(Quelle: rbb)

- Einkaufen im Rollstuhl: Schluss mit der Diskriminierung!

Wer im Rollstuhl einkaufen fährt, muss sich in Berlin noch immer als Behinderter fühlen: sei es in der U-Bahn ohne Fahrstuhl, sei es am Geldautomaten, dessen Tastatur für Rollstuhlfahrer unerreichbar ist, sei es im engen Kaufhaus.

Gerda Kosmehl sitzt seit drei Jahren im Rollstuhl. Heute will die Rentnerin in der Innenstadt von Bernau neue Schuhe kaufen. Gerne würde sie sich das Angebot selbst ansehen, doch mit ihrem Rollstuhl hat sie keine Chance. Sie muss draußen bleiben und vor den Stufen des Geschäfts warten. Ihre Betreuerin bringt ihr neue Schuhe. Anprobe auf der Straße. Besonders jetzt im Winter kein Vergnügen.

Gerda Kosmehl
„Das ist irgendwie deprimierend, wenn man vor dem Laden Schuhe kaufen muss.“

Verkäuferin
„ Wir sind auch nicht glücklich mit der Lösung, aber ich weiß im Moment nichts anderes."
"Über eine Rollstuhlrampe – haben Sie aber noch nicht nachgedacht?“
„Haben wir noch nicht darüber nachgedacht, nein….“


So ergeht es Gerda Kosmehl vor vielen Läden in ihrer Stadt. Dabei wäre das Problem oft schon mit einer kleinen mobilen Rampe gelöst. Wie vor diesem Bekleidungsgeschäft. Dreimal haben die beiden Frauen die Inhaberin schon darum gebeten. Uns verweigert sie ein Interview. Sie schiebt die Schuld auf den Vermieter.

Gerda Kosmehl
"Für mich ist das eine Ausrede. Damit wir ganz schnell wieder aus dem Laden rauskommen, damit sie gar nichts weiter dazu sagen muss, gar nicht Stellung beziehen muss. Die war richtig geschockt, dass wir rein gekommen sind.“

Gerda Kosmehl und andere Rollstuhlfahrer in Bernau fühlen sich auch vom Bürgermeister im Stich gelassen. Der verweist zwar stolz auf den Behindertenaufzug im Rathaus. Bei privaten Bauten aber:

Hubert Handke (CDU) , Bürgermeister Bernau
„Da habe ich nicht die Möglichkeit, den Geschäftsinhaber zu zwingen oder zu verpflichten, dies zu tun. Ich kann ihn bitten, genauso wie die Dame oder der Herr, der das Geschäft erreichen will. Das können wir machen, das haben wir auch schon gemacht, aber dann gibt es natürlich auch Grenzen.“

Auch Berlin ist kein Einkaufsparadies für Rollstuhlfahrer. Johanna Fabian wohnt am Tierpark im Stadtteil Friedrichsfelde. In das neue Einkaufszentrum kommt sie zwar rein. Doch in einigen Geschäften bekommt sie Platzangst.

Alltag einer Rollstuhlfahrerin. Mühevoll zwängt sie sich durch die Gänge, oder vorbei an Kartons mit neuer Ware. Jede Kurve wird zu einem komplizierten Wendemanöver.

Johanna Fabian
„Man muss ja immer aufpassen, dass man rechts und links nichts rumreißt, kann gar nicht mal die Artikel, die man eigentlich haben will, kann man gar nicht begucken. Und dann kommt man schlecht um die Kurve, kommt man mit dem Rollstuhl, hängt man irgendwo an. Also das macht schon nicht so viel Spaß.“

Einige Läden in ihrer Straße hat Johanna Fabian noch nie von innen gesehen, obwohl sie eigentlich eine Rampe haben. Aber die ist so steil, dass die Auffahrt für sie zu gefährlich ist.

Johanna Fabian möchte ins Kaufhaus am Alexanderplatz fahren. Die U-Bahn-Station ist direkt vor ihrer Haustür. Doch Behindertenaufzüge gibt es auch hier nicht. So muss sie mit dem Bus zum Bahnhof Lichtenberg und dann in die S-Bahn umsteigen. Eine dreiviertel Stunde ist sie unterwegs. Mit der U-Bahn dauert es 20 Minuten.

Im Kaufhof will Johanna Fabian eine neue Tasche aussuchen. Aber der Einkauf wird für sie zu einem Hindernislauf.

Johanna Fabian
„Man kriegt ja schon Komplexe und Beklemmungen, damit man nichts beschädigt und nichts runterreißt. Es ist schon anstrengend. Das ist nicht einfach.“
"Was würden Sie sich denn wünschen?"
"Dass das alles breiter ist, dass man alles mit dem Rollstuhl befahren kann, gemütlich einkaufen kann in Ruhe.“


Vergebliche Anprobe einer neuen Jacke. Als Kundin fühlt sie sich benachteiligt.

Detlef Steffens, Geschäftsführer Kaufhof Alexanderplatz
„Das kann ich nicht abstreiten. Wobei die Gänge bei uns sehr breit sind zwischen den Abteilungen, aber an den Abteilungen ist es gerade hier im Konfektionsbereich schon eng. Das müssen wir zugeben, ja.
"Und Sie wollen das ändern?"
"Das wird auf jeden Fall geändert, ab April dieses Jahres geht's los, da bauen wir um und wir verdoppeln fast die Fläche, damit wir auch überall ran können.“


Der Berliner Behindertenbeauftragte kennt die Sorgen der Rollstuhlfahrer aus eigener Erfahrung. Er wünscht sich eine bessere Kontrolle der gesetzlichen Vorschriften. Denn in Berlin müssen Neubauten barrierefrei für Behinderte sein. Sogar eine Norm für die Gänge in öffentlich zugänglichen Gebäuden gibt es.

Martin Marquardt, Landesbehindertenbeauftragter
„Ein Gang darf nicht schmaler als neunzig Zentimeter sein. Oder eine Wendefläche muss 1.50-mal 1.50 Bewegungsfläche bringen. Nur, wie kontrolliert man so was. Und das ist eben dann das Schwierige. Wenn der Geschäftsmann eine Auslage hat, die er dort aufbauen möchte, dann kann das durchaus sein, dass diese Maße nicht eingehalten werden.“

Johanna Fabian will Geld am Automaten abholen. Mit ihrem gelähmten Arm kann sie ihre Geldkarte nicht eingeben. Fährt sie seitlich heran, kann sie zwar die Tastatur erreichen, aber jeder kann sehen, wie sie ihre Geheimnummer eintippt. Die Sparkasse bezeichnet die Automaten als behindertengerecht.

Andreas Teinze, Fililialleiter Berliner Sparkasse (Friedrichstraße)
„Wir erleben es erst dann, wenn es ein Problem wird, wenn die Kunden uns darauf ansprechen: ich komm nicht dran. Nun hat jeder Behinderte natürlich auch einen ganz anderen Aktionsradius. Wir haben die Automaten etwas tiefer gesetzt, die sind relativ tief. Aber wie wir sehen hat diese Tiefe den Nachteil, dass man eventuell die Geheimzahl ausspähen kann. So gesehen müssen wir da noch ein bisschen schauen, dass wir da noch was dran verändern können.“

Ein Geldautomat speziell für Rollstuhlfahrer wäre die Lösung. Den sucht Johanna Fabian in Berlin vergeblich. Er würde ihr in dieser Filiale auch wenig nützen, weil sie mal wieder die Stufen nicht überwinden kann.