Putins Diktatur -
Unter Putins Regime führt Russland seit Monaten einen erbarmungslosen Krieg gegen die Ukraine und sendet dabei regelmäßig Allmachtsphantasien und Drohgebärden gen Westen. Doch welche Ideologie steckt hinter Putins Herrschaft und seinem Angriffskrieg? Kann man gar von einem russischen Faschismus sprechen, wie es etwa die Historikerin Anne Applebaum macht? Jedenfalls beruft sich Putin selbst bei seinem Handeln auf den faschistischen Denker und Philosophen Iwan Iljin. Und das russische Staatsfernsehen verbreitet offen Vernichtungsphantasien, nicht nur gegen die Ukraine, sondern den Westen und dessen liberale Werte. Zudem verbreiten prominente Politiker wüste Verschwörungserzählungen, wonach das russische Imperium einst große Teile der Welt beherrschte, der Westen diese glorreiche Vergangenheit aber aus den Geschichtsbüchern gestrichen habe. Das Ziel: ein eurasischer Großraum unter russischer Führung?
Anmoderation: Putin wurde schon als vieles bezeichnet: Als lupenreiner Demokrat, als Mörder, Kriegsverbrecher ... und in letzter Zeit kommt ein Wort vielen häufiger in den Sinn: Putin sei ein Faschist, er habe sein Land in den Faschismus geführt. Klar, da wären die allzu offensichtlichen Indizien, die unfreien Wahlen, der Allmachtsanspruch, der wenig zimperliche Umgang mit Oppositionellen im Land. Aber: Kann man das wirklich so sagen - darf man Putin einen Faschisten nennen? Wir haben uns umgehört und erstaunliches aus dem Russland dieser Tage erfahren - in dem nicht wenige die eigene Geschichte um eintausend Jahre verlängern wollen ...
Es sind Bilder, die an Zeiten des Faschismus erinnern. Es sind Hassbotschaften gegen Andersdenkende, gegen vermeintliche Feinde im In- und Ausland.
Wladimir Putin
"Bastarde und Verräter – werden wir ausspucken wie eine zufällig in den Mund geflogene Fliege."
Apti Alaudinov
"Es ist der heilige Krieg, von dem unsere Heiligen und Ältesten sprachen."
Unter Putins Diktatur führt Russland einen erbarmungslosen Krieg gegen seinen Nachbarn und sendet immer wieder Drohgebärden gen Westen.
Karen Schachnasarow
"Wenn nötig, wird es Konzentrationslager geben, Umerziehung, Sterilisation."
Wladimir Solowjew
"Es ist ein langer Kampf, in dem wir die Fragen beantworten, was wir vom Westen übriglassen!"
Und ihr Präsident ist überzeugt von der biologischen Überlegenheit des russländischen Volkes.
Wladimir Putin
"Unser genetischer Code ist höchstwahrscheinlich einer unserer größten Wettbewerbsvorteile in der heutigen Welt."
Propaganda Video
"Für Russland, für den Präsidenten, für Russland, für Russland! für Putin!"
Westliche Experten fällen ein vernichtendes Urteil – wie die Historikerin und Pulitzerpreisträgerin Anne Applebaum.
Anne Applebaum
"The attempt to erase the Ukrainians, to eliminate Ukraine from the map, to commit genocide in Ukraine, all of this is fascist. It should remind us of Hitler's Germany.”
Anne Applebaum, Historikerin
"Der Versuch die Ukrainer auszulöschen, die Ukraine von der Karte zu eliminieren, Genozid in der Ukraine zu begehen, all das ist faschistisch und sollte uns an Hitlers Deutschland erinnern.”
Handelt es sich also bei Putins Herrschaft um Faschismus, und wenn ja wie faschistisch ist das Regime? Der deutsch-israelische Historiker Dan Diner sagt, dass der Begriff des Faschismus eigentlich der Epoche nach dem Ersten Weltkrieg zugeordnet ist.
Dan Diner, Historiker
"Wobei es natürlich große Unterschiede gibt zwischen dem deutschen Nationalsozialismus, dem italienischen Faschismus und dann eben den Regimen in Mittel/Ostmitteleuropa, die einen faschistoiden Charakter hatten wie in Rumänien oder Ungarn. Heutzutage wird der Begriff relativ unspezifisch verwandt. Wir meinen eigentlich damit was Schlimmes, was Böses, was Arges."
Doch welcher Ideologie bedient sich der russische Präsident, welche Denker beeinflussen sein Handeln?
Wladimir Putin
"Ich lese Iljin. Lese ihn immer noch. Sein Buch steht bei mir im Bücherregal und ab zu hole ich es raus und blätter durch."
Iwan Iljin – war ein russischer Philosoph der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Er floh aus der Sowjetunion und begeisterte sich für den Faschismus. Auch nach dem Ende des 2. Weltkriegs hielt seine Bewunderung an:
Zitat: "Schließlich hatte der Faschismus insofern recht, als er aus einem gesunden national-patriotischen Gefühl entstand, ohne das kein Volk seine Existenz oder Kultur behaupten kann."
Putins Lieblingsdenker hält den Faschismus also für notwendig. Unter seiner Herrschaft werden 2005 die sterblichen Überreste Iljins aus der Schweiz nach Moskau gebracht und mit militärischen Ehren begraben. Später besucht er das Grab persönlich.
Der Slawistik-Professor Rainer Goldt sieht in dem Gedankengut Iljins eine wichtige Säule der russischen Staatsideologie.
Professor Rainer Goldt, Slawist
"Iljin war ohne Zweifel ein ganz überzeugter Antidemokrat und er hat hier auch seine Wirkung auf Putin entfaltet. Er huldigt einem Führerstaat."
Iljin ist Putin so wichtig, dass seine Verwaltung, laut russischen Medien, ein Buch des Philosophen an alle höheren Beamten verteilen lässt - wenige Wochen vor der Annexion der Krim.
Frei nach Iljins Führerstaat, hat Putin während seiner Herrschaft rechtsstaatliche Prinzipien ausgehöhlt. Der Staat, die Gesellschaft und die Medien – sie alle mussten sich dem Kreml fügen.
Anne Applebaum, Historikerin
"It's a system built around a single leader who is meant to have no flaws or faults and cannot be removed. There's no succession process. There's no way of legitimately criticising him. And there's no way of presenting any opposition."
"Das System ist auf einen einzelnen Führer zugeschnitten, der keine Fehler hat und nicht ausgetauscht werden kann. Es gibt keine geregelte Nachfolge. Es gibt keinen legitimen Weg, ihn zu kritisieren. Und es gibt keine Möglichkeit Widerspruch zu zeigen."
Gestützt wird Putins Alleinherrschaft durch eine aggressive Propaganda. Immer wieder greifen die wichtigsten Moderatoren des russischen Staatsfernsehens Oppositionelle und Andersdenkende an.
Wladimir Solowjow, Moderator
"Und mit diesen LGBT-Anhängern, Drogensüchtigen und Perversen sollen wir über Verfassungsänderungen diskutieren?”
Nach Beginn des Krieges in der Ukraine hat Putin die Repressionen weiter verschärft. Selbst ein leeres Blatt Papier, als Zeichen gegen den Krieg, wird in Putins Russland nicht mehr geduldet. Wer sich wagt den Krieg beim Namen zu nennen, dem drohen bis zu 15 Jahre Haft.
Zugleich fluten Videos wie dieses das Netz: Polizei und Volk im Einklang für das Z – Russlands Symbol für den Krieg in der Ukraine.
Video:
"Wir müssen dem Staat helfen, seine glorreiche Mission zu erfüllen, nicht stören, sondern inspirieren!"
Dennoch sei dieser Einklang trügerisch und vor allem nur Show: Reale Massenbewegungen seien nicht im Interesse des Kremls, sagt Wladislaw Inosemtzew. Er war jahrelang nah dran an der russischen Regierung, hat den Ex-Präsidenten Medwedew beraten.
Wladislaw Inosemtzew, ehem. Mitglied Wirtschaftsmodernisierungskommission
"Der klassische Faschismus verlangt eigentlich eine Mobilisierung der Massen. Die russische Version nicht. Sie will völlige Passivität. Alles was nicht vom Staat ausgeht, hat kein Recht auf Existenz."
Stattdessen setzt die Staatspropaganda auf Verschwörungsideologie. Im System Putin erfüllt sie eine wichtige Aufgabe.
Anne Applebaum, Historikerin
"Authoritarians need conspiracy theories because they need to hide reality from people. So the reality of Putin's Russia is that it's a profoundly corrupt autocracy where a very few people control almost all the wealth and resources of the society. People need something to blame and some explanation for why their lives are declining. And Putin has given the explanation that it is the fault of the West, is the fault of Western values, whatever that means.”
"Autoritäre Herrscher brauchen Verschwörungstheorien, weil sie die Realität vor dem Volk verbergen müssen. In der Realität ist Putins Russland eine durch und durch korrupte Autokratie, in der einige Wenige nahezu den gesamten Wohlstand und alle Ressourcen der Gesellschaft kontrollieren. Daher braucht das Volk jemanden, dem sie die Schuld geben können und eine Erklärung, warum sich ihr Leben verschlechtert. Und Putin hat ihnen erklärt, dass das alles die Schuld des Westens und der westlichen Werte ist."
Der Westen als allmächtiger Strippenzieher, darum geht es auch in der sogenannten Neuen Chronologie. Die Behauptung: bereits im 16. Jahrhundert hätten westliche Chronisten die Geschichte gefälscht und um 1.000 Jahre verlängert, um Russlands Bedeutung zu schmälern. Anatolij Fomenko, Mathematiker an der Moskauer Staatlichen Universität hat sich diese Verschwörung ausgedacht.
Wir treffen die Essayistin Elena Kostikowitsch. Die gebürtige Ukrainerin beschäftigt sich seit 20 Jahren mit Fomenkos Geschichtsfälschungen:
Elena Kostikowitsch, Essayistin
"Die zentrale Botschaft der Neue Chronologie ist, dass Russland was besonderes ist, weil Russen früher ganz Europa bevölkert haben und auch auf dem Gebiet Chinas waren Russen."
Dieses Video zeigt einen Vortrag Fomenkos: die Krim ist darin der Geburtsort Christi - und der europäische Kontinent wurde ursprünglich von Russen kolonialisiert. Die Neue Chronologie beschreibt also einen eurasischen Großraum unter russischer Führung. Es sind Gedanken, die auch von Politikern aufgegriffen werden: wie von Sergej Glasjew, einem Berater Putins. Im September 2020 schlägt er in einem Artikel vor, die Neue Chronologie als Basis für eine neue Geschichtsschreibung zu nutzen.
Sergej Glasjew
"Die Neue Chronologie eignet sich sehr um eine konsolidierende Ideologie zu formen.”
In dieser imperialen Vorstellung einer großartigen russischen Welt hat eine unabhängige Ukraine mit einer eigenständigen Geschichte keinen Platz, wie diese Bilder zeigen. Im Mai zerstörten mehrere russische Raketen ein Museum, das dem ukrainischen Nationalphilosophen Hryhori Skoworoda gewidmet ist.
Rainer Goldt, Slawist
"Die zielgerichtete Vernichtung des Museums in Skovorodynivka das weitab aller Frontlinien lag und auch weitab aller strategisch wichtigen Punkte. Es ist wirklich nur dieses Museum angegriffen und zerstört worden. Das ist ein ganz besonderes Fanal (...) Das zeigt eben, dass jetzt offenbar schon die Zeit auch der kulturellen Vernichtung der Ukraine angebrochen ist."
Russland, ein faschistoides Imperium, führt einen Vernichtungskrieg: gegen eine Gesellschaft, die sich für Demokratie und Selbstbestimmung entschieden hat – und allein dadurch zur Bedrohung für das System Putin geworden ist.
Beitrag von Silvio Duwe und David Hoffmann