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Neubau in Berlin | Bild: rbb

- Terror gegen Nachbarn: Neubauprojekte im Visier von Linksextremen

Bezahlbares Wohneigentum in der Innenstadt ist für viele Normalverdiener noch immer ein unerfüllbarer Traum. Einen Ausweg bieten die so genannten Baugruppen, die bezahlbar und gemeinsam auf Brachflächen Neubauten errichten. Doch dabei stoßen sie auf heftigen Widerstand linksautonomer Gruppen, die versuchen, die Bauherren zu vertreiben.

Wer wünscht sich das nicht: Bezahlbares Wohneigentum in der Innenstadt? Immer mehr Familien machen diesen Traum wahr und schließen sich zu so genannten Baugruppen zusammen. Sie erwerben gemeinsam eine Brachfläche und bauen sich ein Mehrfamilienhaus. Das spart Geld und lässt gewinnorientierte Bau-Investoren außen vor. Eigentlich eine feine Sache. Wenn da nicht Nachbarn wären, die sie mit Gewalt vertreiben wollen. Benedict Maria Mülder und Max Thomas Mehr mit Einzelheiten.

Kreutziger Straße 20 in Friedrichshain. Ein schöner Neubau. Neun Parteien haben sich hier gemeinsam den Traum von der eigenen Wohnung erfüllt, ohne Subventionen durch den Staat. Baugruppe nennen sie sich.

Und so sah es hier 2007 aus, ein verwildertes Areal. Die Nachbarn, erst Hausbesetzer, dann Genossenschaftler nutzten das Grundstück als Garten. Die Linksautonomen machten von Anfang an keinen Hehl aus ihrer Abneigung. Sie wollten keinen Neubau, alles sollte bleiben wie es war. Unbekannte zerschnitten Bremsleitungen an Baufahrzeugen, warfen Scheiben ein.

Gute Nachbarschaft sieht anders aus, meint Sebastian Brandt von der Baugruppe.

Sebastian Brandt, Baugruppe Kreutziger Straße
„Ganz zu Anfang haben wir versucht, einen Dialog aufzunehmen mit den Leuten. Aber es war sehr fruchtlos. Also meistens hieß es einfach: Ihr baut hier nicht. Und wir haben gesagt: Wir bauen wohl. Da ham die gesagt: Nee, datt wolln wa mal sehen. Und dann haben wir gesagt: Das werdet ihr mal sehen. Aber eine inhaltliche Debatte, warum sie uns hier ablehnen, fanden die meisten dann, glaub ich, unnötig.“

Von wegen Debatte. Es kam noch schlimmer. Zur Einweihungsparty Silvester vor einem Jahr gab es von nebenan einen rücksichtslosen Angriff.

Frau Schmickl war um Mitternacht Gast auf der Dachterrasse:

Frauke Schmickl
„Es krachte. Menschen schrien. Da wurde mir erst klar, dass sie in die Menge schossen. Und ich drehte mich um und sah, etwas sehr schnell auf mich zu fliegen und dann traf mich auch schon was direkt im Gesicht, und ich fiel dann zu Boden. Ich wusste erst gar nicht, was passiert war, ich spürte nur Blut und verlor dann das Bewusstsein.“

Eine Silvesterrakete hatte das rechte Auge schwer verletzt.

Frauke Schmickl
„Das Erschreckende war, es waren sehr viele Menschen auf dem Dach; es waren auch Kinder auf dem Dach. Es wurden einige getroffen auf diesem Dach, und es war den Leuten offenbar ganz egal.“

Vor allem Baugruppen sind im Visier der Kritiker neben kommerziellen Investoren. Allein 70 politisch motivierte Anschläge auf Baustellen wurden vor allem in Kreuzberg-Friedrichshain, Treptow und Mitte 2009 von der Polizei registriert.

Für viele unverständlich die Angriffe auf Baugruppen. Leben sie doch, im Unterschied zu den meisten nur am Profit interessierten Investoren, selbst in den Häusern, die sie bauen, so Architekt Christian Schöningh.

Christian Schöningh, Netzwerk Berliner Baugruppen Architekten
„Den Unterschied machen wir zum Bauträger, der ein Grundstück hat, viel Geld hat, das auf den Haufen wirft und aus Geld Steine macht und die dann verkauft. Das ist ein erheblicher Unterschied. Wir fangen an mit den unterschiedlichen Bedürfnissen und Wünschen der Einzelnen und versuchen sie unter einen Hut bzw. unter ein Dach zu bringen.“

Für Linksautonome alles nur Yuppies. Doch wer ist für die Anschläge auf Baugruppen verantwortlich? Wir haben uns auf die Suche gemacht, doch niemand wollte vor die Kamera. In der Wagenburg an der Lohmühle in Treptow treffen wir Jürgen Hans. Er hat Verständnis für die Gegner der Baugruppen, auch wenn er Gewalt ablehnt.

Jürgen Hans, Wagenburg Lohmühle
„Das hat damit zu tun, dass hier im Kiez zur Zeit sechs Baugruppen bauen und das sind 160 Eigentumswohnungen, die entstehen, und da gibt es die Befürchtungen, dass der Kiez aufgewertet wird, dass die Mieten steigen und gerade bei der einkommensschwachen Bevölkerung entsteht der Eindruck, dass sie den Kiez verlassen muss.“

Doch von Verdrängung kann hier keine Rede sein. Auf dem ehemaligen Gelände eines libanesischen Autohändlers entstehen die Rohbauten zweier anderer Baugruppen. 55 Erwachsene und 36 Kinder wollen hier einmal einziehen. Direkt gegenüber der Wagenburg.

Zitat:
„Wir sind eine Gruppe von Menschen aus der näheren Umgebung, die sich zusammengetan hat, um ein privates Grundstück zu bebauen“, schreiben die zukünftigen Bewohner. Architekt Christian Schöningh, selbst Initiator eines Baugruppen-Projektes in Berlin-Mitte, weist auch den Vorwurf zurück, Mietsteigerungen zu verursachen.

Christian Schöningh, Netzwerk Berliner Baugruppen Architekten
„Wir stellen heute fest, dass mal ganz grob geschätzt die Hälfte derer, die heute hier wohnen, wahrscheinlich, hier einen Katzensprung vom Hackeschen Markt entfernt, die Mieten, wo die sich hin entwickelt haben, nicht bezahlen könnten, wenn wir das damals nicht auf eigene Rechnung und Kappe so gemacht hätten.“

Doch so genau wollen es die Baugruppen-Gegner offenbar gar nicht wissen. Für sie sind die Neubaupioniere im Kiez üble Verdränger, Miettreiber oder sogar Heuschrecken – kurz, sie handeln wie ein Hedge-Fonds, so ein Flugblatt. Vor kurzem schildern sie in einem Bekennerschreiben detailliert , wie sie die Stromversorgung der Lohmühlen-Baustelle für die angeblichen „Luxuswohnungen“ lahmgelegt haben.

Für die Gewalttäter sind Baugruppen offenbar ein leichtes Ziel.

Christian Schöningh, Netzwerk Berliner Baugruppen Architekten
„Diese Baugruppen sind vor Ort, die sind adressierbar, die sind persönlich da, die stellen sich der Debatte und auch den Anfeindungen und sind von daher vielleicht ein einfacheres Ziel als irgendein Investor oder Finanzinvestor, der im Karl-Kunger-Kiez 500 Wohnungen kauft, der sitzt in Frankfurt am Main oder in New York oder so. Dagegen kann man auch wettern, aber dagegen kann man nicht so gut angreifen wie einer der wirklich vor Ort ist und auch in Zukunft vor Ort sein wird.“

Rückblende. Berlin in den 80er Jahren. Hunderte leer stehende Wohnungen und Häuser wurden damals besetzt. Die Parole: Die Häuser denen, die drin wohnen. Auf diese Tradition berufen sich auch heute noch die Hausbesetzer. Doch für die Baugruppen soll offenbar nicht mehr gelten, was damals angesagt war, statt Staatsknete Selbsthilfe und Eigeninitiative.

Christian Schöningh, Netzwerk Berliner Baugruppen Architekten
„Neubau gehört auch zu einer Instandhaltung in einem größeren Maßstab. Also ne Stadt, die nicht neu baut, das ist so wie ein Altbau, in dem man keine Balken auswechselt, die faul geworden sind.“

Der Neubau steht. Doch erst jetzt kommt es in der Kreutzinger-Straße zwischen den Vertretern der Baugruppe und einem Nachbarn zu direkten Kontakten. Auf eine Entschuldigung für die Attacken der Vergangenheit warten sie bis heute jedoch vergeblich.

Beitrag von Max Thomas Mehr und Benedict Maria Mülder