Rollstuhlfahrer (Quelle: rbb)
(Quelle: rbb)

- Vorbereitet - Rückkehr im Rollstuhl

1996 wurde der britisch-jamaikanische Bauarbeiter Noel Martin in Mahlow Opfer eines rechtsextremen Anschlags. Seitdem ist er vom Halswirbel an querschnittsgelähmt. Rund um die Uhr muss er von Pflegekräften versorgt werden.
Fünf Jahre nach der Tat kehrt Noel Martin am 16. Juni nach Mahlow zurück. An den Ort, der sein Leben zerstörte. Er will auf sein Schicksal aufmerksam machen. Inzwischen haben Brandenburger Initiativen für diesen Tag zu einer Kundgebung gegen Fremdenfeindlichkeit und für Toleranz aufgerufen.

Kamera: Joachim Thimm
Schnitt: Boris Gelhaar

Birmingham. Großbritannien. Ein Mann im Rollstuhl. Sein Körper ist eine Hülle, die vom Hals abwärts unbeweglich ist. Der Mann ist 41 Jahre alt und heisst Noel Martin. Er fühlt nichts, keine Kälte, keine Wärme, keinen Hunger. Er kann nur weiterleben, wenn die nötigsten Dinge für ihn getan werden. Füttern, waschen, abends ins Bett legen, morgens herausgehoben werden. Er hat einen Wunsch - er will noch einmal an den Ort zurück, an dem man - wie er selbst sagt, sein Leben beendet hat.

Brandenburg. Ein Jugendclub in dem Ort, den Noel Martin in Kürze besuchen will.

O-Töne Jugendliche
Also meinen Eltern ist das egal. Und soviel liegt mir auch nicht daran, wenn ich ehrlich bin.
Ich habe soweit noch gar nichts davon gehört, doch, das ist echt so.
Zulange her ist es nicht, aber es wurde halt totgeschwiegen, meiner Meinung nach. Ich habe davon, also, als es passiert ist, wusste ich davon noch überhaupt nichts.


Die Vorbereitungen für den Besuch laufen auf Hochtouren. Aus Noel Martins privatem Wunsch, nocheinmal hierher zurückzukehren, wird nun ein Medienereignis mit offiziellem Charakter werden. Es finden Kundgebungen, Politikergespräche, Konzerte und ein Sternmarsch statt, alles minutiös geplant.

O-Ton Wolfram Meyer zu Uptrup, Aktionsbündnis gegen Gewalt, Rechtsextremismus und Fremdenfeindlichkeit
Hier kommt Noel Martin dann entlang mit seinem Zug und biegt hier in die Bahnhofsstrasse ein. Hier ist der Bahnhofsvorplatz, dort ist das Bahnhofsgebäude. Auf dem Bahnhofsvorplatz wird seitlich hier eine Bühne stehen.
Wir wissen, dass wir das machen wollen und machen müssen. Und wir hoffen eben, dass das auch alles gut über die Bühne geht und wir das auch finanzieren können.


Geblieben ist bisher nur wenig von dem rechtsradikalen Anschlag vor fünf Jahren. Der Imageschaden, unter dem Mahlow seitdem leidet, ein unauffälliger Tatort, den nur wenige kennen und zwei Urteile. Das eine bestraft die beiden Täter. Sandro R. und Mario P., damals 17 und 24 Jahre alt, werden zu fünf und acht Jahren Gefängnis verurteilt. Sie hatten mit einem gestohlenen Wagen das Auto Noel Martins verfolgt. Ein Feldstein, den sie bei voller Fahrt durchs Seitenfenster warfen, führte dazu, dass der Brite gegen einen Baum fuhr und seitdem querschnittsgelähmt ist. Der jüngere der beiden wurde im Herbst 99 aus der Haft entlassen.

Das zweite, das zivilrechtliche Urteil, gefällt 4 Jahre nach der Tat, spricht Noel Martin 500.000 Mark Schmerzensgeld und eine monatliche Rente von 1000 Mark zu. Doch zahlen können die Täter nicht.

Birmingham. Das Geld, mit dem Noel Martin sein Leben seit dem Anschlag finanziert, bekommt er vom Land Brandenburg. Da das englische Gesundheitssystem für die Kosten seiner Pflege nicht aufkommt, erhält der Brite monatlich 5076 Mark aus dem Opferentschädigungsfond plus die Kosten für zwei Pfleger. Pro Monat macht das mindestens 11.000 Mark, genaue Zahlen werden aus Datenschutzgründen nicht genannt. Dennoch: Selbst diese Summe wird auf Dauer nicht reichen, um in seinem Zustand einigermassen normal zu leben. Noel Martins Anwalt beziffert allein die Kosten für die Pfleger auf 30.000 Mark monatlich. Hinzu kommt, dass das Land Brandenburg für den behindertengerechten Umbau des Hauses bezahlen muss. Ausgaben, die, am falschen Ort genannt, auch Unmut erzeugen können, betont der Anwalt. Trotzdem:

O-Ton Volker Ratzmann, Rechtsanwalt Noel Martins
Es klingt brutal und es klingt vielleicht auch irgendwie vermessen, aber dieser Rechtsradikalismus kostet Geld. Den müssen, dafür müssen alle gerade stehen. Und solange sich das Land Brandenburg den leistet, muss die Bevölkerung trotz der schlechten wirtschaftlichen Lage natürlich dafür aufkommen.

Brandenburg. Inzwischen sind mindestens ein Dutzend Gruppen und Initiativen dabei, die kurze Rückkehr Noel Martins nach Mahlow mit vorzubereiten. Ziel ist überall, der Öffentlichkeit ein tolerantes Brandenburg zu präsentieren, dabei werden - wie von diesen Jugendlichen - auch eigene, kritische Akzente gesetzt.

O-Ton Christian Baumgarten, Jungdemokraten/Junge Linke
Die Inhalte sind zur Zeit etwas schwach vertreten auf der Demonstration bisher geht man dort nur spazieren mit Noel Martin und das ist eindeutig zu wenig. Also wir versuchen wirklich, Flüchtlinge ranzuholen und antifaschistische Gruppen, dass die so ein bisschen darauf aufmerksam machen, wie eigentlich die Politik in diesem Land läuft.“

Die Ausländerbeauftragte Brandenburgs dagegen will sich ihre Politik und den Tag des Noel Martin-Besuches nicht kleinreden lassen.

O-Ton Almuth Berger, Ausländerbeauftragte Brandenburg
/i>Wissen sie, diese Gefahr besteht natürlich immer, ich kann eine Demonstration, eine symbolhafte Handlung immer als ein Alibi hinstellen, wenn ich das will. Ich denke, es wird wichtig sein, dass viele Menschen damit erreicht werden und ich vertraue auch auf die Ausstrahlung von Noel Martin.

Dieser sagte gestern am Telefon, dass er sehr gespannt sei, wie man ihn empfangen wird. Ob und wie er all die Veranstaltungen jedoch gesundheitlich überstehen wird, weiss er noch nicht.