Demo gegen Rechts (Quelle: rbb)
(Quelle: rbb)

- Rechtsextremismus in Rheinsberg - Hintergründe einer Anschlagsserie

Über einen verwüsteten Döner-Stand in Rheinsberg berichteten bereits häufig die Medien. Immer wieder wurde er von Unbekannten angezündet. Jetzt flogen in dem staatlich anerkannten Erholungsort Steine in die Läden ausländischer Geschäftsinhaber. Einzeltäter oder organisierte rechtsextreme Szene? Und wie verhält sich die Polizei vor Ort? Eine Spurensuche von Gabi Probst.

In Rheinsberg, liebe Zuschauer, geht’s bergauf. Der Tourismus boomt: Allein im vergangenen Jahr stieg die Zahl der Übernachtungen um fast 20 Prozent. Das Wasserschloss ist restauriert, die Häuser-Fassaden: frisch gestrichen. Die Rheinsberger wollen, dass ihr Städtchen sauber bleibt. Zum Beispiel die Wirtin vom „Alten Fritz“: Alle paar Wochen beseitigt sie mit Nagellackentferner die neuen NPD-Aufkleber an den Fenstern. Oder die Jugendlichen: Sie treffen sich in ihrer Freizeit, um hässliche Hakenkreuz-Schmierereien wegzutünchen. Trotz aller Anstrengungen: Die schöne Fassade der Stadt bekommt immer neue, tiefe Risse. Gabi Probst war in Rheinsberg, sie zeigt das andere Gesicht dieser Stadt.

Rheinsberg vor zwei Wochen. Die Stadt scheint zu schlafen. Im Neubaugebiet sitzen Jugendliche zwischen 16 und 20 Jahren beim Bier zusammen, irgendwann werden sie unternehmungslustig. Kurz nach 23 Uhr wird Cordula Jung von Lärm aus dem Schlaf gerissen. Unten im Haus fliegen Steine in den asiatischen Obst- und Gemüseladen. Sie ruft die Polizei.

Cordula Jung
“ Es hat mit einem Mal geknallt und gescheppert, es hat richtig gebebt oben, zwei Mal hinter einander, vor Angst. Wir wussten nicht, ob es auf dem Dachboden war oder draußen. Jedenfalls bin ich zu meiner Nachbarin gegangen und gefragt, ob sie mitkommt, alle raus und hatten eben gesehen, dass hier unter uns, der Laden, genauso eben gegenüber im Imbiss die Scheiben eingeschlagen wurden.“

Zwei andere Einwohner erkennen vom Fenster aus einen der Täter. Wenig später wird der 18jährige Rheinsberger, Marcus M. von der Polizei festgenommen. Gegen morgen bietet sich auch in einem Textilgeschäft und im China-Restaurant ein Bild der Zerstörung. Vier beschädigte Geschäfte in einer Nacht – alle gehören Ausländern! Die Polizei nimmt gegen Morgen drei weitere verdächtige Täter in Gewahrsam. Es sind die Freunde von Markus M., mit denen er vorher getrunken hat. Die Ordnungshüter vor Ort freuen sich über den Fahndungserfolg.

Frank Schiermeister, Leiter Polizeiwache Rheinsberg
“ Also ich denke mal, mit der Rheinsberger Polizei wird der Bürger im Allgemeinen zufrieden sein.“

Zustimmung auch in der Presse. Auf Anfragen hat die Rheinsberger Polizei auch gleich ein Motiv für die Tat: purer Vandalismus.

Für die ermittelnde Staatsanwaltschaft in Neuruppin nicht nachvollziehbar. Erstens seien alle Opfer ausschließlich Ausländer und zweitens seien die mutmaßlichen Täter aus der rechtsradikalen Szene polizeilich bekannt.

Gerd Schnittcher, Staatsanwaltschaft Neuruppin
„Hier hat sich doch sehr früh die Überzeugung eingestellt, dass es sich um rechtsextreme Taten handelt. Einige wenige Rechtsextreme in Rheinsberg verfolgen offenbar das Ziel, Ausländer zu vertreiben.“

Gestern, um sechs Uhr morgens. Kriminalbeamte einer Spezialeinheit stehen bei den vier mutmaßlichen Tätern vor der Tür. Hausdurchsuchung zum Beispiel auch bei Christian S., 17 Jahre. Was bei ihm und den anderen gefunden wird, bestätigt die These der Staatsanwaltschaft. Nicht nur „purer Vandalismus“, sondern rechtsradikaler Extremismus ist das Motiv.

KLARTEXT
„Wie kommt ihr Kollege dazu in der Presse verlauten zu lassen, dass es sich nur um Vandalismus handle?“
Frank Schiermeister, Leiter Polizeiwache Rheinsberg
„Ja ,das ist falsch niedergeschrieben worden, das kann ich Ihnen sagen.“

Ist in Rheinsberg alles in Ordnung? Die Verharmlosung wirklich nur ein Irrtum der Presse? Die Chinesin Lingli Yin betreibt mit ihrer Familie seit eineinhalb Jahren ihr Restaurant. Der jetzige Anschlag ist bislang der Gipfel von Anfeindungen der Rechtsradikalen. Gartenstühle in Tausend Teile zerlegt, Flaschen vor die Tür geworfen, Müll- und Ölfässer umgekippt, ja sogar das Namensschild an ihrer Wohnung schon mehrfach zerstört! Zweimal ist sie zur Polizei gerannt, einmal sofort, weil sogar Hitlermusik vor dem Restaurant gespielt wurde.

Lingli Yin
„Wo sie hier getrunken haben und auch von Hitlers Zeiten so Parolen losgelassen haben. Die hatten auch einen Recorder mit dabei. Und es mir schon ein bisschen mulmig und deshalb bin ich zur Polizei gegangen.“
KLARTEXT
„Und was hat die Polizei dann gemacht?“
Lingli Yin
„Na die sind hier mal vorbei und haben die Personalien aufgenommen und den vom Platz weg gewiesen. Mehr haben sie nicht.“

Die Polizei soll weder die Musik beschlagnahmt noch Ermittlungen eingeleitet haben. Doch das wird bestritten. Was die Polizei wirklich unternahm, kann sie nicht sagen.

Frank Schiermeister, Leiter Polizeiwache Rheinsberg
„Nee.“
KLARTEXT
„Da muss es doch einen Vorgang geben?“
Frank Schiermeister, Leiter Polizeiwache Rheinsberg
„Nee. Der ist nicht mehr hier.“
KLARTEXT
„Wo soll der sein?“
Frank Schiermeister, Leiter Polizeiwache Rheinsberg
„Na, der ist mit Sicherheit bei der Staatsanwaltschaft.“

Doch bei der Staatsanwaltschaft ist dieser Vorgang nie angekommen.

KLARTEXT
„Das kann man doch nicht einfach so stehen lassen?“
Gerd Schnittcher, Staatsanwaltschaft Neuruppin
„Nein, nein, das werden wir aufgreifen.“

Die hier demolierte Fensterscheibe hat zwar der Vermieter bezahlt, aber Herr Dinh will, so schnell es geht, wegziehen. Obwohl die meisten Rheinsberger – wie er sagt – nett zu ihm sind, hat er einfach Angst um seine Familie. Parolen wie „Scheiß Ausländer“ oder ein zerstörtes Auto kann er nicht mehr ertragen. Auf die Polizei vertraut er nicht mehr.

Cham Nguyen
„Ja, habe ich Anzeige gemacht, aber finden sie auch nicht, wollen sie auch nicht.“
KLARTEXT
„Sie glauben, die Polizei will die gar nicht finden?“
Cham Nguyen
„Ja.“

Ein harter Vorwurf! Im Obst- und Gemüseladen von Herrn Than erfahren wir, wie die Deutschen die örtliche Polizei wahrnehmen.

Frauen
„Nein, die tun gar nichts.“
„Würd’ ich auch sagen.“
„Nein. Die warten auf ihren Feierabend und fertig.“

KLARTEXT
„Das erzählt man sich hier in der Stadt?“
Frauen
„Ja.“

Der Türke Mehmet Cimendag will bleiben. 2005 wurde sein erster Dönerstand ganz nieder gebrannt. Jetzt hat er einen neuen, zwar auch schon wieder demoliert, aber
viele Rheinsberger zeigten damals Flagge und haben dafür gespendet. Die Täter von damals sind bis heute nicht ermittelt. Nach KLARTEXT-Recherchen besteht ein Zusammenhang zwischen den Anschlägen von damals und heute. Beispiel Christian S., bei dem gestern die Hausdurchsuchung war. Wir finden erstmals einen Zeugen, dem gegenüber er den Brandanschlag zugegeben hat.

Zeuge
„Ich habe halt gesagt, dass es doch sehr wenig Sinn hatte, die anzuzünden, weil er hat halt viele Spenden bekommen, der Mehmet, und baut den jetzt wieder auf und wird wieder alles wieder toll und schick und hab es im Endeffekt, hat er mehr davon als früher. Und daraufhin hat dann der gesagt, ja hätten wir das vorher gewusst, hätten wir es auch nicht gemacht.“

Eine brauchbare Zeugenaussage, oder? Aber zurück zu der Zerstörung der ausländischen Geschäfte. Wie unsere Recherchen ergaben, scheint der Fahndungserfolg der Polizei wohl eher dem Zufall geschuldet. Als Markus M. von Bürgern erkannt und daraufhin festgenommen wird, gehen die anderen mutmaßlichen Täter direkt in die Polizeiwache. Hier brüllen sie lauthals, dass sie ihren Kumpel befreien wollen. Die Polizei schickt die Jugendlichen aber einfach nach Hause. Linda ist die Freundin eines Tatverdächtigen und war dabei.

Linda
„Ja, dann wollten wir wieder zurückgehen und denn sind halt die anderen Polizisten gekommen, die in der Stadt rum gefahren sind, wollten unsere Personalien haben und dann sollten wir mit.“

KLARTEXT
„Aber dann hätte man sie doch gleich festhalten müssen?“
Frank Schiermeister, Leiter Polizeiwache Rheinsberg
„Ja, das hat man ja auch versucht, ging ja nicht.“

Es ginge schon. Nur bei der Rheinsberger Polizei scheint so einiges nicht zu gehen.

Gabi Probst und ihr Team wurden bei ihren Recherchen bedroht: „Ihr lebt hier gefährlich“, bekamen die Kollegen in einer Kneipe zu hören. Dass sich in diesem Lokal die hart gesottene rechte Szene trifft, ist der Polizei noch nicht einmal bekannt. Schöne Ermittler…