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Fake-Klitschko - Videos im Auftrag des Kreml?

Seit Kontraste aufgedeckt hat, dass ein russisches Comedy-Duo für die Fake-Klitschko-Anrufe bei europäischen Politikern verantwortlich ist, geht es um die Frage: Wer steckt wirklich dahinter? Die Aktionen richteten sich vermehrt gegen Personen, die Russland kritisieren. Berlins Regierende Bürgermeisterin etwa, die auch auf das Duo reinfiel, spricht dementsprechend von 2moderner Kriegsführung" gegen Partner der Ukraine. Klar ist: Auch wenn sich die Komiker "Vovan" und "Lexus" seit Jahren als harmlose Spaßvögel verkaufen, sind ihre falschen Video-Anrufe stets im Sinne von Putins Propaganda. Dass sie von einem staatlichen Akteur finanziert werden, haben sie bislang immer bestritten. Im Kontraste-Interview geben sie nun erstmals zu, wer sie finanziert.

Anmoderation: Ihn, Vitali Klitschko. Kennt man. Die meisten haben wahrscheinlich sogar seine Stimme im Ohr, so prominent ist er hierzulande. Umso erstaunlicher also, dass DAS geklappt hat: Ein Telefonstreich per Videoschalte – das Bild von Klitschko fingierte da als eine Art Handpuppe der alles mögliche in den Mund gelegt wurde. Und die dann unter anderem der Regierenden Bürgermeisterin von Berlin, Franziska Giffey, falsche Tatsachen vorspielte. Unser Reporter hat herausgefunden, dass ein russisches Komikerduo hinter diesen Anrufen steckte - und: Dass die beiden mit Vorsicht zu genießen sind. Reicht der lange Arm von Putin bis in das Hoheitsgebiet des Humors? Daniel Laufer berichtet.

Das sind Wowan und Lexus, zwei Comedians aus Russland. Sie machen "Pranks", angeblich Scherzanrufe bei vor allem westlichen Prominenten, veröffentlichen Aufnahmen davon in ihrer Show auf einer russischen YouTube-Kopie: Rutube.

In den vergangenen Wochen haben sie Politiker:innen in ganz Europa heimgesucht.

Wowan, Wladimir Kusnezow:
"Wir haben uns im Namen von Kyjiws Bürgermeister Vitali Klitschko gemeldet."

Die Politiker:innen glauben, per Video mit dem echten Vitali Klitschko zu sprechen – aber sie reden mit einer Fälschung. Betroffen sind Berlins Regierende Bürgermeisterin Franziska Giffey und auch ihren Kolleg:innen in Budapest, Madrid, Warschau, Wien. In Giffeys Augen ein Versuch, die westlichen Partner:innen der Ukraine zu diskreditieren.

Franziska Giffey (SPD), Regierende Bürgermeisterin von Berlin:
"Es ist ein Mittel der modernen Kriegsführung.“

Rund eine halbe Stunde vergeht, bis Giffey merkt, dass etwas nicht stimmt. Sie macht den Vorgang öffentlich.

Franziska Giffey (SPD), Regierende Bürgermeisterin von Berlin:
"Der erste Fragenkomplex bezog sich auf eine angebliche Aussage des ukrainischen Botschafters, der ihm erzählt hätte, dass hier so viele Ukrainer wären, die sich Sozialleistungen erschleichen. Ob das denn stimme? Ich habe das verneint."

Der Wiener Bürgermeister Michael Ludwig dagegen merkt überhaupt nicht, dass er nicht mit dem echten Klitschko spricht.

Michael Ludwig (SPÖ), Bürgermeister von Wien:
"Am Ende ist er dann sehr fordernd geworden, und das war doch in einem etwas unüblichen Ton. Aber es hätte mich jetzt nicht dazu gebracht, jetzt da irgendwie das zu hinterfragen."

Gerhard Schindler, ehemaliger Präsident des Bundesnachrichtendienstes, hält die Scherzanrufe für Teil einer Strategie.

Gerhard Schindler, ehemaliger Präsident des BND:
"Wir stellen ja fest, dass wir nicht nur einen konventionellen Krieg haben, sondern einen gigantischen Informationskrieg. Dafür setzt man Module ein wie Fake News, wie Desinformation, wie Manipulation. Aber die schärfste Waffe in diesem Informationskrieg ist der Humor, ist der Witz, der Spott, um den Gegner lächerlich zu machen."

Der Einsatz dieser Waffe beginnt mit einer E-Mail. Diese hier geht nach Berlin. Absender ist ein Mann namens Dmytro Zagumenny – ein erfundener Mitarbeiter des gefälschten Vitali Klitschko. Die E-Mail-Adresse: kein offizieller Kanal, sondern erstellt bei einem ukrainischen Webmail-Anbieter.

In Berlin tappt man in die Falle, trifft sich mit dem vermeintlichen Klitschko zu einem verblüffenden Videogespräch.

Franziska Giffey (SPD), Regierende Bürgermeisterin von Berlin:
"Er hat ja Russisch gesprochen. Ich verstehe Russisch auch, und die Lippenbewegung war synchron."

Wie ist das möglich? Wir werten Fotos aus, die Giffeys Team während des Gesprächs gemacht hat, finden heraus: Der gefälschte Klitschko, den Giffey zu sehen bekam, ist eine Kopie. Die Bilder stammen aus einem alten, echten Interview – es wurde wohl neu vertont. Von der Anbahnung bis zur Umsetzung: Jeder Schritt scheint minutiös vorbereitet.

Genau beschrieben haben Wowan und Lexus ihr Vorgehen in einem Buch:
"Wir erstellen ein Dossier über die Person. Wir suchen alle Veröffentlichungen über sie […] heraus. Wir sehen uns alle Videos an, hören auf ihre Stimme, studieren ihre Art zu sprechen. Wir lesen Interviews, um ein psychologisches Porträt von ihr zu erstellen.

Gerhard Schindler, ehemaliger Präsident des BND:
"Das Vorgehen ist nicht nur auf die Nachrichtendienste begrenzt, aber es erinnert natürlich im ersten Moment sehr an nachrichtendienstliche Operationen."

Betroffen ist auch die EU-Kommission. Wowan und Lexus legten die schwedische Innenkommissarin Ylva Johansson mit dem gefälschten Klitschko rein. Sie erfuhr davon offenbar erst durch eine Anfrage von Kontraste.

Ihre heimlich aufgenommenen Aussagen bespricht das Duo in seiner Show unter anderem mit Duma-Abgeordneten der Putin-nahen Partei "Einiges Russland".

Wowan und Lexus: Sie verkaufen sich als harmlose Spaßvögel – doch ihre Inhalte sind hochpolitisch, ihre Pranks ganz im Sinne des Kremls – sagt Julia Smirnova, Analystin des "Institute for Strategic Dialogue".

Julia Smirnova, Analystin ISD:
"Wowan und Lexus stellen sich selbst auch als eine Art Prank-Influencer dar. Damit kann die russische Propaganda ein anderes Zielpublikum erreichen als nur russisches Staatsfernsehen, nur staatliche Nachrichten und Bots und Trolle. Und es wird schon seit Jahren in Russland vermutet, dass sie eventuell mit dem russischen Staat oder mit den russischen Geheimdiensten arbeiten."

Regierungstreue Unterhaltung: In wessen Auftrag narren Wowan und Lexus westliche Politiker:innen?

Wir vereinbaren ein Interview mit einem von ihnen: Lexus, der eigentlich Alexej Stoljarow heißt.

Kontraste:
"Nehmen Sie Aufträge von der russischen Regierung entgegen?"

Lexus, Alexej Stoljarow:
"Oh, nein, natürlich nicht. Ich bin mir sicher: Die russische Regierung hat an unseren Scherzanrufen kein Interesse."

Kein Interesse? Ein Fan des Duos ist sie: Marija Sacharowa, Sprecherin des russischen Außenministeriums. Sie lobt Wowan und Lexus als "Meister der Telefondiplomatie", überreicht ihnen kürzlich einen Preis: ein Regierungstelefon. Sacharowa selbst ist bekannt als maßgebliche Verbreiterin russischer Lügen.

Marija Sacharowa, Sprecherin des russischen Außenministeriums:
"Das russische Militär tut alles, um zivile Opfer zu vermeiden. Es greift keine zivilen Ziele an."

Das Außenministerium in Moskau: Mitten im Angriffskrieg nimmt sich Sacharowa Zeit und empfängt Wowan und Lexus an ihrem Arbeitsplatz.

Marija Sacharowa, Sprecherin des russischen Außenministeriums:
"Auf genau dieser Bühne finden die Pressebriefings statt."

Lexus, Alexej Stoljarow:
"Aber heute haben wir eine informelle Veranstaltung."

Die Sprecherin des Außenministeriums: Für Lexus so etwas wie eine Kollegin.

Lexus, Alexej Stoljarow:
"Sie ist eine Art politischer Scherzbold. Sie trollt gerne einige westliche Medien. Wir kennen viele Regierungsmitarbeitende in Russland und treffen sie bei Veranstaltungen, aber wir arbeiten wirklich nicht für die russische Regierung."

Aber für wen dann? Ein Fernsehstudio, professionelle Technik, ein Team von Mitarbeiter:innen – und das alles für eine Internetsendung auf der Videoplattform Rutube. Wie viel Geld in die Produktion fließt, will Lexus nicht sagen.

Kontraste:
"Wer finanziert Ihre Sendungen? Wer bezahlt dafür?"

Lexus, Alexej Stoljarow:
"Wir arbeiten für Rutube und sind Rutube-Botschafter. Also bekommen wir unser Geld von dort."

Kontraste:
"Wem gehört Rutube?"

Lexus, Alexej Stoljarow:
"Der Eigentümer von Rutube ist Gazprom Media."

Kontraste:
"Und wem gehört Gazprom Media?"

Lexus, Alexej Stoljarow:
"Gazprom Media gehört Gazprom."

Kontraste:
"Und Gazprom?"

Lexus, Alexej Stoljarow:
"Gazprom ist ein staatliches russisches Unternehmen."

Wowan und Lexus: Sie diskreditieren westliche Politiker:innen, werden bezahlt von einem russischen Staatskonzern. Ein altbekanntes Muster für den Direktor des NATO-Exzellenzzentrums für Strategische Kommunikation Jānis Sārts.

Jānis Sārts, Direktor NATO StratCom COE:
"Wir wissen aus früheren Untersuchungen, dass der Kreml Gazprom als Stellvertreter für seinen Einfluss im Informationsraum nutzt. Das heißt, dass sie für das, was sie tun, eindeutig Staatsgelder erhalten."

Aus den Gesprächen des gefälschten Klitschkos haben Wowan und Lexus neben den Ausschnitten mit der EU-Kommissarin bislang nur Aufnahmen von Warschaus Stadtpräsident veröffentlicht. Die übrigen sollen kommende Woche folgen, sagt Lexus.

Lexus, Alexej Stoljarow:
"Tschüss!"

Kurz nach dem Interview mit Kontraste stellen Wowan und Lexus dann dieses Video ins Netz: Hausbesuch beim Tschetschenen-Diktator Ramsan Kadyrow.

Beitrag von Daniel Laufer

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