An der Kasse im Supermarkt (Quelle: rbb)
(Quelle: rbb)

- Dumpinglöhne im Supermarkt

Während Ver.di noch um Spätarbeitszuschläge für die Beschäftigten im Einzelhandel kämpfte, haben einige Unternehmen bereits reagiert: so genannte Logistik-Firmen ersetzen fast die komplette Belegschaft – und das für nur wenig mehr als die Hälfte des Tariflohns.

Wissen Sie noch, wie man sich früher sputen musste, um bis halb sieben alle Einkäufe zu erledigen? Zum Glück ist das Vergangenheit. Durch die geänderten Ladenöffnungszeiten. Für die meisten von uns ein Plus an Lebensqualität! Doch für den Einzelhandel eher ein Minus-Geschäft. Denn die Nacht- und Wochenendzuschläge fürs Personal gehen ins Geld. Und deswegen werden jetzt ganz neue Beschäftigungsmodelle erfunden, bei denen nur noch Dumpinglöhne gezahlt werden. Andrea Everwien und Andre Kartschall über die miesen Tricks im Einzelhandel.

Lust auf Late-Night–Shopping - Kaiser’s macht’s möglich: angenehm für den Verbraucher: abends, nach Büroschluss noch schnell das Nötigste für den nächsten Tag besorgen zu können.

Vor anderthalb Jahren fiel der Ladenschluss in Berlin: seitdem wetteifern die Supermärkte um den späten Kunden.

Late-Night-Shopping ja – aber nicht um jeden Preis: die Verkäufer bei Kaiser’s und Co. wehrten sie sich 17 Monate lang, erst letzte Woche gab es einen neuen Tarifabschluss. Wenn schon nachts arbeiten: dann nur für 50 % Nachtzuschlag. Die Gewerkschaft feiert den Abschluss als Erfolg.

Tariflohn? Nachtzuschläge? Für Vanessa D. sind das alles Fremdwörter. Dabei arbeitet sie auch im Einzelhandel: Doch während die fest angestellten Kassierer tagsüber mindestens 9,89 verdienen und nachts zwischen 15 und 20 Euro pro Stunde, muss sie sich mit sehr viel weniger begnügen:


Vanessa D.
„Ich hab gearbeitet bei Kaiser’s-Filialen, hab 5 Euro die Stunde gekriegt. Hab damals noch mit Packen angefangen gehabt und bin erst später zur Kasse rüber gewechselt.“
KLARTEXT
„Und was haben Sie gekriegt?“
Vanessa D.
„Auch 5 Euro. Immer nur 5 Euro Stundenlohn.“

5 Euro Stundenlohn laut Vertrag – bei einem Tariflohn von 9,89? Wie kann das sein?

Der Trick: Vanessa D. war gar nicht bei Kaiser’s angestellt. Ihr Arbeitgeber:
die Firma AS-GmbH Packdienstleistungen - laut Internet- ein „Partner für personalintensive Serviceleistungen“.

Gern hätten wir diese drei Herren - bis vor kurzem Gesellschafter und Geschäftsführer bei verschiedenen AS-Unternehmen - gefragt, was sie da anbieten. Doch: niemand war für KLARTEXT zu sprechen.

Aus dem Internet geht hervor: bei AS kann man als Packer, als Kassierer, sogar als Mitarbeiter im Verkauf arbeiten.

Vor allem abends nach 20.00 sind die AS-ler im Einsatz: bei Kaiser’s sitzen sie an der Kasse, füllen die Regale, geben Ratsuchenden Einkaufstipps.

Vanessa D.
„Also abends um acht kommt dann die AS-Truppe, löst die anderen Kaiser’s Leute alle ab und zum Schluss ist eigentlich nur noch ein Filialleiter da, der denn mit aufpasst und seine Dienste mitmacht und wir haben das Kassenteam und das Packteam und so ist eigentlich nur noch AS im Laden.“

Und so funktioniert der Deal: Der Einzelhändler Kaiser’s gibt der Firma AS den Auftrag, abends das Einräumen und Kassieren zu erledigen. Um acht geht AS mit eigenen Leuten in den Supermarkt, um dort den Auftrag zu erfüllen.

Kaiser’s ist dann quasi nur noch die Hülle: bis auf den Filialleiter arbeitet hier abends oft nur noch die Fremdfirma.

AS sagt von sich selbst, kein Einzelhändler zu sein, sondern Logistikdienstleister. Deswegen – so die Firma - müsste sie ihren Angestellten auch nicht den Einzelhandels -Tariflohn zahlen. Stattdessen eben: 5 Euro.

Vanessa D.
„Ich brauch das Geld und wie gesagt, man ist heutzutage zu oft angewiesen auf Geld und wie gesagt, und so einen Job einfach mal so schnell zu finden, ist nun mal nicht das Wahre.“

Peter Schüren ist Arbeitsrechtler an der Universität in Münster. Er beobachtet seit Jahren den Abbau scheinbar selbstverständlicher Arbeitnehmerrechte. Er hält den Lohn von Vanessa D. für einen sittenwidrigen Dumpinglohn.

Professor Peter Schüren, Westfälische Wilhelms-Universität Münster
„Ein Dumpinglohn liegt dann vor, wenn für die gleiche Arbeit normalerweise erheblich mehr bezahlt wird. Wenn zum Beispiel in der Branche 10 Euro üblich sind und jemand bekommt 6 Euro, dann wären die 6 Euro ein Dumpinglohn.“

Genau so sah es jetzt auch das Landesarbeitsgericht in Bremen. Eine Mitarbeiterin von AS hatte dort geklagt. Und sie bekam Recht, weil der AS-Lohn von 5 Euro um mehr als ein Drittel niedriger ist als der damals in Bremen übliche Tariflohn von 9,70 Euro. Im Urteil heißt es, Zitat:
„Die Entgeltvereinbarung ist wegen Verstoßes gegen die guten Sitten (…) unwirksam.“

Dieses Urteil ist zwar noch nicht rechtskräftig, aber:

Prof. Peter Schüren, Westfälische Wilhelms-Universität Münster
„Das hat böse Konsequenzen. Denn wer sittenwidrig vergütet, dessen Vergütungsregelung ist unwirksam. Und er schuldet die übliche Vergütung. Die hat er dann nicht bezahlt und damit hat er seine Arbeitnehmer um ihren ihnen zustehenden Lohn geprellt.“

Vanessa D. könnte also möglicher Weise von AS die Nachzahlung von fast 100% Lohn verlangen. Doch in ihrer Firma hat niemand sie über das Bremer Urteil informiert.

Vanessa D.
„Ich habe von dem Urteil leider nichts gehört gehabt. Weil, wenn ich daran denke, dass ich hätte das Doppelte verdienen können, dann hätte ich bestimmt nicht für 5 Euro gearbeitet.“

Vor wenigen Tagen wurde das Urteil zugestellt. Kurze Zeit später war die Firma AS GmbH Packdienstleistungen für ihre Mitarbeiter nicht mehr zu sprechen. Nur so viel sickert durch: die Mitarbeiter sollten sich doch möglichst bald einen neuen Arbeitgeber suchen.

Allzu schwierig dürfte das nicht sein, schließlich stehen reihenweise andere Anbieter bereit, die entstandene Lücke zu füllen.

Die Firma Easy-Work zum Beispiel. Auch sie arbeitet nach dem gleichen Geschäftsmodell – auch bei Kaiser’s - und auch sie zahlt deutlich weniger als den Tariflohn. Eine Mitarbeiterin, die unerkannt bleiben möchte:

Mitarbeiterin Easy-Work
„Also, ich habe einen Vertrag bei Easy-Work, und ich werde dort ausgeliehen zu einer Supermarktkette und ich bin angestellt als Kassiererin, verdiene 5 Euro die Stunde plus 95 Cent Urlaubszuschlag.“

Kaiser’s wollte sich übrigens: vor der Kamera nicht zum Geschäftsmodell AS äußern.

Und die Gewerkschaft? Seit einem Jahr hat sie sich nicht um die Dumpinglohn-Arbeiter gekümmert. Jetzt erst – nach den KLARTEXT-Recherchen hat ver.di versprochen, Kaiser’s demnächst einen Besuch abzustatten.