- Berlin: "Mythos Mitte" in Gefahr?

Berlin feiert sich als Tourismusmagnet: Ein Plus von über 14 Prozent bei den Übernachtungszahlen. Absoluter Rekord! Alle scheinen Berlin aufregend anders zu finden, offenbar begeistert vom scheinbar ewig unfertig-improvisierten Look der Stadt. So machen sich Touristenströme auf die Suche nach dem "Mythos Berlin Mitte". Doch mit den Besucherströmen wächst die Zahl der Hotelbetten. Und die Gier des Immobilienmarktes nach attraktiven Flächen in eben diesen touristischen Epizentren. Die Folge: Viele der Orte, die Berlin als sexy gelten ließen, müssen weichen. Doch werden sich die Touristen in Zukunft wegen schöner Hotels und schicker Einkaufszentren auf den Weg in die deutsche Hauptstadt machen? Oder verspielt Berlin – ziemlich kurzsichtig - sein größtes Kapital?

Haben Sie mal Berlinbesucher gefragt, was unsere Hauptstadt eigentlich derartig attraktiv macht, dass sie Touristen aus aller Welt zu Millionen anlockt? Die Antworten ähneln sich: Es ist diese Mischung aus alt und neu, der Charme des Unfertigen, hört man oft. Eine Leichtigkeit des Seins, die z.B. das Viertel um die Oranienburger Straße in Berlin-Mitte ausströmt. Mit dem Slogan „Arm, aber sexy“, hat Klaus Wowereit das einst ganz treffend charakterisiert. Doch inzwischen ist zu befürchten, dass genau dieser Sex-Appeal bald verloren gehen könnte. Und damit das, was die Touristen hierher lockt. Iris Marx.

Burkhard Kieker, Berlin Tourismus Marketing
„Tourismus ist für Berlin der wichtigste Wirtschaftsfaktor der Stadt. Er hat die Nahrungsmittel überholt.“

Richard Meng, Sprecher des Senats von Berlin
„Das ist vielfältiger geworden und Sie können heute in Berlin eben nicht nur ein, zwei Tage verbringen. Sie können in Berlin zwei Wochen Urlaub machen und haben immer noch nicht alles gesehen.“

Historische Bauten, Überreste der DDR-Ästhetik, Ödflächen mitten im Zentrum – die Berlin-Magie, mit der die Stadt sich in ihrem Imagevideo selbst bewirbt. Berlin ist auf Platz drei der beliebtesten Städte in Europa. Noch vor Rom, hinter Paris und London. 19 Millionen Übernachtungen insgesamt im Jahr 2009. Der Tourismus schafft einen Umsatz von neun Milliarden Euro im Jahr.

Der Dauerbrenner unter den Touristen-Hotspots: Berlin Mitte. Beliebt ist der Bezirk bei den Besuchern, weil er genau das repräsentiert, wie Berlin sich gern gibt: Vielfältig mit einem maroden Charme samt bröckliger Fassaden – das wollen die Besucher sehen.

Tourist
“The art is amazing, like the Tacheles.”
Tourist
“I really like to see old buildings, like this, next to really new buildings.”
Tourist
„Hab’ ich noch nie gesehen in der Form so. So was gibt es bei uns nicht. Nur in Berlin ist so was möglich.“

Aber was Touristen reizt, reizt auch Investoren, sagt Tourismusforscher Prof. Hasso Spode von der FU Berlin.

Prof. Hasso Spode, Willy-Scharnow-Institut, FU Berlin
„Mit dem Erfolg kommt natürlich auch Geld in die Stadt. Und mit dem Geld kommen langweilige Investoren oder sagen wir mal besser: Investoren, die langweilige Architekten engagieren, weil es dann billig ist. Und wir kriegen in der Innenstadt in weiten Bereichen eine inzwischen wirklich grauenhaft langweilige Hotel-Architektur und auch eine hotelmäßige Übernutzung bestimmter Areale und das ist der Fluch des Erfolges.“

Der ist schon lange in Berlin Mitte zu beobachten. Wie am Rosenthaler Platz. Hier reiht sich inzwischen ein Hotel an das andere. Der alte Kiez ist schon so gut wie verschwunden. Mit ihm verschwinden nicht mehr nur die alten Fassaden, sondern auch die besondere Berliner Mischung, die die Touristen angezogen hat.

Beispiel: das Tacheles. Das Kunsthaus an der Oranienburger Straße steht in jedem Reisführer. Die Stadt bewirbt es auf ihrer offiziellen Internetseite. Rund 400 000 Touristen laufen jährlich durch das Haus. Aber schon seit Monaten kämpfen die Künstler um den Erhalt des Hauses. Der Eigentümer ist insolvent. Die Räumung ist kaum noch abzuwenden.

Ebenso bedroht ist das Acud, einige Straßen weiter. Der besondere Widersinn an der Entwicklung des Bezirks zeigt sich besonders am Beispiel der C/O-Galerie im alten Postfuhramt. Die Fotogalerie, in der bereits internationale Künstler wie Annie Leibovitz und Karl Lagerfeld ausstellten, kann nicht bleiben – trotz ihres großen Erfolgs.

Warum sie raus muss, ist besonders absurd: Ausgerechnet auf dem Gelände des Postfuhramts – hier im Bild rot gekennzeichnet – will ein Investor ein siebenstöckiges Hotel samt Shopping Center bauen. Die historische Fassade soll zwar erhalten bleiben, allerdings ist hier kein Platz mehr für eine Galerie, sondern nur noch für exklusive Geschäfte und Eigentumswohnungen.

Und so muss die Galerie Ende März 2011 raus. Einen Kompromiss konnte c/o mit dem ausländischen Investor nicht aushandeln, sagt der Pressesprecher der Galerie Mirko Nowak.

Mirko Nowak, C/O Berlin
„Letztendlich macht Berlin Werbung mit Kultur und Kreativität. Wenn so ein Ort geschlossen wird, dann fehlt so was natürlich.“

Bedauerlich findet das auch der Baustadtrat des Bezirks Mitte, Ephraim Gothe, der ebenfalls versucht hat mit dem Investor zu verhandeln.

Ephraim Gothe (SPD), Baustadtrat Berlin-Mitte
„Das wäre furchtbar traurig für die Kulturlandschaft überhaupt in Berlin, denn die C/O-Galerie ist fester Bestandteil geworden, hat internationales Renommee erworben und das ist genau das, was wir in der Spandauer Vorstadt brauchen, wir brauchen nicht noch mehr Kneipen oder noch mehr Hotels.“

Viel Spielraum hat der Bezirk allerdings nicht. Wenn ein Projekt den Bauvorschriften entspricht, muss es eben genehmigt werden. Auch wenn es bereits genügend Hotels in Mitte gibt. An Beherbergungsbetrieben mangelt es eigentlich in ganz Berlin nicht.

Die Anzahl der Betten steigt seit Jahren an. Die Auslastung bleibt aber konstant bei 48 Prozent. Über die Hälfte der Betten, bleibt also leer. Es reicht, sagt daher selbst der offizielle Vermarkter der Hauptstadt, Burkhard Kieker von Berlin Tourismus Marketing.

Burkhard Kieker, Berlin Tourismus Marketing
„Wenn wir noch weitere Hotels in Berlin bauen, wir haben jetzt schon mehr Zimmer als Manhattan und Brooklyn zusammen, dann haben wir sicher ein Überangebot. Das macht den Markt noch härter. Das ist gut für den Kunden, weil die Preise weit unten sind, aber auf Dauer – glaube ich – würde uns eine Pause bei den Investments ganz gut tun.“

Eine Pause würde auch dem Bezirk Mitte sicherlich gut tun. Anders sieht das aber der Senat. Der Bereich um die Oranienburger Straße könne noch einige Hotels vertragen, so der Sprecher des Regierenden Bürgermeisters Wowereit:

Richard Meng, Sprecher des Senats von Berlin
„Und wenn da mehr Hotels entstehen, dann kommt das daher, dass es sich offenbar lohnt. Natürlich wollen die Leute auch irgendwo übernachten. Wir freuen uns über Übernachtungen in Berlin. Das bringt auch Geld in die Stadt, so egoistisch sind wir dann doch.“

Aber muss man deswegen auch die Verdrängung einiger Kulturstätten in Kauf nehmen?

Richard Meng, Sprecher des Senats von Berlin
„Die müssen nicht alle gleichzeitig schließen. Der Bezirk Mitte stirbt sowieso nicht, der blüht auf.“
KLARTEXT
„Auch wenn da nur noch Beton-Häuser zu sehen sind?“
Richard Meng, Sprecher des Senats von Berlin
„Davon kann keine Rede sein.“

Davon kann wahrscheinlich auch keine Rede sein, weil selbst der Senat kaum Möglichkeiten hat, einen Investor daran zu hindern Hotels zu bauen. Es sei denn der Senat kauft die Immobilien selbst auf.

Richard Meng, Sprecher des Senats von Berlin
„Das ist eine gute Idee, Geld in die Hand zu nehmen und wenn der RBB es uns überweisen würde, könnten wir darüber reden. Nein, Sie wissen, wie die Finanzlage Berlins ist. Politik kommt da leicht auf die Idee, mit Geld alles zu lösen aber in realita geht das nicht.“

Mitte ist dann mit all den Investitionen nicht mehr arm und sexy, dafür aber reich und öde. Was bleibt, ist die Aussicht, dass Berlin neue alternative Kunsthäuser entstehen lässt, wenn auch nicht mehr in seiner Mitte.

Prof. Hasso Spode, Willy-Scharnow-Institut, FU Berlin
„Berlin ist flächenmäßig ja viel größer als Paris. Und wir haben die Möglichkeit immer noch auszuweichen in andere Quartiere. Und wenn es dann eben das Rollbergviertel ist. Es wird sich immer irgendwas finden und wenn ein Quartier von der Bionade-Fraktion übernommen wird, dann ziehen die anderen eben woanders hin. Noch geht das und ich denke, dieses spiel lässt sich noch eine ganze Weile spielen.“


Autorin: Iris Marx