Bild: Berlins historische Mitte, Quelle: rbb

- Debatte: Wie weiter mit Berlins historischer Mitte?

Berlins historische Mitte zwischen Schlossneubau und Fernsehturm wirkt eher öde. Auf dem Platz vor dem Roten Rathaus regiert der Beton. Seit einiger Zeit nun geistert eine Debatte darüber durch Berlin, wie man das urban-pulsierende Leben, das hier einst herrschte, wieder auferstehen lassen könnte. Doch Bewahrer der DDR-Ästhetik formieren sich: sie wollen den Platz zwar verschönern, doch im Wesentlichen so lassen wie er ist. Senatsbauverwaltung und Senatsverwaltung für Stadtentwicklung, beide SPD-dominiert, tendieren ebenfalls eher zum Status quo, doch nun mehren sich Stimmen von Parteifreunden, die sich eine Re-Urbanisierung der "Altstadt" wünschen.

Anmoderation
Keine andere Stadt in Deutschland steht so für Kreativität und Urbanität wie Berlin. Doch das gilt anscheinend nicht für die Stadtplanung: Ausgerechnet in der historischen Mitte der Stadt regiert Phantasielosigkeit und Beton. Gemeint ist der riesige öde Rathausplatz zu Füßen des Fernsehturms. Statt die einmalige Chance zu nutzen, ihn zu einem lebhaften, urbanen Mittelpunkt der Hauptstadt zu gestalten, reden sich die Politiker lasch heraus. Andrea Everwien.

Großbaustelle Berlin-Mitte: Auf der einen Seite der Spree entsteht der Schlossneubau für das Humboldtforum, gegenüber wird für die U5 gebuddelt. Aber wo genau ist eigentlich die historische Mitte der Stadt?

Passanten
"Wir denken, dass es der Fernsehturm ist."
KLARTEXT
"Was war denn vor dem Fernsehturm da? Es geht ja um die historische Mitte."
Passanten
"Boden – historischer Boden!"
"Ich glaube echt, da war gar nichts."

Der Fernsehturm und sonst: nichts? Das stimmt nicht. Die meisten Berliner haben den Ursprung ihrer Stadt einfach vergessen, meinen Historiker wie Benedikt Göbel. Denn der Kern der alten Stadt liegt begraben unter dem Marx-Engels-Forum und dem Platz zwischen Rotem Rathaus und Fernsehturm.

Benedikt Goebel
Historiker, Planungsgruppe "Stadtkern"

"Sie hatte prächtige Adelspalais und großartige architektonische Juwelen. Hier standen zwischen 200 und 300 Häuser vielleicht bis zum Jahre 1933. Und ich habe mal ausgerechnet, dass allein auf dem Platz des Marx-Engels-Forums mal 10.000 Menschen gelebt haben."

Bis in die Dreißiger Jahre war der Platz zwischen Rotem Rathaus und Marienkirche dicht bebaut: Wo heute die U 5 entsteht, gab es damals schon ein vegetarisches Restaurant, direkt gegenüber dem Roten Rathaus. Die Rathausstraße – damals hieß sie Königstraße – war an beiden Seiten dicht bebaut mit großen Kaufhäusern: Wertheim, Nathan Israel, Leopold Gadiel.

Vor kurzem tauchte in Australien dieses historische Filmmaterial von Leopold Gadiel auf: Es zeigt den Andrang in seinem Textilkaufhaus an der Königstraße – und Straßenszenen aus dem März 1931: selbst im Schneesturm war hier noch viel los.

Städtisches Leben, das es hier heute so nicht mehr gibt.

Wir fragen Berliner Passanten: was Ihnen besser gefällt: Die Rathausstraße von heute oder die Königsstraße, wie sie damals aussah?

Passanten
"Hier ist Fluidum, hier ist Atmung, hier ist Berlin, hier ist tote Hose, hier ist nur nachts was los.“
"Hier werden Leute umgebracht – Johnny K."

Das Rathausforum heute: eine große Ödnis. Die Monumentalität des Platzes macht die Menschen klein – ein Überbleibsel der DDR-Diktatur.

Früher war genau hier der Neue Markt, rund um das Lutherdenkmal, eingerahmt von Bürgerhäusern. Mehrere hundert Parzellen und viele verschiedene Eigentümer gab es damals – und deshalb eine große Vielfalt in Nutzung und Gestaltung.

Solche Stadt will er wieder erstehen lassen. Volker Härtig, SPD. Seine Vorstellung: moderne Häuser auf den alten, kleinteiligen Grundrissen – um die alte Vielfalt wieder zu gewinnen. Der Fernsehturm soll stehen bleiben – und auch sonst müssen nicht alle Fassaden aussehen wie ehedem.

Volker Härtig (SPD)
Fachausschuss "Soziale Stadt"

"Es geht darum, dass man hier lebendige Stadt schafft, dort, wo Berlin mal gegründet worden ist, wo Berlin entstanden ist. Und nicht nur überdimensionierte, funktionslose, öde Freiflächen, die mit dem, was ich unter Platz- und Parkanlagen verstehe, nichts zutun haben. Und dann muss man sich überlegen, wer sind denn die gewünschten Akteure, die gewünschten Bauherren der Zukunft. Und da wird es auch private geben, natürlich."

Private Investoren, die den Freiraum bebauen? Möglich wäre das, die SPD als Mehrheitspartei könnte es durchsetzen. Doch offenbar verpassen die Sozialdemokraten gerade die einmalige Chance, alte Stadt neu zu gestalten. Angeblich müsse man Bauten und Plätze der DDR stehen lassen, weil sie eben da sind.

Oliver Buchholz (SPD)
Stadtentwicklungspolitischer Sprecher

"Wir haben den Fernsehturm, wir haben andere Bauten – da kann man sich wirklich drüber streiten, ob sie einem gefallen müssen, aber sie sind erstmal da und ich finde, wir sollten das erstmal annehmen, was gestaltet wurde."

Außerdem soll offenbar allein die Landesregierung bestimmen, was auf dem 16 Hektar großen Grundstück passiert – lieber eine aufgehübschte Brache als privat gestaltete Stadt.

Oliver Buchholz (SPD)
Stadtentwicklungspolitischer Sprecher

"Das ist übrigens damit auch ein öffentlicher Platz, wenn er offen ist. Wenn wir etwas bauen, wenn wir Straßen und Gebäude errichten, wird es privat zwangsläufig. Es ist also damit eine Privatisierung von öffentlichem Raum, über den wir hier sprechen, wenn wir sagen, es soll sofort hier historisch wieder aufgebaut werden."

Senatsbaudirektorin Regula Lüscher macht deshalb erst gar keinen eigenen Gestaltungsvorschlag für das Rathaus-Forum. Anfang Januar hat sie den sogenannten neuen "Stufenplan" für die Entwicklung der Altstadt vorgelegt. Über das Rathaus-Forum heißt es dort nur, es solle einen großen Dialog geben, dessen wie auch immer geartete Ergebnisse bis 2025 umzusetzen seien.

Regula Lüscher (parteilos)
Senatsbaudirektorin

"Dann würde ich es eher noch perspektivisch freihalten für künftige Generationen."

Volker Härtig (SPD)
Fachausschuss "Soziale Stadt"

"Diese Politik des Abwartens, die ja ganz mutig verkündigt wird: Wir sollten mal abwarten, wie sich das dann so 2019, 2020 darstellt. Und dann können wir daraus unsere Schlüsse ziehen. Ich halte das – ehrlich gesagt – schon für ein wenig Politik-Versagen."

So wird Stadtentwicklung vorerst verhindert – und der zuständige Senator spielt das Spiel mit.

Michael Müller (SPD)
Senator für Stadtentwicklung

"Die Koalition hat sich darauf verständigt, dass es doch ein eher freiraumgeprägter Ort ist und dass man jetzt nicht konkret zu einer dichten Bebauung kommt vor dem Roten Rathaus."

24 Jahre nach dem Fall der Mauer, fünf Jahre, bevor der Schlossneubau fertig wird: keine Idee für den Gründungskern der Stadt. Langsam wird es peinlich.

Beitrag von Andrea Everwien