Patrizia Schlesinger. Bild: Britta Pedersen/dpa-Zentralbild
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Affäre beim rbb - Wie konnte es dazu kommen?

Ein privates Dinner auf Kosten der Gebührenzahler, ein lukrativer Auftrag für den Ehemann oder Luxus-Reisen ins Ausland – die Liste der möglichen Verfehlungen von Patricia Schlesinger wird immer länger. Auch zwei Monate nachdem Business Insider erstmals über die inzwischen gefeuerte rbb-Intendantin berichtet hatte, kommen weiter neue Vorwürfe ans Licht. Zusammen mit rbb-Kollegen recherchiert Kontraste seit einiger Zeit im eigenen Haus, um Licht in das undurchsichtige Netz aus Verschwendung, Verfehlungen und mangelnder Kontrolle zu bringen. Denn auch wir fragen uns: Konnte die Intendantin über Jahre nahezu ungehindert schalten und walten, wie sie wollte? Welche Versäumnisse gab es bei der Kontrolle durch Rundfunk- und Verwaltungsrat? Welche Mitarbeiter haben von den Verfehlungen gewusst?

Anmoderation: So, das wird jetzt wehtun – vor allem uns. Wir berichten hier Sendung für Sendung über die, die ihre Machtposition ausgenutzt haben, verschwenderisch mit öffentlichen Geldern umgegangen sind, in Hinterzimmern Deals stricken – nun ist all das mutmaßlich auch hier bei uns passiert. Drei Stockwerke über uns. Auf der Etage der ehemaligen Intendantin Patricia Schlesinger. Eine Frau, die viel bewegt hat im Haus, auf der viel Hoffnung lag - und die am Ende so viele enttäuscht hat. Die Liste der Vorwürfe ist lang - viele sind von anderen aufgedeckt worden. Und uns bleibt jetzt nur eins. Wir müssen uns da durchackern. Heute - zwei Monate nachdem die ersten Details ans Licht kamen – ist klar: Diese Geschichte ist noch lange nicht zu Ende erzählt. Wir erzählen sie mit dem eigens gegründeten rbb-Recherchetam weiter.

So begann alles einmal, vor ziemlich genau sechs Jahren:

"Guten Morgen, ich komme jetzt öfter.”

Erster Arbeitstag von Patricia Schlesinger als Intendantin des Rundfunks Berlin-Brandenburg. Empfangen als Hoffnungsträgerin: eine renommierte Journalistin, den meisten bekannt als ehemalige Panorama-Moderatorin, die Korruption und Missstände anprangert.

Patricia Schlesinger, 28.5.1998

"Üppige Spesen- und Reisekostenregelungen, sehr gute Arbeitsbedingungen mit vielen Möglichkeiten, so ganz nebenbei noch Geld zu machen – all das reizt, immer mehr herauszuschlagen."

Vor zwei Wochen dann der eilige Abgang nach fristloser Kündigung – und der rbb zurückgelassen in der größten Krise seines Bestehens. Auslöser waren Recherchen der Nachrichtenseite Business Insider.

Unter anderem geht es um dubiose Beraterverträge, mutmaßlich private Essen auf rbb-Kosten und um den Vorwurf der Verschwendung von Beitragsgeldern.

Vor Ort Recherche im eigenen Haus. Drei Stockwerke über unserer Kontraste-Redaktion ist die rbb-Chefetage, wo Patricia Schlesinger noch bis vor kurzem saß. Die Räume ließ Schlesinger für insgesamt 1,4 Millionen Euro umbauen. Wie vielerorts im rbb bestand hier Sanierungsbedarf – so manche Ausgabe weckt aber Zweifel an der Verhältnismäßigkeit.

Etwa dieser Tresen in der Teeküche der Intendanz, eine Spezialanfertigung für 18.683 Euro. Auch für die Küche selbst liegt die Rechnung vor. Es waren noch einmal 18.750 Euro

Im Büro unserer ehemaligen Intendantin für 17.000 Euro hochwertiges italienisches Bio-Parkett. Und nebenan eine Wanddekoration mit stilisierten Basketballkörben. Kosten: mehr als 10.000 Euro Beitragsgelder.

Als Intendantin genoss Schlesinger Annehmlichkeiten. Dazu gehörte als Dienstwagen ein Audi A8 mit Chauffeur, den sie auch privat nutzen durfte. Privilegien, die möglicherweise die Trennung zwischen privat und dienstlich verwischt haben.

Im September 2021 etwa reist Schlesinger mit Ehemann und vier Freunden nach London zum Sheriff's Ball, einem exklusiven Wohltätigkeitsball. Auf dem Programm stand wohl auch eine Privatführung durch ein Museum. Schlesinger rechnete beim rbb mehr als 900 Euro für die Reise ab, der dienstliche Anlass bleibt unklar.

Es gelingt uns, darüber mit einer Person zu sprechen, die nicht erkannt werden will und längere Zeit für Patricia Schlesinger gearbeitet hat. Sie erzählt, Mitarbeitende in der Intendanz seien tagelang mit der Vorbereitung des London-Trips beschäftigt gewesen.

"Es gab ein hohes Aufkommen von E-Mail-Verkehr dazu, weil für diese Reisegruppe viele Dinge organisiert werden mussten. Wer hat die Tickets? Wer kümmert sich um die Corona Tests? In welchem Hotel sind wir? Wenn mehrere Personen damit beschäftigt sind, sich um Privatangelegenheiten für Schlesinger zu kümmern, dann folgt daraus ja, dass sie sich in der gleichen Zeit nicht um rbb-Belange kümmern können."

Über ihren Anwalt lässt uns Schlesinger ausrichten: Da sie keine Einsicht mehr in die Akten beim rbb habe, könne sie sich zu Details der Reise und ihrer Vorbereitung nicht äußern.

Vor dem Rundfunkrat aber sagte sie allgemein zur Kritik an ihrer Amtsführung:

"Vieles war im Täglichen für mich selbstverständlich geworden. Zu selbstverständlich. Ich habe manches übersehen, auch und gerade den Unmut der Mitarbeitenden. Das tut mir unendlich leid - professionell wie menschlich."

Aus internen Dokumenten ergeben sich weitere Vorwürfe: Schlesinger rechnete neun üppige Abendessen in ihrer Privatwohnung über den rbb ab. Darunter ein Dinner, zu dem auch die Berliner Polizeipräsidentin geladen war. Die streitet einen dienstlichen Hintergrund ab.

Barbara Slowik, Polizeipräsidentin Berlin

"Ich wurde eingeladen zur Einweihung der neuen Wohnung mit Freunden. Und so war die Atmosphäre, so war die Stimmung. Meine Gespräche waren rein privater Natur."

Schlesinger sagt, sie habe die Bewirtung im Interesse des rbb durchgeführt.

Auch die Geschäftsführerin der Berlinale, Mariette Rissenbeek, war zu Gast in Schlesingers Wohnung. Laut RBB-Abrechnung angeblich in Begleitung. Rissenbeek aber versichert, sie sei allein, der Dritte im Bunde in Wirklichkeit Schlesingers Ehemann Gerhard Spörl gewesen. Hier spricht die Ex-Intendantin von einem Abrechnungsfehler.

Wir treffen eine weitere Person aus dem rbb. Auch sie möchte anonym bleiben. Sie erzählt uns, es habe Versuche gegeben, Patricia Schlesinger einzufangen. Vor allem die hohen Spesen sorgten für Unmut.

"Rechnungen über mehrere hundert Euro waren keine Seltenheit. Sie hat ihre Gesprächspartner häufig eingeladen und wollte das auch nicht ändern. Das Rechnungswesen wusste von den Summen und hat gemeinsam mit anderen Stellen im Haus wiederholt darauf aufmerksam gemacht, dass das nicht geht, vor allem in der Häufigkeit. Patricia Schlesinger hat das nicht interessiert. Abgerechnet hat Sie dann trotzdem, eigenverantwortlich."

Schlesingers Anwalt sagt dazu, es sei falsch, dass Bewirtungen für mehrere hundert Euro keine Seltenheit gewesen und sie immer wieder ermahnt worden sei.

Eigenmächtige Ausgaben – sie waren möglich, weil im rbb das sogenannte Intendantenprinzip gilt: Verkürzt bedeutet es: Schlesinger konnte sich ihre Spesen selbst genehmigen, sie war ihre eigene Kontrolleurin. Ein Umstand, der selbst im Haus vielen nicht bewusst war, auch nicht der Personalrats-Vorsitzenden Sabine Jauer.

Sabine Jauer, Personalratsvorsitzende rbb

"Wir haben alle gelernt, dass wir hier eine Intendantinnen-Verordnung haben, wonach bislang Frau Schlesinger ohne Kontrolle schalten und walten konnte."

Kontraste

"Das war ihnen bislang nicht bekannt?"

Sabine Jauer, Personalratsvorsitzende rbb

"Nein. Ich habe auch den Begriff Intendantinnenverfassung bis dato nie gehört."

Kontraste

"Und faktisch hieß das, Frau Schlesinger zeichnet sich ihre eigenen Belege ab?"

Sabine Jauer, Personalratsvorsitzende rbb

"Ja."

Kontraste

"Wie kann das sein?"

Sabine Jauer, Personalratsvorsitzende rbb

"Ja, ich habe davon nichts gewusst. Wir haben ja in der Regel mindestens zwei, die abzeichnen müssen. Ja, es ist irre, es ist irre."

Schlesingers Dienstvertrag ausgehandelt hat dieser Mann, mittlerweile ebenfalls zurückgetreten: Wolf-Dieter Wolf, Immobilien-Unternehmer und neun Jahre lang Vorsitzender des rbb-Verwaltungsrats. Das Gremium soll die Sender-Spitze kontrollieren. Die Mitglieder arbeiten ehrenamtlich, treffen sich nur alle zwei Monate.

Als Vertreterin des Personalrats war zuletzt auch Sabine Jauer mit dabei. Wolf hat sie als unangefochtenen Chef erlebt, der Vieles im Alleingang regelte.

Sabine Jauer, Personalratsvorsitzende rbb

"Herr Wolf hat in einem persönlichen Bericht zu Beginn der Sitzungen diese streng und noch strenger vertraulichen Dinge in einem Affentempo vorgetragen. Ich war in der Regel dann damit bemüht, mir die wichtigsten Dinge mitzuschreiben. Es wurde nur so: Alle einverstanden? Und dann gehen wir zum nächsten Thema."

Die Intendantin und ihr oberster Kontrolleur pflegten offenbar ein vertrautes Verhältnis.

Belegt ist etwa ein gemeinsames Dinner im Charlottenburger Restaurant Belmondo. Beim Nobel-Franzosen, der mit diesem Video wirbt, speisten sie – in Begleitung von Wolfs Ehefrau - für 360 Euro. Die Rechnung des Trios übernahmen die Beitragszahlenden.

Sogar eine gemeinsame Reise hatten Schlesinger und das Ehepaar Wolf geplant: Ziel war Jerusalem. Im 5-Sterne-Hotel "The American Colony" wurden mit rbb-Kreditkarte schon ein Deluxe-Pasha-Zimmer und für die Wolfs eine Suite gebucht. Wegen Corona fiel die Reise dann aber aus – es bleibt daher unklar, wie sie abgerechnet worden wäre. Wolf äußert sich derzeit nicht gegenüber Medien.

Wie weit die Verbindung ging, interessiert mittlerweile auch die Berliner Generalstaatsanwaltschaft. Sie ermittelt gegen Wolf, Schlesinger und ihren Ehemann Spörl wegen des Verdachts der Vorteilsannahme. Spörl hat laut Berichten von Business Insider von der Messe Berlin Aufträge im Wert von insgesamt mehr als 100.000 Euro bekommen. Aufsichtsrat der Messe war zu der Zeit Wolf-Dieter-Wolf, der bestreitet, mit der Vergabe etwas zu tun zu haben.

Unstrittig dagegen Wolfs Engagement bei einem Großprojekt des rbb: dem Bau eines neuen Medienhauses. Den Entwurf beschrieb die Intendantin 2020 so:

Patricia Schlesinger

"Die Funktionalität des Gebäudes war für uns das oberste Prinzip, gleichzeitig muss es auch etwas sein, was zu uns passt, zum rbb, zu seinem Auftritt und zu seinem Selbstverständnis."

Und Wolf war mit seinen Kontakten in die Immobilienbranche zur Stelle.

So empfiehlt ein Bekannter von ihm eine Beratungsfirma für das Prestigeobjekt. Laut Kontraste vorliegenden Verträgen vereinbarte man einen pauschalen Tagessatz von 2.500 Euro netto.

Zwei Mal verlängert der rbb den Vertrag. Dann endet die Zusammenarbeit – offiziell: Eine weitere Beauftragung hätte wegen der hohen Gesamtsumme ausgeschrieben werden müssen. Doch die Beratungsfirma bleibt.

Sie steht sogar im Entwurf des Projekthandbuchs – als beim Digitalen Medienhaus immer noch verantwortlich für "strategische Beratung".

Das fällt auch der Geschäftsleitung des rbb auf. Auszug aus einem vertraulichen Sitzungsprotokoll:

Es ist "problematisch, dass nach wie vor [der Berater] überall genannt ist, [er] sollte da vorübergehend zumindest rausfallen."

Die Beratungsfirma wird jetzt als Subunternehmer beschäftigt – von einer Anwaltskanzlei, die für den rbb arbeitet. Davon will die Geschäftsleitung nichts gewusst haben.

Außerdem bekommen die Berater einen Vertrag mit der rbb media GmbH, einer Tochterfirma des Senders. Eine Rechnung des Beraters landet dennoch unmittelbar beim rbb. Offenbar ein Verstoß gegen das Vergaberecht.

(In einer früheren Version hieß es, die rbb media GmbH habe dem rbb Beratungsleistungen in Rechnung gestellt. Tatsächlich stellte die Beratungsfirma Leistungen dem rbb in Rechnung.)

Im Dezember 2021 engagiert der rbb die Beratungsfirma dann wieder selbst – wieder ohne Ausschreibung. Bis heute kassierte die Firma mehr als eine halbe Million Euro.

Die rbb-Spitze will sich zu dem Vorgang wegen der laufenden staatsanwaltschaftlichen Ermittlungen nicht äußern. Schlesingers Anwalt verweist erneut auf fehlende Akteneinsicht seiner Mandantin.

Das geplante Medienhaus steht nun trotz der teuren Berater vor dem Aus. Denn die geschätzten Kosten sind explodiert – von einmal avisierten 117 Millionen Euro auf nun 188 Millionen Euro.

Eine Zahl, über die der Verwaltungsrat erst an diesem Dienstag informiert wurde, obwohl die die rbb-Spitze von dieser Größenordnung seit Monaten wusste. Eine interne Präsentation weist mit Stand vom 22. März geschätzte Baukosten von 165 Millionen Euro plus 20 Millionen Euro für Technik aus. Der Finanzchef des rbb erklärte dazu heute in einer Belegschaftsversammlung, er habe die Ansage gehabt, darüber - so wörtlich - die Klappe zu halten. Von wem, ließ er offen.

Die zur neuen Vorsitzenden des Verwaltungsrates aufgerückte Dorette König fühlt sich hinters Licht geführt.

Dorette König, Vorsitzende rbb-Verwaltugsrat

"Natürlich waren wir erschüttert, wie ganz bewusst Informationen uns vorenthalten worden sind mit der Zielsetzung, nicht das digitale Medienhaus generell in Frage zu stellen in Bezug auf die Finanzierbarkeit und Realisierbarkeit."

Auch in dieser Angelegenheit verweist der Anwalt von Patricia Schlesinger auf die fehlende Akteneinsicht seiner Mandantin.

Sechseinhalb Millionen Euro hat der rbb bereits für die Planung des Medienhauses ausgegeben. Viel spricht dafür: Zum Fenster hinausgeworfenes Geld. Statt eines Denkmals hinterlässt Patricia Schlesinger einen Scherbenhaufen – finanziell wie moralisch.

Beitrag von Susett Kleine, Daniel Laufer, Markus Pohl und Daniel Schmidthäussler

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