Frank Hofmann; Quelle: rbb
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- Kreative ohne Rente - Jungunternehmer ohne Alterversorgung?

Berlin: Stadt der Kreativen - damit schmückt sich die Hauptstadt gern. Doch etwa 14 Prozent der solo-selbständigen Erfinder, App-Entwicklerinnen und Jung-Unternehmer haben selbst fünf Jahre nach Beginn der Berufstätigkeit keinerlei Vorsorge fürs Alter getroffen. Was kommt da auf die Stadt zu und wie denken die jungen Gründer selbst über ihre Altersversorgung nach?

Diese Entwicklung kann teuer für uns werden: Die Sogwirkung, die Berlin zurzeit für Kreative und Unternehmensgründer hat: Jeden Tag werden hier zwei bis drei neue Unternehmen der Informations- und Kommunikationsbranche gegründet. Das finden alle prima und ist auch gut, weil es Dynamik und Innovation bringt, einerseits. – Andererseits: Was ist eigentlich, haben wir uns gefragt, wenn all diese Kreativen eines Tages in Rente gehen? Andrea Everwien über ein Problem, das die Politik bisher viel zu wenig beachtet hat.

Deva
„Hallo zusammen, mein Name ist Deva. Ich komme aus Frankreich und bin seit zwei Monaten in Berlin. Ich arbeite im Wasser-Ressourcen-Management.“

Arthur
“Mein Name ist Arthur, ich bin Selbständiger, baue Websites und entwickle Kampagnen für Kunden in Deutschland und in Skandinavien.“

Matthias Riggert
„Mein Name ist Matthias Riggert. Ich arbeite für eine Gesellschaft, die Programme zur Untersuchung von Genmaterial herstellt, um Mutationen herauszufinden.“

Donnerstagmorgen, gemeinsames Frühstück im Gründerzentrum „betahaus" in Berlin-Kreuzberg. Etwa 150 junge Firmengründer, Einmann- oder Einfrauunternehmer mieten hier einen Schreibtisch – und treffen sich in der Lounge zu Latte Macchiato und Verkaufsgesprächen.

Das Problem: jeder zweite in dieser Szene ist selbständig – und rund ein Viertel verdient weniger als 1100 Euro im Monat.

Zum Beispiel Frank Hofmann. Er ist W-Lan-Spezialist, hat dafür gesorgt, dass die Erfinder und Gründer im betahaus mühelos ins Netz kommen. Mit seiner eigenen Firma ohne Angestellte verdient Hofmann rund 1.500 Euro im Monat. Seine Altersvorsorge bisher: eine private Lebensversicherung. Doch von der kann er im Alter nicht viel erwarten.

Frank Hofmann
W-Lan-Spezialist
„Ich glaube, es werden ungefähr 250 bis 300 Euro im Monat sein.“
KLARTEXT
„Die Sie dann monatlich ausbezahlt bekämen?“
Frank Hofmann
W-Lan-Spezialist
„Die ich monatlich ausgezahlt bekommen würde, ganz genau.“
KLARTEXT
„Das reicht nicht, oder?“
Frank Hofmann
W-Lan-Spezialist
„Das reicht definitiv nicht, aber ich meine, es könnte mehr werden, wenn ich mehr einzahlen würde.“
KLARTEXT
„Warum machen Sie das dann nicht?“
Frank Hofmann
W-Lan-Spezialist
„Weil das Geld nicht zur Verfügung steht."

Dem Staat auf der Tasche liegen möchte hier niemand – auch nicht später, wenn sie ins Rentenalter kommen.

Das gilt auch für Nicolai Prüsman und Anthony Forsans. Die beiden hatten früher gutbezahlte Berater-Jobs, gingen dann aber bewusst das Risiko der Selbständigkeit ein.

Nicolai Prüsman
einFach
„Ich wollte die eigene Idee irgendwie entwickeln, ich wollte sehen, wie es ist, eine Idee aus dem Boden zu stampfen und zu gucken, ob es funktioniert als großes Unternehmen.“

"einFach" nennen sie ihr Projekt: – oder auch: den „Zauberspind". Supermarkt, Post, Reinigung und Reparaturservice – alles in einem Schrank.

Anthony Forsans
einFach
"Unser typischer Kunde ist ein Angestellter, der mindestens 9 to 5 oder 9 to6 Job im Büro hat, relativ unflexibel ist und sich freut, wenn er mit so einem solchen Automaten Flexibilität gewinnt."

Wäsche schmutzig rein – später sauber wieder raus. Und das alles für zwei bis fünf Euro zusätzlich pro Dienstleistung. Bestellt und abgerechnet wird über das Smartphone. Eine Idee, mit der sich vielleicht irgendwann mal Geld verdienen lässt – das wäre aber auch nötig. Denn für die Altersvorsorge haben die Erfinder zurzeit nicht viel übrig.

KLARTEXT
„Wie ist bei Dir persönlich die Situation mit der Altersvorsorge zurzeit?
Anthony Forsans
einFach
„Die steht da.
KLARTEXT
„Das ist die Kiste?“
Anthony Forsans
einFach
„Das ist die Kiste. Also, ich glaube, dass die Kiste eine bessere Investition in die Altersvorsorge ist als die gesetzliche Rentenversicherung.“

KLARTEXT
„Und was macht Ihr dann mit dem Kapital, was Ihr habt?“
Nicolai Prüsmann
einFach
„Wir investieren das in unsere Geschäftsidee.“
KLARTEXT
„Mit welcher Hoffnung?“
Nicolai Prüsmann
einFach
„Na, dass wir damit reich werden und sich dann das Thema der Altersvorsorge von alleine erledigt.“

Gute alte Unternehmermentalität. Doch was, wenn es nicht klappt? Sind die Jahre der Selbständigkeit dann verloren für die Altersvorsorge?

Fest steht: Über 14 Prozent der Soloselbständigen – und davon gibt es mehr als Unternehmen mit Angestellten – haben überhaupt keine Altersvorsorge, weitere 15 Prozent viel zu wenig.

Sollten dann rund 30 Prozent der Soloselbständigen im Alter auf Grundsicherung vom Staat angewiesen sein?

Ganz sicher nicht, meint Arbeitsministerin von der Leyen. Im vergangen Jahr schlug sie deshalb vor, jeder Selbständige solle einen Zwangsbeitrag in die Rentenkasse zahlen. Zunächst war die Rede von monatlich 400, dann von 262,50 Euro – unabhängig vom Einkommen.

Die Reaktion: Protest. Mehr als 80.000 Selbständige unterschrieben eine Petition gegen diese Zwangsrente. Ihr Wortführer: Tim Wessels, 27 Jahre. Er rechnet der Ministerin vor, warum die Zwangsrente für einen Selbständigen mit einem Einkommen von 1000 Euro untragbar ist.

Davon muss er nämlich heute schon 359 Euro nur für Kranken- und Pflegeversicherung zahlen – ein unangemessen hoch erscheinender Fixbetrag. Käme der Rentenbeitrag noch dazu, gingen von 1000 Euro Einkommen 622 Euro an die Sozialversicherungen. Für etwa ein Viertel aller Selbständigen würde es sich dann nicht mehr lohnen zu arbeiten.

Tim Wessels
Verband der Gründer und Selbständigen
„Das bedeutet, dass Menschen dann ihre Selbständigkeit aufgeben müssen und nicht mehr in der Lage sind, ihr eigenes Einkommen zu erwirtschaften, was viele jetzt, wenn auch auf niedrigem Niveau, halt schaffen und auch gerne schaffen."

Arbeitslosigkeit statt Selbständigkeit – das ist keine Alternative. Stattdessen muss das Sozialversicherungssystem insgesamt neu gedacht werden und endlich anerkennen, dass nicht alle Selbständigen reiche Unternehmer sind.

Beitrag von Andrea Everwien