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Bürgerproteste gegen den Tagebau | Bild: rbb

- Vattenfall – Bürgerproteste am Tagebaurand

Wenn der Bagger kommt, müssen Menschen umziehen. So war es in Brandenburgs Braunkohleregion schon immer. Doch während der Energiekonzern Vattenfall für „abgebaggerte“ Häuschen aufkommt, gehen die, die direkt am Rand des Tagebaus wohnen werden, großteils leer aus. Lebensqualität ade. Da würden manche lieber abgebaggert – und vor allem entschädigt werden.

Stellen sie sich vor, Sie müssten Ihr Zuhause verlassen und werden zwangsumgesiedelt. Alles, was Ihr Leben bisher ausmachte, Ihr Haus, Ihr Garten, Ihre Heimat, müssten Sie zurücklassen – weil das Dorf, in dem Sie leben, eingeebnet werden soll. Genau das ist zehntausenden Brandenburgern in den vergangenen Jahren in der Lausitz passiert. Über hundert Dörfer mussten den Baggerzähnen weichen, damit hier Braunkohle abgebaut werden kann. Nun sollte man denken, dass die Lausitzer, die nicht mitten im Tagebaugebiet leben, sondern am Rande, froh sein müssen, dass Sie bleiben können. Doch im Gegenteil: Auch sie wollen jetzt weg. Ute Barthel.

Groß Gastrose, ein Dorf in der Lausitz, nah der polnischen Grenze. Das Zuhause von 600 Menschen. Doch einige wollen nun weg. Denn nach den Plänen des Energiekonzerns Vattenfall werden sie in Zukunft direkt an der Kante eines Tagebaus leben müssen. Bis 200 Meter sollen die Bagger heran kommen. Für viele im Ort ein Schock.

Besonders hart trifft es die Bewohner der Siedlung am Ortsrand. Denn der Tagebau würde direkt vor ihrer Haustür vorbei führen. So mancher hat neu gebaut.

Eberhard Dommenz, Anwohner
„Ich habe dieses Haus fast allein gebaut, ich kenne fast jeden Stein, ich hänge echt an dieser Scholle, aber nicht unter diesen Bedingungen, die eventuell uns erwarten hier.“

Nach den derzeitigen Planungen sollen zwischen Tagebaurand und Grundstücksgrenze auch noch eine Bahntrasse und eine Bundestrasse entlang führen, denn die müssen dann umverlegt werden.

Eberhard Dommenz, Anwohner
„Wollen Sie an einem Tagebau leben, der hunderte von Hektar groß ist, wo immer Wind ausm Westen, dass am Abend beim Kaffeetrinken der Sand zwischen den Zähnen knirscht vom Sand.“

Deswegen hat Eberhard Dommenz jetzt Unterschriften gesammelt in dem betroffenen Ortsteil. Die Bewohner fordern die Umsiedlung in einen anderen Ort. Oder eine Entschädigung . Entweder von Vattenfall oder vom Land, dass den Tagebau genehmigen wird.

Eberhard Dommenz, Anwohner
„Das ist mir eigentlich egal, ob das Vattenfall ist oder die Regierung, die können sich mein Haus angucken, die können das Haus taxen lassen, und dann will ich hier eben den Wert haben, den ich hier rein gesteckt habe, um mir irgendwo anders eine Existenz aufzubauen.“

So wie er haben viele in Groß Gastrose ihre gesamten Ersparnisse in ihre Häuser gesteckt. Die haben sie neu gebaut, weil ihr Landesvater Manfred Stolpe in den 90er Jahren versprach, Horno sei das letzte Dorf in Brandenburg, das einem Tagebau weichen muss. Über die falschen Versprechungen der Regierung sind sie nun empört.

Wilfried Buder, Ortsvorsteher Groß Gastrose
„Und alle Leute haben jetzt an ihren Häusern gebaut. Viele hätten ja gesagt: ‚Dann ziehen wir bei Zeiten weg und versuchen, uns woanders eine Existenz aufzubauen‘. Da geht nicht, weil jetzt das Geld weg ist, weil das Geld in den Häusern steckt, die Leute können nicht abhauen. Das geht nicht. Das ist das, was mich am meisten ärgert an der Landesregierung.“

Denn vor drei Jahren hieß es plötzlich, ein neuer Tagebau sei geplant: Jänschwalde Nord und Groß Gastrose wird dann zur Randgemeinde. Drei Orte sollen diesem Tagebau geopfert werden: Atterwasch, Kerkwitz und Grabko. Die Einwohner sollen umgesiedelt werden. Ihnen steht für den Verlust ihrer Grundstücke eine Entschädigung zu: So steht es im Bundesberggesetz.

Die Menschen am Tagebaurand hingegen haben dieses Anrecht nicht, obwohl sie die Beeinträchtigungen des Tagebaus, Lärm und Schmutz, ertragen müssen. Deswegen gehen manche sogar so weit, dass sie die Abbaggerung von Groß Gastrose fordern, damit auch sie entschädigt werden.

KLARTEXT
„Es wäre ihnen lieber, wenn das Dorf weg kommt?“
Astrid Proske, Anwohnerin
„Ja, so böse wie sich das anhört. Aber dann hätten wir wenigstens eine Möglichkeit,
wieder von vorn anzufangen. Denn wir hinterlassen unseren Kindern und Enkeln ja nichts, Wertloses."

Denn ein Haus am Tagebau will niemand mehr kaufen. Doch der Bergbaubetreiber Vattenfall will weder von Umsiedlung der Randgemeinden noch von Entschädigung etwas hören.

KLARTEXT
„Ist Vattenfall bereit für diese Wertminderung der Grundstücke auch aufzukommen?“
Ralf Krüger, Vattenfall
„Also noch mal unser Ansatz: Wir tun alles dafür, dass die Lebens- und Wohnqualität in den Ortsteilen, die davon betroffen sind, nicht gemindert wird. Man muss hinzufügen, dass für eine Entschädigung, wie Sie es nennen, also im streng juristischen Sinne keine Grundlage. Insofern gibt es auch keine Grundlage für einen individuellen Ausgleich.“

Geld gab es bisher immer nur für die Gemeinde-Entwicklung. Zum Beispiel in Grießen, hier hat sich der Bagger an den Ort heran gefressen. Vattenfall bezahlte für eine neue Feuerwehr, das Gemeindehaus, den Dorfteich, den Spielplatz.
Doch eine gesetzliche Verpflichtung für diese Zahlung existiert nicht. Und so sind die betroffenen Gemeinden immer auf das Entgegenkommen von Vattenfall angewiesen.

Peter Jeschke (CDU), Bürgermeister
„Wir wünschen uns sogar sehr, dass wir mehr gehört werden, denn bisher kommen wir uns nur als Bittsteller vor.“
KLARTEXT
„Warum?“
Peter Jeschke (CDU), Bürgermeister
„Weil wir das Gesetz zur Zeit nicht auf unserer Seite haben.“

Und daran wollen die Brandenburger Landespolitiker auch nichts ändern. Bereits 2007 lehnte der Petitionsausschuss des Landtages die Forderung von Bewohnern einer Randgemeinde nach einer Entschädigung ab

Zitat
„Für einen so genannten Lagenachteil in der Nähe eines Tagebaus sind Entschädigungszahlungen nicht vorgesehen.“

Immerhin hat im Februar die rot-rote Mehrheit beschlossen, eine Bundesratsinitiative zu starten. Denn bisher hieß es: Bergrecht hat Vorrang. Die Regierungsparteien wollen nun, dass soziale und ökologische Kriterien im Bundesberggesetz ein stärkeres Gewicht erhalten, so SPD-Fraktionschef Dietmar Woidke. Doch eine Entschädigungsklausel für Tagebaurandbewohner wird es nicht geben

KLARTEXT
„Kann man das in die Gesetzesnovelle nicht mit reinschreiben?“
Dietmar Woidke (SPD), Fraktionschef
„Also ich denke, im Bundesrecht wäre das meiner Ansicht nach nicht denkbar.“
KLARTEXT
„Und im Landesrecht?“
Dietmar Woidke (SPD), Fraktionschef
„Im Landesrecht, äh, ich kann mir nicht vorstellen, dass wir ins Landesrecht verankern eine Entschädigungspflicht des Landes oder des Bundes gegenüber Leuten, die beeinträchtigt sind von den Tätigkeiten eines Unternehmens.“

Es wird also alles beim Alten bleiben. Die Regierung stärkt den Bewohner des Tagebaurands nicht den Rücken. Vattenfall darf weiter baggern und die Nachbarn der Kohlefelder müssen mit den Auswirkungen leben. Denn weg können sie nicht, es sei denn, sie nehmen den Wertverlust ihrer Grundstücke in Kauf. Sie können nur darauf warten, dass der Bagger eines Tages vorbeigezogen ist ….aber die meisten werden das nicht mehr erleben.




Autorin: Ute Barthel