

Halis Sönmez
„Je weniger Krawalle da sind, desto mehr Erfolg ist es. Also, ist ganz klar. Gegenüber früher hat man 8,9 Stunden gehabt, wo die Krawalle da waren.“

Doch trotz des Myfestes: Friedlich war es auch dieses Jahr nicht. 43 Beamte wurden verletzt.