Angst vor steigenden Energiekosten -
Inflation, Energieknappheit, der Krieg gegen die Ukraine – in der Bevölkerung wächst der Unmut über das schleppende Krisenmanagement der Bundesregierung. Die Menschen gehen wieder vermehrt auf die Straße, um ihrem Unmut Luft zu machen: Bundeskanzler Olaf Scholz wurde kürzlich in Neuruppin regelrecht vom Markplatz geschrien. Berechtigte Wut und Nöte, die sich Querdenker und Rechtsradikale zu Nutze machen. Seit Wochen schüren die Freien Sachsen über ihre Telegram-Kanäle die Angst vor steigenden Energiekosten. Auch das rechtsextreme Compact-Magazin scheint sich auf einen „heißen Herbst“ regelrecht zu freuen. Führende Politiker und Verfassungsschützer warnen nun vor einer explosiven Stimmung. Was braut sich da zusammen? Und wer orchestriert die Proteste, mit welchem Ziel?
Anmoderation: Heute beschäftigt uns der Skandal im eigenen Haus, eine Geiselnahme, die weiterlief, obwohl die GSG9 sie beenden sollte. Und dieser mächtige Fehlschlag: Der Kanzler, sein Vize, der Finanzminister gerade bei ihrer Regierungsklausur. Just an dem Tag, an dem mit dem Neun-Euro-Ticket und dem Tankrabatt zwei bedeutende Entlastungen wegfallen - und ausgerechnet jetzt, wo die Belastungen für alle immer spürbarer werden. Und sie hatten nichts als vage Ankündigungen um die Wucht dieser Wirtschaftskrise abzufedern. Und längst machen sich einige auf, genau diese unsichere Stimmung für sich zu nutzen. Über den drohenden Wutwinter berichten Silvio Duwe, Maria Caroline Wölfle und David Zauner.
Olaf Scholz zu Besuch in Neuruppin. Bei einem Bürgergespräch will er sich den Fragen der Menschen stellen. Doch die meisten hier wollen gar nicht reden.
"Hau ab, hau ab!"
"Buh!"
Demonstrant 1
"Die sitzen in ihrer Blase und die wollen nichts von uns wissen. Von uns einfachen Bürgern wollen die nichts mehr wissen."
Demonstrantin 2
"Die Leute müssen immer mehr sparen. Man wird als Mensch momentan komplett entmündigt."
Demonstrant 3
"Diese Regierung hat mich also als Bürger verloren, denn ich kann mit denen nichts mehr anfangen."
Doch in Neuruppin protestieren nicht nur Bürger mit berechtigten Sorgen. Auch die rechte Szene versammelt sich. Angeheizt wird die Stimmung hier auch von der AfD.
Birgit Bessin (AfD), Landtagsabgeordnete Brandenburg
"Und ich frage euch, liebe Freunde: wollt ihr alle frieren? Wollt ihr etwa hungern im Winter?"
"Nein!"
Aufrufe zu Protesten gibt es schon seit Wochen, vor allem auf dem Messengerdienst Telegram, wo Kanäle wie etwa "Freie Sachsen" bis zu 150.000 Abonnenten erreichen. Dort kursieren auch zahlreiche Videos, in denen Politiker bepöbelt oder niedergebrüllt werden.
Der Extremismusforscher Matthias Quent sieht dahinter eine klare Strategie vom rechten Rand.
Prof. Matthias Quent, Soziologe, Hochschule Magdeburg-Stendal
"Aufgrund der sozial brenzligen Situation ist das Risiko, dass das gelingt, dass sie diese Proteste, diese Themen instrumentalisieren und besetzen können, leider sehr groß. Insofern ist davon auszugehen, dass wir es auch in den kommenden Monaten mit gewalttätigen Prozessen, mit Radikalisierungen zu tun haben."
Aber wer genau steuert die aktuellen Proteste und mit welchem Ziel? Welches Gefahrenpotential geht von ihnen aus? Wir recherchieren in der Szene.
Besonders auffällig: rechte Medien wie "Auf1" oder das vom Verfassungsschutz als "gesichert extremistisch" eingestufte Compact Magazin.
Kontraste
"Sie haben mit dem Compact Magazin jetzt keine Berührungsängste?"
Demonstrant
"Das hat meine Tochter von irgendjemanden bekommen. Das Compact Magazin macht gute Arbeit, bessere Arbeit als Sie. Journalistische Arbeit, die Sie anscheinend niemals gelernt haben. Ich hoffe, dass Sie das ausstrahlen. Ja."
Eine Woche später, am Rande des Bürgerdialogs mit dem Kanzler in Magdeburg, sprechen wir den szenebekannten YouTubern Ilia Tabere auf den viel beschworenen "Wutwinter" an:
Ilia Tabere, Streamer
"Ich hoffe natürlich nicht auf einen Wutwinter. Weil Sie wollen sich nicht vorstellen, was die Menschen mit ihnen anstellen werden - und der Bundesregierung - wenn es tatsächlich zu einem Wutwinter kommt.
Einen Tag später: Ein Sommerfest in Gera. Es gibt Live-Musik, Grillwurst und Hüpfburgen – ein Familienspaß mit Info-Ständen von AfD, Freie Sachsen, Freie Jugend und der BASIS – also von rechtsradikalen und verschwörungsideologischen Parteien und Gruppen. Im Publikum - der ehemalige NPD-Funktionär Frank Rohleder.
Auch der Organisator Christian Klar ist einschlägig bekannt und in der rechtsradikalen Szene bestens vernetzt.
Abseits der Bühne verteilt Klar CDs des völkischen Liedermachers Frank Rennicke. Der war zweimal NPD-Kandidat für das Amt des Bundespräsidenten. Hier gibt er seinen Fans Autogramme.
Als wir die Szene filmen, kippt die Stimmung.
Kontraste
"Warum verkaufen Sie hier CDs von Frank Rennicke?"
Frank Rennicke
"Ich verkaufe sie nicht, ich verschenke gerade eine."
Christian Klar
"Weil ich das liebend gerne mach."
Kontraste
"Das heißt, seine Nähe zur NPD ist kein Problem für Sie?"
Christian Klar
"Nein. Bei Ihnen ist man ja schon ein Nazi, wenn man pünktlich auf Arbeit kommt."
Klar und Rennicke missfällt offenbar, dass wir ihre Verbindung dokumentieren. Wir sollen den Platz verlassen, werden bedrängt.
Frank Rennicke
"Du bist genauso wie der andere Kollege. Bist den ganzen Tag hinter mir her. Wieso machst'n das? Bist du pervers? Stehst du auf Männer? Was soll denn das?"
Gefeiert von rund 300 Gästen und Christian Klar betritt Rennicke dann die Bühne. Und singt von einem Mädchen, das sich noch nach Kriegsende für Hitlerdeutschland geopfert habe.
Rennicke singt
"Ihr Leib war zerschossen, die Lippen ganz bleich, sie starb noch am Abend für die Fahne vom Reich."
Das offen rechte Sommerfest in Gera – es endet mit einem Feuerwerk. Die Szene feiert die eigene Stärke.
Eine Stärke, die auch daher rührt, dass ehemals konkurrierende rechte Gruppen zusammenarbeiten, wie der thüringische Verfassungsschutzpräsident beobachtet.
Stephan J. Kramer, Verfasssungsschutzpräsident Thüringen
"Wir erleben, dass selbst Hooligan Gruppierungen, die ansonsten doch noch mal eine ganz besondere Rolle auch innerhalb der rechtsextremistischen Szene gespielt haben, an der Spitze, quasi als Bollwerk für die dahinter demonstrierenden intellektuellen neurechten Extremisten zur Verfügung gestanden haben und hier also wirklich Schulterschlüsse funktioniert haben, die so zunächst nicht vorstellbar waren."
Diese Schulterschlüsse zeigen sich deutlich beim Sommerfest des "Compact Magazins". Auf einem ehemaligen Rittergut in Sachsen-Anhalt vernetzen sich führende Köpfe der Neuen und Alten Rechten und Verschwörungsideologen.
Auch Christian Klar und Frank Rennicke sind wieder dabei.
Frank Rennicke
"Das Geschmeiß von gestern."
Wir fragen den ehemaligen AfD-ler und Hausherren André Poggenburg nach dem Zweck dieses Treffens.
Kontraste
"Es gibt ja einige Redner, die heute hier auftreten, die auch vom Umsturz reden, von dem System danach. Also ist das auch ein Ziel?"
André Poggenburg, parteilos
"Dass jetzt gesagt wird, es könnte einen Umsturz geben, das mag ja sein. Aber ähnlich hat sich ja selbst schon Baerbock geäußert, mit Volksaufständen. Es ist ja kein Verbrechen, eine Möglichkeit, ein Szenario zu diskutieren?"
Während wir draußen bleiben müssen, darf der YouTuber Ilia Tabere rein. Wir kennen ihn schon aus Magdeburg. Er filmt auch diese Veranstaltung. Streamt live und trägt damit die gefährliche Botschaft von Gastgeber Jürgen Elsässer in die Welt.
Jürgen Elsässer
"Ich bin Deutscher und ich will nicht zulassen, dass unser schönes Deutschland vor die Hunde geht. Und es wird vor die Hunde gehen, wenn wir dieses Regime nicht stürzen."
Querdenker, Freie Sachsen, Identitäre Bewegung und AfD - es ist kein Zufall, dass sie sich gerade jetzt zusammenschließen, meint Rechtsextremismusexperte Matthias Quent.
Prof. Matthias Quent, Soziologe, Hochschule Magdeburg-Stendal
"Die faschistischen Bewegungen des 20. Jahrhunderts und auch der heutige Rechtsextremismus wird häufig als ein Krisenphänomen bezeichnet. Also als Bewegung, die immer dann an die Macht kommt, wenn das Bestehende in eine Krise verfällt. Insofern hoffen rechtsextreme Akteure, dass eine Krise kommt, aus der sie gestärkt, aus der sie vielleicht sogar mit Machtoption hervorgehen können."
Dafür täuschen sie sogar eine Art Bündnis mit der Linkspartei vor. Die ruft für den kommenden Montag zum Protest in Leipzig auf. Genauso wie die Freien Sachsen. Die dafür unter anderem mit Gregor Gysi werben. So erwecken sie den Eindruck, als mache man gemeinsame Sache.
Doch ob der rechte Traum vom deutschen Wutwinter tatsächlich wahr wird, ist noch längst nicht klar. Vieles wird davon abhängen, wie sich Inflation, Energieversorgung und die Corona-Lage in diesem Herbst entwickeln. Und wie klug die Politik darauf reagiert.
Beitrag von Silvio Duwe, Maria Caroline Wölfle und David Zauner