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Tafel in Marzahn-Hellersdorf | Bild: rbb

- Hartz-IV-Land - Eine Reportage aus Marzahn-Hellersdorf

Während die einen über die Höhe der Hartz-IV-Sätze streiten, richten sich die anderen in der Hartz-IV-Welt ein. Hartz-IV, das heißt auch, Leben leben zwischen unerfüllbaren Träumen und Mitnehmen, was geht.

Einen Monat ist es her, dass der Bundesgerichtshof in Karlsruhe die Berechnung der Hartz-IV-Regelsätze als verfassungswidrig verurteilt hat. Seitdem wird viel darüber gestritten, ob man von Hartz IV menschenwürdig leben kann und ob sich arbeiten für viele überhaupt noch lohnt. Und: Was meinen Sie? Wir haben herausgefunden: Für viele spielt die Erhöhung der Regelsatz keine große Rolle. Wie Iris Marx‘ Reportage aus Berlin zeigt.

Berlin Marzahn-Hellersdorf. Hinter den frisch renovierten Fassaden wohnen mehr als 50 000 Menschen, die von Hartz IV leben. Menschen, über die in den letzten Wochen viel diskutiert wurde. Wir wollen einige von ihnen zu Wort kommen lassen, wollen wissen, was sie sich ganz persönlich wünschen und wie sie mit ihrem Leben zurechtkommen.

Wir besuchen Peggy und ihre Mutter Renate im Ortsteil Kaulsdorf. Die 25-Jährige ist bereits dreifache Mutter. Gleich nach ihrem Schulabschluss hatte sich Peggy ständig um einen Ausbildungsplatz bemüht.

Peggy
„Ich habe gesucht ohne Ende und habe nichts bekommen. Jobcenter hat mich nicht unterstützt. Mit 17, 18 war ich in der Sozialfalle drin.“

Peggy bemüht sich immer wieder, von der staatlichen Unterstützung loszukommen Schließlich bekommt sie mit 23 eine Ausbildung bei der Bahn als Kauffrau für Verkehrsservice. Aber leider wird sie danach nicht übernommen. Das heißt die junge Mutter wird wieder arbeitslos, bekommt Hartz IV.

Ihr Frust ist groß.

KLARTEXT
„Wofür haben Sie denn dann die Ausbildung gemacht?“
Peggy
„Dafür, dass ich jetzt weiter betteln kann und Almosen sammeln, wie man so schön sagt.“

Betteln und Almosen? Auf den ersten Blick fehlt es in ihrer Vier--Zimmer-Wohnung an nichts: DVD-Player, Fernseher, Mikrowelle – alles vorhanden. Trotzdem wünscht sich Peggy einen richtigen Job. Aber sie hat Ansprüche.

KLARTEXT
„Wie muss der Job sein?
Peggy
„So, dass ich davon leben kann, dass ich vom Jobcenter raus bin.“
KLARTEXT
„Wie viel muss das sein?“
Peggy
„1500!“
KLARTEXT
„Netto?“
Peggy
„Ja!“

1500 Euro netto. Das ist inklusive Kindergeld in ihrem Beruf als Kauffrau für Verkehrsservice nicht unmöglich. Mehr als sie jetzt als Hartz-IV-Empfängerin bekommt, ist das aber nicht.

Auch Peggys Mutter Renate lebt von Hartz IV. Auch sie hat Schwierigkeiten, einen Job zu finden.

KLARTEXT
„Was haben Sie denn gelernt?“
Renate
„Gar nix.“
KLARTEXT
„Aber früher hat das mit den Jobs geklappt?“
Renate
„Ja, zu DDR-Zeit hat das geklappt.“

Seit Jahren bemüht sich die 55-Jährige um Arbeit. Damit sie mit ihrem Hartz IV Geld besser auskommt, geht sie regelmäßig zur Tafel – eine Essensausgabe der Kirche für Bedürftige. Damit hat sie sich einigermaßen eingerichtet.

Lohnt sich arbeiten für sie?

Renate
„Man muss sehen, wo man mehr kriegt. So 400 Euro, da braucht man nicht mehr aufstehen.“
KLARTEXT
„Hilft Ihnen das Jobcenter?“
Renate
„Ne, glaub ich nicht. Man muss sich selbst bewerben.“

Wünscht sie sich mehr Hartz-IV?

Renate
„Ja. Ich würde mich aber auch freuen, wenn ich eine richtige Stelle kriege würde mit vernünftigen Kollegen.“

Eine richtige Stelle mit vernünftigen Kollegen. Das wollen viele hier, aber nicht alle.

Wir treffen den 34-Jährigen Mirko ebenfalls bei der Tafel. Auch er holt sich hier gespendete Lebensmittel für wenige Euro. Er klagt über sein Schicksal und sagt uns, dass er nicht arbeiten kann. Seine Gründe:

Mirko
„Gesundheitliche Gründe.“
KLARTEXT
„Was haben Sie denn?“
Mirko
„Knie kaputt, Ellbogen kaputt.“

Zwei Tage später treffen wir Mirko wieder. Diesmal trägt er einen Blaumann. Er kommt gerade von der Arbeit, von der Schwarzarbeit.

Er verdiene so einfach mehr als auf legalem Wege, gesteht er uns.

Mirko
„So lebe ich besser, als wenn ich irgendwo arbeiten gehe. Und wegen meiner Knie-OP können die mir auch nicht an die Karre pissen. Das wird so weiterlaufen, bis ich irgendwann mal Rente kriege – wenn überhaupt. Ändern werde ich daran nichts. Ich werde das durchziehen, so lange es geht. So lange ich arbeiten kann, werde ich das durchziehen. Solange das Jobcenter mitspielt – sprich zahlt. Meine Miete zahlt beziehungsweise überzahlt – wird sich daran überhaupt nichts ändern.“

Mirko ist gelernter Maurer und Fahrzeuglackierer. Doch Arbeitsangebote des Jobcenters weiß er abzuwehren:

Mirko
„Dann ruf ich meine Hausärztin an. Ich brauch nicht mal hingehen. Wenn ich Brief versäume, dann ruf ich meine Hausärztin an und sage: Schreib mich mal rückwirkend krank. Das geht. Da brauch ich gar nichts sagen, da bin ich ganz ehrlich.“
KLARTEXT
„Würden Sie sagen, dass Sie hier ein Einzelfall sind, oder...
Mirko
„...Ne. Das ist hier richtig geballt.“

Mirko wohnt eigentlich bei seiner Lebensgefährtin – hier im Bild in der hellen Jacke - trotzdem bezahlt ihm das Jobcenter eine eigene Unterkunft und den vollen Regelsatz.

Mirko
„Das andere Ding ist nur eine Postadresse. Wenn die das so haben wollen und bezahlen.“

Warum zieht er nicht offiziell zu seiner Freundin?

Mirko
„Weil ich denn noch weniger Hartz IV bekommen. Weil das als eheähnliche Gemeinschaft gilt.“

Eine Praxis, die üblich sei. Der Kumpel, den er hier im Bild begrüßt, macht es ähnlich. Daneben steht die Tochter seiner Lebensgefährtin: 17 Jahre, im neunten Monat schwanger, kein Schulabschluss.

Ein schlechtes Gewissen hat Mirko nicht:

Mirko
„Warum sollte ich da ein schlechtes Gewissen haben. Es gibt genug Steuerzahler, wo die Steuern da hinwandern, wo sie nicht hingehören. Da habe ich kein schlechtes Gewissen.“

Einen höherer Hartz-IV-Satz, wie ihn jetzt viele Politiker fordern, würde er nicht als Verbesserung empfinden.

Mirko
„40, 50 Euro mehr? Im Prinzip… scheiß drauf. Die 40 Euro kann ich schwarz nebenher verdienen.“

50 000 Hartz-IV-Empfänger, 50 000 unterschiedliche Schicksale. Viele haben sich längst in ihrer Lage eingerichtet. Sie versuchen für sich das Beste daraus zu machen, wie jeder andere Bürger auch.



Autorin: Iris Marx