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Mehringplatz | Bild: rbb

- Ein Kiez kippt - Verfehlte Wohnungspolitik am Mehringplatz

Was geschieht, wenn die soziale Wohnungsbauförderung rapide heruntergefahren wird, kann man in der Mitte Berlins beobachten. Am Mehringplatz wurden die Zuschüsse gekappt – in der Folge stiegen die Mieten teils weit über Mietspiegel. Nur Bewohner, die staatliche Mietzuschüsse oder Hartz IV erhalten, wollen diese Preise noch zahlen. Einkommens- und bildungsstärkere Schichten verlassen den Platz.

Der Mehringplatz in Berlin am Ende der Friedrichstraße macht auf den ersten Blick einen ganz normalen Eindruck. Dennoch hat sich dieser Kiez in den vergangenen Jahren schleichend zu einem Problemviertel entwickelt, mitten in Berlin. Die überwiegende Zahl der Bewohner kommt inzwischen aus sozial schwachen Schichten, Gewalt und Kriminalität nehmen zu, es droht eine Ghettoisierung. Benedict Maria Mülder und Max Thomas Mehr haben untersucht, wo die Ursachen für diese fatale Entwicklung liegen.

Der Mehringplatz in Berlin. Der Engel, der hier auf der Säule stand, ist schon seit Jahren in der Werkstatt. Einst bildete der Platz das südliche Tor des barocken Berlins. Den Krieg hat der Engel noch überlebt. Anfang der 70er Jahre wurden hier mit hohen Subventionen Wohnungen für Bewohner mit niedrigem Einkommen errichtet. Doch die damals völlig überhöhten Baukosten machen aus dem attraktiven Neubaugebiet 40 Jahre später einen Problem-Kiez.

Heute tickt hier eine soziale Zeitbombe. Rund 5000 Menschen wohnen am Mehringplatz. Die meisten von ihnen leben von staatlicher Unterstützung.

Bonger Voges, Vorsitzender Kunstwelt e.V.
„Die Sozialstruktur ist hier so gekippt, dass man hier ab Eindringen der Dunkelheit Frauen allein, ich sag mal, kann man nicht empfehlen, dass die wirklich hier lang laufen. Trauen hier sich auch nicht. Hier treiben sich Banden rum, Jugendbanden rum, aber auch ältere Banden.“

Dr. Dietrich Delekat, Amtsarzt in Kreuzberg, bekommt den Niedergang hautnah mit. Er ist seit Jahren zuständig für die Einschulungstests der Kinder.

Dietrich Delekat, Amtsarzt Kreuzberg
„Unter unseren Augen vollzieht sich ein rapider sozialer Wandel, dass eher bildungsstärkere Schichten auswandern, fliehen den Platz, und schwache, bildungsschwache auch natürlich einkommensschwache, Schichten nachziehen.“

90 Prozent der Kinder haben einen Migrationshintergrund. Die meisten haben einen deutschen Pass, aber nur wenige sprechen deutsch. Was am Mehringplatz in Kitas und Schulen fehlt, ist das deutsche Umfeld.

Dietrich Delekat, Amtsarzt Kreuzberg
„Wenn die Familie das nicht hat, das haben die meisten offensichtlich nicht, wenn man nach unseren Ergebnissen sieht, dann kann dieses Kind eben auch kein Deutsch, weil es keine Welt betritt, in der Deutsch in großem Umfang gesprochen wird.“

Aishe Ullusoy hat fünf Jahre mit ihrer Familie hier gelebt. Sie machte sich Sorgen um die Sicherheit ihrer zwei Kinder.

Aishe Ullusoy
„Ich hatte mein Auto auf dem Parkplatz geparkt gehabt. Da hat irgendeiner ‘ne Autobatterie aufs Auto geworfen und denn ging es ne Zeitlang so, dass Autoschei-ben, also die Windschutzscheiben, von den Autos eingeschlagen wurden, und das war mir dann irgendwie mit den Kindern doch nicht so ganz geheuer gewesen.“

Dabei fing alles so gut an. In den 70er Jahren war der Mehringplatz eines der Vorzeigeprojekte des sozialen Wohnungsbaus. Damals entstand der sprichwörtliche Berliner Sumpf aus Parteienfilz, Wohnungsbaugesellschaften und Spekulanten. Er trieb die Baupreise immer mehr in die Höhe. Doch keiner störte sich daran, denn die üppig fließenden staatlichen Subventionen hielten die Mieten niedrig.

Der Vorstand der landeseigenen Wohnungsbaugesellschaft erinnert sich, wie das funktionierte.

Hendrik Jellema, Vorstand GEWOBAG
„Sie haben einen Mietpreis, der damals nach dem Kostenmietprinzip rund 17 D-Mark betragen hätte, der wurde seinerzeit heruntersubventioniert auf rund vier D-Mark, die ein Mieter zu bezahlen hatte für die Nettokaltmiete. Das heißt, diese Spanne von 13 D-Mark wurde subventioniert durch die Zurverfügungstellung von öffentlichen Mitteln.“

Jahr für Jahr wurde eine durchschnittliche 80-Quadratmeterwohnung mit 12 000 Mark, also 6000 Euro, subventioniert. Doch die staatlichen Subventionen sind gesunken, jetzt müssen die Mieter für die überhöhten Baukosten zahlen. Die Warmmiete am Mehringplatz liegt inzwischen weit über der des freifinanzierten Wohnungsbaus, also über dem Marktwert.

Für etliche Bewohner sind die Mieten inzwischen zu hoch. Auch Aishe Ullusoy rechnete nach.

Aishe Ullusoy
„Meine Miete wurde zuletzt auf 716 Euro erhöht für eine zweieinhalb Zimmer-Wohnung. Ich hab zwei Kinder, ein Sohn und eine Tochter, und die wollten jeder sein eigenes Zimmer haben und in einer zweieinhalb Zimmerwohnung kann man das schlecht einrichten.“

Jetzt ist die Familie umgezogen, zahlt im Nachbarbezirk Neukölln für eine größere Wohnung 50 Euro weniger. Der Mehringplatz zieht inzwischen Andere an.

Aishe Ullusoy
„Wenn man vom Amt lebt, Wohngeld oder Hartz IV bezieht, dann kann man sich vielleicht diese Wohnungen leisten. Aber ansonsten, wenn man Otto Normalverdiener ist, dann sind die Mieten doch erheblich zu hoch.“

Keine Rede mehr von sozialem Wohnungsbau, von gemischter Bevölkerungsstruktur. Offenbar vermieten die Wohnungsbaugesellschaften ihre überteuerten Wohnungen ganz bewusst an immer mehr Hartz IV- oder Wohngeldempfänger. Der Vorstand der GEWOBAG gibt sich erstaunt.

Hendrik Jellema, Vorstand GEWOBAG
„Was wir feststellen ist, dass in den Wohnungen, die für kinderreiche Familien geplant wurden und gedacht sind, dass wir dort fast nur noch ausländische oder Bewohner mit einem Migrationshintergrund begrüßen dürfen.“

Im Klartext: Die GEWOBAG und andere hier vertretene Hauseigentümer nehmen den sozialen Niedergang des Platzes offenbar in Kauf.

Auch die zuständige Senatsverwaltung sieht in der Zusammensetzung der Bevölkerung anscheinend kein Problem. Schriftlich heißt es:

Zitat
„Eine höhere Konzentration einkommensschwächerer Haushalte (…) in einer Wohnanlage bedeutet nicht zwangsläufig, dass dadurch hier ein ‚sozialer Brennpunkt‘ entsteht“.

So kann man es auch zurechtbiegen. Doch dringend erwartet werden Maßnahmen gegen die hoch subventionierte Ghettobildung. Die Träger des Quartiersmanagements haben die Hoffnung noch nicht verloren.

Bonger Voges Vorsitzender Kunstwelt e.V.
„Dieses Gebiet hat ganz, ganz große Chancen, und wenn man hier mutig zugreift, dann wird dieses Gebiet sich auch ganz schnell verändern, weil wir sind im Zentrum Berlins sind, und es gibt keinen Grund außer die besondere Geschichte dieser Stadt, dass das so bleiben muss.“

Der Engel über dem Mehringplatz – hoffentlich kommt er bald zurück.

Autoren: Benedict Maria Mülder und Max Thomas Mehr